Herr Weber, in dieser Woche haben CDU und CSU sich geeinigt: Friedrich Merz wird Kanzlerkandidat. War das die richtige Entscheidung, obwohl Markus Söder in der Bevölkerung populärer ist?
Manfred Weber: Die Debatte ist beendet. Und zwar mit großer Geschlossenheit. Das war natürlich eine wichtige und erfolgreiche Woche für uns. Der Kanzlerkandidat steht fest, Friedrich Merz hat die volle Unterstützung der CSU. Jetzt müssen wir uns auf das Programm konzentrieren. Es geht nicht nur um Köpfe, sondern auch um die besten Konzepte. Wir wollen Verantwortung übernehmen, also brauchen wir Antworten auf die großen Herausforderungen, vor denen unser Land steht.
Wie zuversichtlich sind Sie, dass Ihr Parteichef Markus Söder sich mit der Rolle in der zweiten Reihe zurechtfindet?
Weber: Markus Söder hat in den vergangenen Wochen mit großem Erfolg den bundespolitischen Anspruch der CSU unterstrichen...
... und vor allem seinen eigenen bundespolitischen Anspruch.
Weber: Markus Söder könnte natürlich auch Kanzler, aber er hat deutlich gemacht, dass er sich weiterhin mit ganzer Kraft um Bayern kümmern wird. Das war ein starkes Signal. Und als Stimme Bayerns braucht die CSU für den Bundestagswahlkampf eine klare Bayern-Erzählung. Wir sind die einzige politische Kraft, die sich für bayerische Belange einsetzt.
Für diese Erzählung brauchen Sie aber auch ein Gesicht. Söder selbst will offenbar nicht Spitzenkandidat der CSU für die Bundestagswahl werden. Die Nummer Eins in Berlin, Alexander Dobrindt, verbinden viele bis heute mit dem Maut-Desaster. Wer soll die CSU anführen?
Weber: Das geht nur mit einem starken Team. Friedrich Merz trauen die Menschen zu, dass er als Kanzler ab dem ersten Tag Lösungen erarbeitet, um Deutschland wieder in Ordnung zu bringen. Die Zweitstimme ist nächstes Jahr noch wichtiger, deshalb werden wir ein starkes CSU-Team präsentieren. Bayern muss nach den Ampel-Jahren endlich wieder stark in der Bundesregierung vertreten sein.
Die CSU erhebt seit jeher für sich den Anspruch einer Sonderrolle – auch aufgrund ihrer starken Wahlergebnisse von einst. Angesichts des Zustandes der Ampel - sind für die CSU wie in alten Zeiten 45 Prozent plus X drin?
Weber: Die Ampel hat keinerlei Rückhalt in der Bevölkerung, also haben wir die Riesenchance, wieder an frühere Ergebnisse heranzukommen. Wenn nicht jetzt, wann dann? Unsere Botschaft muss sein, dass es nur mit uns einen Politikwechsel gibt. Es wird nur besser mit einer starken Union, eine Protestwahl löst keine Probleme.
Ihr Parteichef arbeitet sich seit Monaten an den Grünen ab. Sie selbst haben 2019 gesagt, nur ein Bündnis von Union und Grünen auf Bundesebene könnte die gesellschaftlichen Konflikte befrieden. Gilt das noch?
Weber: Das klingt ja wie aus einer anderen Zeit. Die Grünen sind zerrissen zwischen dem Kretschmann-Flügel und den Ökozozialisten. Auf EU-Ebene haben sie beispielsweise den lang ersehnten Kompromiss zur Migration abgelehnt und damit ihr ideologisches Gesicht gezeigt. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es beispielsweise in der Haltung zum Ukraine-Krieg, eben auch Schnittmengen gibt. Respektvoller Umgang unter Demokraten und harte Auseinandersetzung in der Sache, das ist mein Weg.
Sie halten das ständige Draufhauen also für einen Fehler?
Weber: Ich sage es mal so: Mit Frust alleine gewinnt man keine Wahl. Diese Bundesregierung ist gescheitert, sie bietet allen Grund, sie zu attackieren, aber das reicht nicht aus. Anders als in den 2000er Jahren landet nicht mehr jeder Wähler, der sich von Rot-Grün abwendet, automatisch bei uns. Stattdessen erstarken die politischen Ränder. Umso mehr müssen wir zeigen, dass wir die besseren Konzepte haben.
Das womöglich entscheidende Thema wird die Migrationspolitik sein. Deutschland kontrolliert seit einer Woche wieder seine Grenzen. Wie viel Kritik hören sie in Straßburg und Brüssel an Deutschlands Alleingang?
Weber: Alle in Europa treibt die Frage um, wie wir die offenen Grenzen innerhalb der Gemeinschaft erhalten können. Insofern sind die Grenzkontrollen natürlich ein großes Thema bei unseren Nachbarn. Ich erlebe aber auch Verständnis. Wir müssen runter mit den Sozialstandards bei Flüchtlingen und den Asylbewerbern, insbesondere bei den abgelehnten. In den Niederlanden, Dänemark und Schweden ist das heute ja schon der Fall. Es geht darum, zu beweisen, dass Politik handlungsfähig ist, dass sie die Kontrolle behält, dass Kommunen und Städte nicht überfordert werden. Wir dürfen nicht nur die Probleme beschreiben, wir müssen zeigen, wie sie lösbar sind.
Bedingung für offene Grenzen zwischen den EU-Staaten ist der Schutz der Außengrenzen. Muss nicht vor allem hier mehr passieren?
Weber: Der bereits beschlossene EU-Asylpakt muss rasch umgesetzt werden, illegale Migranten müssen an der Außengrenze bereits abgewiesen werden. Gleichzeitig haben wir als Europäische Volkspartei erfolgreich durchgesetzt, dass das Personal der Grenzschutzagentur Frontex von 10.000 auf 30.000 Stellen ausgebaut wird. Daneben brauchen wir Vereinbarungen, etwa mit Staaten des Mittelmeerraumes, die sicherstellen, dass weniger Migranten überhaupt an der EU-Außengrenze ankommen. Der EU-Pakt mit Tunesien, für den Ursula von der Leyen, Giorgia Meloni und wir als EVP stark gekämpft haben, hat dazu geführt, dass in Italien 64 Prozent weniger Flüchtlinge ankommen. Wir spüren den Effekt auch schon in den bayerischen Aufnahmezentren.
Reicht das, um die Außengrenzen dauerhaft abzusichern?
Weber: Es ist richtig, jetzt die deutschen Grenzen zeitlich befristet zu kontrollieren, aber das ist nur der erste Schritt. Der zweite, noch wichtigere Schritt wäre, deutsche Grenzbeamte an den EU-Außengrenzen einzusetzen. Das ist eine Investition, die sich hundertfach lohnt. Wir müssen uns europäisch darauf einigen, dass Migranten, die hier Straftaten begehen oder auf Gefährder- oder Terrorlisten stehen, ohne Wenn und Aber abgeschoben werden. Meine Fraktion im Europäischen Parlament wird dazu eine Überarbeitung der Rückführungsrichtlinie vorlegen. Und ich erwarte, dass Sozialdemokraten und Grüne ihre bisherige Blockadehaltung aufgeben.
Neben der Migration sorgen sich viele Menschen um die wirtschaftliche Lage. Der frühere EZB-Chef Mario Draghi hat gerade ein Gutachten vorgelegt, das Europas Wettbewerbsfähigkeit in Gefahr sieht. Was ist zu tun?
Weber: Draghi hat es sogar noch viel drastischer formuliert. Er hat gesagt: Europa stirbt ökonomisch. Vor 25 Jahren lagen wir bei der Wirtschaftsleistung gleichauf mit den USA. Heute sind die Amerikaner um 30 Prozent stärker als Europa. Wir verlieren massiv an Wettbewerbsfähigkeit und riskieren damit unseren Wohlstand. Wir müssen ehrlich die Frage beantworten: Von welchen Industrien wollen wir in Zukunft leben? Können wir es uns zum Beispiel leisten, mit der Autoindustrie eine der wichtigsten Branchen auszubremsen?
Viele Autobauer verfehlen die EU-Klimaziele. Jetzt drohen hohe Strafzahlungen. Angesichts der Lage der Branche – müsste man die Klimaziele lockern, oder jedenfalls Bußgelder erlassen?
Weber: Wir brauchen eine Generalrevision aller Gesetze und Vorschriften für die Autoindustrie. Anders wird es uns nicht gelingen, diesen so wichtigen Industriezweig zukunftsfähig zu machen und Arbeitsplätze zu sichern. Massenhersteller wie Volkswagen oder Renault brauchen eine klare Perspektive. Wir müssen sämtliche Gesetze und Verordnungen auf den Prüfstand stellen, da darf es keine Tabus geben. Und ja: Es kann gut sein, dass wir auch manche Umweltstandards hinterfragen, die über das Ziel hinausschießen. Wenn zehntausende von Arbeitsplätzen wackeln, dann ist keine Zeit für Bußgeldzahlungen. Wir werden uns das in Ruhe und im Paket anschauen.
Auf gut Deutsch: Die Zeiten von Klimaschutz und Green Deal sind vorbei, jetzt hat wieder die Wirtschaft Vorrang?
Weber: Hochwasser in Osteuropa und Feuer in Portugal – das sind die Nachrichten dieser Woche. Wir stehen zum engagierten Klimaschutz. Es geht aber um eine Balance: Einerseits müssen wir unsere Ziele im Klimaschutz erreichen, auf der anderen Seite nicht die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Unternehmen gefährden. Beides müssen wir besser in Einklang bringen.
Sinnbildlich dafür steht der erbitterte Streit um das Aus des Verbrennungsmotors.
Weber: Sie wissen: Eines meiner großen Versprechen im Europawahlkampf war, den Verbrenner weiterhin zu erlauben und die Technologieoffenheit durchzusetzen. Nur dann schaffen wir den Wandel. Daran halten wir fest. Aber es geht ja auch um andere Branchen, wie Chemie oder den Gesundheitssektor. Wir müssen aufhören, in Europa an einzelnen Gesetzen herumzudoktern. Die Europäische Volkspartei stellt in der neuen EU-Kommission mehr als die Hälfte der Kommissare, im Europäischen Parlament wird ohne uns kein Gesetz mehr gemacht. Für uns hat die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit oberste Priorität. Daran werde ich mich messen lassen.
“im Europäischen Parlament wird ohne uns kein Gesetz mehr gemacht" Da ist aber schon ein wenig Selbstüberschätzung dabei. Die EVT hat 188 Sitze. Nur wenn sie sich sämtlicher rechter und rechtsextremer Stimmen bedient, hat sie eine satte Mehrheit, sonst muss sie sehen, wer mit ihr stimmt. Also Herr Weber, wessen Stimmen zählen sie zu denen der EVT? Und dass sich Weber so sehr für die Autoindustrie stark macht, die viel Schuld daran trägt, dass die Klimaziele wackeln, zeigt deutlich, dass es ihm mit den Klimazielen nicht ernst ist. Und deutsche Beamte an der EU-Außengrenze? Wenn bereits im Inland Beamte fehlen? Wovon träumt der Mann? Es gäbe noch einige Punkte, die man auseinandernehmen könnte. Die Interviewer haben einach alles durchgewunken, was Weber von sich gibt. Ein wenig mehr kritische Fragen hätte ich mir schon erwartet bei einer Tageszeitung, die sich als ausgewogen bezeichnet. Dass sie es nicht ist, hat sie wieder gezeigt.
Wie kann man sich als führender Europapolitiker nur so unwidersprochen zum Büttel der deutschen Autoindustrie machen und Klimaschutz und Green Deal dermaßen in die Ecke stellen. Quo vadis EVP?
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