Es kommt selten vor, dass sich Mario Draghi der Öffentlichkeit stellt. Interviews vom italienischen Ministerpräsidenten, der seit bald einem Jahr amtiert, gibt es bislang nicht. Auch Pressekonferenzen stehen nicht häufig auf der Agenda des 74-Jährigen. Draghi hat viel zu tun, aber seine Reserviertheit soll auch das Bild stärken, das sich Italien über Monate hinweg von seinem Regierungschef gemalt hat. Es ist das Bild eines eifrigen, nur an der Sache orientierten, erfolgreichen Staatsmanagers.
Am Montag nun kam Draghi für eine gute Stunde von seinem Kurs ab, als er eine Pressekonferenz zur Einführung der Impfpflicht in Italien abhielt. Diese gilt allgemein für Über-50-Jährige seit 5. Januar, das einschneidende Gesetz wurde per Dekret ohne entsprechende Informationen der Öffentlichkeit verabschiedet, wofür Draghi sich am Ende seiner Erklärungen am Montag entschuldigte. Er habe das Informationsbedürfnis unterschätzt, die Konferenz sei als eine Art Wiedergutmachung zu verstehen. Lachen auf Draghis Lippen und im Pressesaal des Palazzo Chigi unter den Journalisten.
Draghi geriet erstmals unter Zugzwang
Dabei markierte der öffentliche Akt einen Einschnitt in der Regierungserfahrung des ehemaligen Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB). Draghi reagierte erstmals unter Zugzwang, weil sich seine als erfolgreich gepriesene Arbeit zuletzt immer schwieriger gestaltete und auch seine Autorität in der Viel-Parteien-Koalition zu schwinden scheint. Bei der Diskussion über die Einführung der Impfpflicht drohte die rechtsnationale Lega mit dem Koalitionsbruch. Lega-Chef Matteo Salvini liebäugelt schon seit Wochen immer stärker mit dem Austritt aus der Regierung.
Auch in der Fünf-Sterne-Bewegung, dem größten Koalitionspartner, machte sich Unmut breit. Sterne-Gründer und Garant Beppe Grillo fühlte sich an „orwellsche Bilder“ erinnert angesichts der Einführung einer obligatorischen medizinischen Behandlung, die vom Staat kontrolliert werde. Denn wer sich als Über-50-Jähriger nicht bis 1. Februar impfen lässt, muss mit einem Bußgeld von 100 Euro rechnen. Die einen finden das zu wenig, andere zu viel. Fest steht, dass die italienische Steuerbehörde befugt sein soll, in Überwachung der Impfregister die Geldstrafen auszusprechen. Verschärft wurde auch die Regelung am Arbeitsplatz. Dort reicht fortan ein negativer Test nicht mehr aus, in Italien muss man am Arbeitsplatz nun geimpft oder genesen sein.
Der Ministerpräsident begründete die Einführung der Impfpflicht für Über-50-Jährige mit dem Schutz der Gesundheit der Ungeimpften, aber auch des Restes der Gesellschaft. „Ein Großteil unserer heutigen Probleme hat seinen Grund darin, dass es Ungeimpfte gibt“, sagte er. Zwei Drittel der Betten auf den Intensivstationen seien von Ungeimpften belegt sowie 50 Prozent der normalen Krankenhausbetten. Operationen müssten deshalb verschoben werden, Öffnungen und Schließungen hingen von der Krankenhausbelegung ab.
Je mehr Geimpfte es gebe, „desto freier sind wir“, sagte Draghi. In Italien haben 89 Prozent der Über-Zwölfjährigen mindestens eine Impfung erhalten. Seit Montag gibt es weitere scharfe Auflagen. So dürfen öffentliche, auch lokale Transportmittel in Italien nur noch von Geimpften oder Genesenen benutzt werden. Auch Hotels, Pensionen, Restaurants und Bars müssen nun 2G verlangen. Ein negativer Test reicht selbst für den schnellen Espresso am Tresen nicht mehr aus.
"Super-Mario" Draghi verfügt über keine politische Basis
Hat „Super-Mario“ den Bogen etwa überspannt? Der Ministerpräsident, im vergangenen Februar von Staatspräsident Sergio Mattarella nominiert und vom Parlament bestätigt, ist parteilos und verfügt selbst über keine politische Basis. Draghi, der sich selbst als „Großvater im Dienste der Institutionen“ bezeichnete, hängt vom Gutdünken der Parteien ab – und die werden ein Jahr vor dem Ende der Legislaturperiode notorisch unruhig. Zudem steht ab dem 24. Januar die Wahl eines neuen Staatsoberhauptes an, Draghi gilt als aussichtsreichster Kandidat, wollte sich aber bei der Pressekonferenz zum Thema nicht äußern. Am Montagabend legte Ex-Premier Silvio Berlusconi sein Veto gegen einen Wechsel Draghis in den Quirinalspalast, den Sitz des Staatspräsidenten in Rom, ein. Wenn Draghi die Regierung verlasse, werde auch seine Partei Forza Italia der Koalition den Rücken kehren.