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Interview: „Wir haben uns so dran gewöhnt, am Rockzipfel der USA zu hängen“

Interview

„Wir haben uns so dran gewöhnt, am Rockzipfel der USA zu hängen“

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    Renate Köcher ist eine der einflussreichsten deutschen Meinungsforscherinnen.
    Renate Köcher ist eine der einflussreichsten deutschen Meinungsforscherinnen. Foto: Aurelia Scherrer

    Frau Köcher, wenn Sie das ablaufende Jahr mit drei Begriffen beschreiben müssten, welche wären das?
    RENATE KÖCHER: Also ich glaube, da müsste ich jetzt eine halbe Stunde nachdenken. Ganz spontan: Anstrengung, Überraschungen, verlorene Wette.

    Welche Wette haben Sie verloren?
    KÖCHER: : Ich habe mit x-Leuten gewettet, dass die Ampel bis zum Ende der Legislaturperiode hält.

    Wird es teuer?
    KÖCHER: Nein, es wird angenehm, weil ich wette nur mit Leuten, die ich mag und so, dass auch der Wettverlust sehr angenehm ist. Wir gehen Essen und dann ist nur die Frage, wer bezahlt.

    Als wir vor einem Jahr hier gesessen haben, zeichnete sich schon deutlich ab, dass die deutsche Wirtschaft Richtung Tal unterwegs ist. Seither hat sie sich da nicht rausgekämpft. Woran liegt das?
    KÖCHER: An Versäumnissen, die man über Jahrzehnte begangen hat: Die Infrastruktur wurde auf Grund gefahren, Bildung nicht ausreichend ernst genommen, dafür wurden immer mehr Regulierung und Bürokratie aufgebaut. Dazu kommen in den letzten Jahren der Ukraine-Krieg, die folgenden Energieprobleme und die Inflation, die viel Kraft und Aufmerksamkeit absorbiert haben. Und auf europäischer Ebene wurden viele Entscheidungen getroffen, die massiv in die Wirtschaft eingreifen, ohne dass die Folgen für die Unternehmen überhaupt nur geprüft wurden. Dass die Politik beispielsweise über Technologien entscheidet wie bei der E-Mobilität, statt nur Vorgaben für die Umweltverträglichkeit zu machen, ist ein fremdes Element in einer freien Wirtschaft.

    Glauben Sie, dass das notwendig ist, um tatsächlich Klimaziele zu erreichen?
    KÖCHER: Die Frage ist doch, wie die Ziele am besten erreicht werden, ohne gleichzeitig ökonomisch Flurschaden anzurichten. Der Staat greift immer mehr aus und verspricht, sich um alles zu kümmern und alles zu regeln, und ich fürchte, wir haben uns während der Krisen – ob Pandemie, Energiekrise oder Inflation – daran gewöhnt. Es wäre wichtig, verstärkt ordnungspolitisch zu überlegen, was denn eine vernünftige Rolle des Staates ist.

    Apropos Ampel-Aus: Olaf Scholz hat lange versucht, sich in der Merkel-Nachfolge als Fels in der Brandung zu beweisen. Warum ist das schief gegangen?
    KÖCHER: Ich denke, dass Olaf Scholz nach wie vor für sich beansprucht, dass er die Gelassenheit in Person ist. Ich muss auch sagen, ich habe noch nie einen Menschen getroffen, der so in sich ruht und so an sich glaubt wie er. Das ist durchaus eine Stärke. Nur hilft diese Gelassenheit wenig, wenn man in einer Koalition feststeckt, die von vornherein nicht zusammengepasst hat. Da ist dann eher Durchsetzungsvermögen gefragt.

    Trotzdem haben Sie darauf gewettet, dass die Ampel durchhält. In wem haben Sie sich da mehr getäuscht: in Olaf Scholz oder in Christian Lindner?
    KÖCHER: Ich habe gewettet, dass diese Koalition hält, einfach weil ich überzeugt war, dass alle drei Parteien mit einer vorgezogenen Wahl nur verlieren können. Das haben SPD und Grüne auch so gesehen. Nun hatte natürlich die FDP das Problem, dass sie in diesem Jahr an permanenter Schwindsucht litt. Ob es für die FDP gut ausgeht, wird man sehen. Einen großen Aufschwung hat das Koalitionsende erstmal nicht gebracht.

    Was denken Sie, wie geht es aus? Wir könnten wetten.
    KÖCHER: Es ist zu früh, das zu sagen. Nach unserer letzten Umfrage wäre die FDP knapp draußen, aber sie oszilliert zurzeit um die 5 Prozent. Die Mehrheit fand es ja nicht schlecht, dass die Ampel vorzeitig zu Ende ging. Aber der Wähler bedankt sich nicht. Die Wähler blicken nach vorn und das ist absolut rational. Sie fragen sich: Welche Konstellation will ich in der kommenden Legislaturperiode? Und da ist es für die FDP zurzeit schwierig, aus einer Position der Schwäche heraus zu überzeugen, dass sie überhaupt eine Regierungsoption hat.

    Hat es die Politik Vertrauen gekostet, dass die Koalition ausgerechnet an diesem Tag, wo Trump gewählt wird, dann auch noch das Aus verkündet?
    KÖCHER: Das hat eigentlich nur eine kleine, politisch sehr interessierte Minderheit irritiert. Und das Vertrauen hat ja nicht erst an dem Tag gelitten, sondern durch die ständigen Kontroversen zuvor und den Eindruck mangelnder Bürgernähe.

    Was kommt denn mit Trump auf uns zu?
    KÖCHER: Vielleicht die Chance, erwachsen zu werden.

    Wie meinen Sie das?
    KÖCHER: Wir haben uns so dran gewöhnt, am Rockzipfel der USA zu hängen, immer einen verlässlichen Partner zu haben, der die Verteidigungslasten geschultert hat, die eigentlich Europa hätte mit schultern müssen. Ich muss sagen: Da kann ich Trumps Position voll und ganz verstehen. Europa muss erwachsen werden, wir müssen uns, auch was die Verteidigung angeht, emanzipieren. Europa muss auch geschlossener und wirtschaftlich wieder erfolgreicher werden, wenn es in der Konkurrenz mit den USA und China bestehen will.

    Wir sind heute nicht viel weiter als bei Trumps erster Präsidentschaft, oder?
    KÖCHER: Mein Eindruck ist, dass viele die erste Präsidentschaft Trumps als rätselhaftes Intermezzo eingeschätzt haben, das sich nicht wiederholen wird. Dadurch wurden viele Konsequenzen nicht gezogen. Erst der Ukraine-Krieg hat ja zumindest in Bezug auf Verteidigung ein Umdenken gebracht, obwohl immer noch manche hoffen, dass wir ins Paradies zurückkehren können, wo Krieg keine reale Bedrohung ist.

    Mit der Träumerei muss Schluss sein?
    KÖCHER: Man kann eigentlich gar nicht mehr träumen, wenn man sieht, wie leicht Kriege entstehen an allen Ecken und Enden. Das ist beunruhigend. Es führt kein Weg daran vorbei, wirklich kriegstüchtig zu werden, wie Boris Pistorius es formuliert hat. Wir sind überhaupt nicht darauf vorbereitet, dass wir mal einem Angriff ausgesetzt sein könnten.

    Sie haben einige Themen aufgelistet, die Deutschland mit Kraft angehen muss. Was ist am vordringlichsten?
    KÖCHER: In dieses Regulierungs- und Bürokratie-Räderwerk eingreifen! Die jetzige Regierung hat gesagt, sie habe das größte Entbürokratisierungspaket aller Zeiten aufgelegt. Nur die meisten Firmen merken das überhaupt nicht. Das verursacht solch einen Kraftaufwand und verlangsamt die Prozesse auf eine Art und Weise, dass ich sagen muss: Wenn man den Weg weitergehen will, dann ist unsere Zukunftsvision vielleicht, dass wir so eine Art Disney World werden, wo die Leute aus aller Welt hinkommen und sagen: Ist das nicht romantisch, die alten Schlösser und diese netten Sträßchen? Aber wenn wir ein starker Kontinent bleiben wollen, dann müssen wir wieder Freiräume für unternehmerisches Handeln schaffen.

    Wie wichtig wird das Thema Wirtschaft im Wahlkampf? Müsste es nicht viel mehr dominieren angesichts der Lage?
    KÖCHER: Wir haben ja diesmal eine ganz andere Situation als 2004/2005, als die wirtschaftliche Situation auch sehr schwierig war. Damals fürchteten teilweise bis zu 38 Prozent der Erwerbstätigen um ihren Arbeitsplatz. Jetzt sind es unter 10 Prozent – das ist ein Anteil, wie man ihn normalerweise in guten wirtschaftlichen Zeiten hat. Wir haben eine ernste Krise in wichtigen Branchen, aber gleichzeitig ist der Arbeitsmarkt weitgehend robust, da an vielen Stellen Arbeitskräfte fehlen. Von daher werden Wirtschaftsthemen bei der Wahl sicher eine Rolle spielen, aber nicht allein. Wenn wir die Menschen fragen, was ihnen im Zusammenhang mit der Wahl wichtig ist, nennt die große Mehrheit nicht nur bessere Rahmenbedingungen für die Wirtschaft, sondern auch, dass es auch zu einer handlungsfähigen Regierung kommt, die wichtige Themen konsequenter anpackt und dafür sorgt, dass das Land wieder besser funktioniert.

    Können wir bei der Bundestagswahl mit Überraschungen rechnen?
    KÖCHER: Natürlich. Viele sind noch unschlüssig, wen sie wählen wollen. So ist zurzeit beispielsweise noch nicht abschätzbar, wie sich die Chancen der FDP entwickeln und die des BSW, das von manchen Meinungsforschern schon nicht mehr im Bundestag gesehen wird. Wir haben sie zurzeit noch klar über fünf Prozent. Aber es ist Bewegung in den Parteipräferenzen und je näher die Wahl rückt, desto mehr überlegen die Wähler, was ihnen wichtig ist, was sie befürchten, was sie sich versprechen. Da kann es noch zu einer deutlichen Verschiebung in den Umfragen kommen.

    Man wünscht sich mal ein langweiliges Jahr. Aber ich glaube, davon können wir uns verabschieden.
    KÖCHER: Langweilig wird 2025 bestimmt nicht. Aber wenn die nächste Regierung nicht erreicht, dass die Bevölkerung begründet Vertrauen fasst, dass es vorangeht, werden die Parteien an den Rändern stärker werden.

    Zur Person

    Renate Köcher, 72, ist eine der profiliertesten deutschen Meinungsforscherinnen. Sie leitet das Institut für Demoskopie in Allensbach am Bodensee.

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