Herr Heusgen, haben Sie den Schock über den deutlichen Wahlsieg von Donald Trump schon verdaut?
CHRISTOPH HEUSGEN: Es hat sich wiederholt, was wir 2016 schon erlebt haben. Wir müssen also nur auf den „repeat“-Knopf drücken.
Sie kennen Donald Trump persönlich aus der Zeit, als Sie für Bundeskanzlerin Angela Merkel gearbeitet haben. Wie geht man mit so einer Persönlichkeit um?
HEUSGEN: Donald Trump ist jemand, der sich selbst und seine Meinung sehr im Mittelpunkt sieht. Ich glaube dennoch, dass es möglich ist, mit ihm zu Vereinbarungen zu kommen – er versteht sich als Geschäftsmann, man muss also versuchen, zu Deals, wie er es ja nennt, zu finden. Wichtig ist, ihn nicht zu ignorieren, sondern auf ihn zuzugehen, Kontakte zu den Leuten in seinem Umfeld zu pflegen. Denn Tatsache ist: Deutschland, Europa, die Nato – sie alle brauchen ein stabiles Verhältnis zu den USA.
Die Beziehung zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz und US-Präsident Joe Biden war eng, die beiden hatten eine gemeinsame Wertebasis. Wie ist das bei Trump? Spielen Werte eine Rolle oder bemisst sich bei ihm ein Wert in Dollar-Einheiten?
HEUSGEN: Ja, es ist wichtig, eine gemeinsame Basis zu finden, immer danach zu suchen, wo es Interessenüberschneidungen gibt. Ein Beispiel: Bei ihrem ersten Besuch bei Donald Trump im Weißen Haus im März 2017 nahm Angela Merkel deutsche Unternehmer mit, die mit ihren Investitionen in den USA für die Schaffung zehntausender Arbeitsplätze verantwortlich waren, also dafür „Amerika groß zu machen“. Es gilt, Trump „abzuholen“. Ein weiteres Beispiel: Trump hat ultimativ gefordert, dass die NATO-Partner ihren finanziellen Verpflichtungen nachkommen. Wenn wir jetzt tatsächlich die 2-Prozent-Marke überschreiten, tun wir das natürlich in unserem eigenen Interesse, aber gegenüber Trump können wir es als Eingehen auf seine Forderungen darstellen, wobei wichtig ist, dass dies keine Eintagsfliege bleibt, sondern sich diese erhöhten Verteidigungsausgaben auch in der mittelfristigen Finanzplanung widerspiegeln.
Sie kennen nicht nur Donald Trump, sondern auch seinen künftigen Vize J.D. Vance. Wie schätzen Sie ihn ein?
HEUSGEN: J.D. Vance ist ein scharfsinniger Ideologe und ein strikter Verfechter der Trump-Linie. Er war zu Gast bei der Münchner Sicherheitskonferenz in diesem Jahr und hat dort schon klargestellt, dass er dafür ist, die Hilfe für die Ukraine einzustellen.
Ein Thema der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC), deren Leiter Sie sind, war einmal das Ende des Westens. Beschleunigt Trump diese Entwicklung?
HEUSGEN: Wir müssen als Europa und auch als Nato zusammenhalten. Das muss Priorität bleiben. Worauf wir gleichzeitig reagieren müssen, ist die Tatsache, dass unser relatives Gewicht in der Welt abnimmt – politisch, wirtschaftlich, demografisch. Darauf müssen wir uns einstellen. Ich habe zum Beispiel als Konsequenz die MSC weiter gegenüber Vertretern des sogenannten Globalen Südens geöffnet. Ich sehe in dieser Entwicklung auch keine Gefahr, sondern Chancen: Hier eröffnen sich neue Märkte, können wir neue Partner finden. Allerdings müssen wir unsere Außenpolitik entsprechend umorientieren. Außenminister Heiko Maas hatte 2019 zusammen mit seinem französischen Kollegen die kontinentübergreifende „Allianz für den Multilateralismus“ aus der Taufe gehoben. Ich fand dies eine großartige Initiative, die ich als UNO-Botschafter sehr unterstützt habe. Leider wurde sie nicht weiterverfolgt.
Wird nicht auch das Kräfteverhältnis innerhalb Europas verschoben durch die US-Wahl? Donald Trump dürfte eher Giorgia Meloni und Viktor Orban unterstützen als Scholz und Emmanuel Macron.
HEUSGEN: Das kommt auf die Beteiligten an. Deutschland und Frankreich sind essenziell für den europäischen Zusammenhalt, für Frieden und Wohlstand. Es ist deshalb wichtig, dass jeder Bundeskanzler und jeder französische Präsident dieses deutsch-französische Erbe weitertragen, eng zusammenarbeiten und gemeinsam mit der Europäischen Kommission die Richtung vorgeben. Dann hat ein Autokrat wie Viktor Orban keine Chance.
Nun sind beide Regierungen geschwächt. Macron hat sich bei der Wahl verkalkuliert, die Bundesregierung steckt in einer massiven Krise. Wo soll da ein Impuls für Europa herkommen?
HEUSGEN: In außenpolitischen Fragen kann eine Regierung auch dann noch agieren, wenn sie vor Neuwahlen steht. Emmanuel Macron hat in Frankreich außenpolitisch das Sagen. Wenn der Wille da ist, ist vieles möglich. Aber natürlich sind die Umstände schwieriger geworden.
Ein Land, das die aktuellen politischen Entwicklungen gerade mit großer Sorge verfolgt, ist die Ukraine. Wird Trump den Krieg dort beenden auf Kosten der Ukrainerinnen und Ukrainer?
HEUSGEN: Sicher ist eigentlich nur, dass wir nicht wissen, was Donald Trump tun wird. Das hat er uns in der Vergangenheit immer wieder bewiesen. Trump ist erratisch. Uns muss klar sein: Russland wartet nicht darauf, dass Verhandlungsangebote vorgelegt werden. Wladimir Putin hat es ganz klar ausgesprochen: Nur weil der Ukraine die Munition ausgeht, wird er den Krieg nicht beenden. Der russische Präsident hat einen klaren Plan: Er will Russland zurückführen zum Glanz des Zarenreiches oder der Sowjetunion. Daran wird er weiter arbeiten. Das Einzige, was er respektiert, ist eine Position der Stärke. Deshalb gibt es für uns gar keine Alternative: Wir müssen alles tun, um die Ukraine zu unterstützen, am besten natürlich gemeinsam mit den USA, ansonsten eben als Europa.
In Deutschland ist nicht nur die finanzielle Lage angespannt, es gibt auch eine große Friedenssehnsucht, die Zeitenwende wurde gesellschaftlich längst nicht vollzogen.
HEUSGEN: Der Bundeskanzler hat mit seiner Zeitenwende-Rede am 27. Februar 2022 seine vielleicht beste Rede gehalten. Aber wenn eine Zeitenwende angekündigt wird, muss sie auch durchgeführt werden. Leider sehen wir in der Umsetzung erhebliche Mängel, sowohl was die gesellschaftliche Diskussion anbelangt, als auch beim Blick auf eine nachhaltige Steigerung des Verteidigungsbudgets. Beides sind schwere Versäumnisse. Wenn man den Menschen glauben machen will, dass der Frieden automatisch kommt, sobald man keine Waffen mehr liefert, dann verleitet man sie leider zu einem Irrglauben.
Selbst ein Waffenstillstand müsste abgesichert werden, die Ukraine bräuchte Sicherheitsgarantien – der finanzielle Kraftakt dürfte kaum kleiner werden? Zu glauben, alles könne schnell wieder gut sein, ist doch naiv?
HEUSGEN: Bei uns ist sehr häufig der Wunsch Vater des Gedanken. Ich habe als Berater der Kanzlerin jahrelang mit russischen Kollegen verhandelt, unter anderem über das Minsk-Abkommen. Ich habe erfahren, dass sie sich nicht an Vereinbarungen halten. Das Einzige, was der Kreml respektiert, ist eine Politik der Stärke. Das ist auch die Lehre aus dem Kalten Krieg. Willy Brandt und Helmut Schmidt waren so erfolgreich, weil sie aus einer Politik der Stärke heraus gegenüber der Sowjetunion agiert haben.
Der Nationalismus und der Populismus blühen ja nicht nur in den USA. Wurden vielleicht in den Jahren der Globalisierung Fehler gemacht? Geht der Fortschritt zu schnell?
HEUSGEN: Diese Überforderung gibt es in Teilen der Gesellschaft. Aber was folgt daraus? Die Alternative wäre, nichts zu tun und alles weiterlaufen zu lassen. Das führt unweigerlich ins Verderben. Das sehen wir ja mit Blick auf unsere Sicherheitspolitik. Und wir sehen das auch beim Thema Klimaschutz. Hier ist eine gesellschaftliche und politische Müdigkeit aufgezogen, die wir uns nicht leisten können. Wir müssen unsere Wirtschaft transformieren, sie grüner machen. Die katastrophalen Folgen des Klimawandels sind überall zu sehen. Deshalb ist aus meiner Sicht trotz der zweiten Amtszeit von Donald Trump, trotz der Bedrohung durch Russland, trotz der Konkurrenz durch China die größte Herausforderung der Klimawandel. Was wir deshalb brauchen, ist ein intensiver Diskurs über die großen Herausforderungen unserer Zeit. Es ist die Aufgabe der Politik, die Menschen mitzunehmen, das ist der Kern guter Regierungsführung.
Wie könnte die konkret aussehen?
HEUSGEN: Ich habe als Vorsitzender der MSC eine Veranstaltungsreihe ins Leben gerufen, die wir „Zeitenwende on Tour“ nennen. Wir haben bisher an 26 Orten Deutschlands zwischen Hamburg und München, zwischen Neuss und Leipzig sogenannte „Townhalls“ organisiert, wo wir in Podiumsdiskussionen mit den Menschen über die Herausforderungen unserer Zeit reden, Fragen beantworten, erklären, versuchen, Ängste zu nehmen. Überall waren die Säle voll. So etwas muss noch viel häufiger organisiert werden, nicht nur in Wahlkämpfen. Und dann ist wichtig: Wenn die Politik etwas ankündigt, muss sie das auch durchsetzen. Wenn das nicht geschieht, wächst bei den Menschen die Frustration. Es ist nicht nur die Überforderung, sondern die Beobachtung, dass Entscheidungen nicht umgesetzt werden, die zu Unmut und zur Hinwendung zu Populisten führt.
Zur Person
Christoph Heusgen, 69, war einst außenpolitischer Berater von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und später Ständiger Vertreter Deutschlands bei den Vereinten Nationen. Seit dem Jahr 2022 leitet er die renommierte Münchner Sicherheitskonferenz.
Tendenz in Trumps Ansatz ist immer der wirtschaftliche Aspekt. Werte rangieren bei ihm nur an zweiter Stelle in der Rangfolge auch in der Aussenpolitik. Gerade Deu wird mit seiner derzeitigen Aussenministerin keinen Stich bei Trump machen können mit ihrer realitätsfernen Sicht der Dinge. Europa kann weitere noch höhere Hilfeleistungen an die Ukraine nicht verkraften, da viele EU Mitgliedsländer am Ende nicht bereit sind Kiew auf unbestimmte Zeit noch höhere Belastungen auf sich zu nehmen oder auch zu können.
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