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Interview: Vertrauenskrise in der Nato: "Deutschland steht in der Ecke"

Interview

Vertrauenskrise in der Nato: "Deutschland steht in der Ecke"

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    Das weiß-blaue Nato-Emblem steht für derzeit 30 Mitglieder. Der Sicherheits- und Verteidigungsexperte Christian Mölling ist sich sicher, dass die Ukraine in absehbarer Zeit nicht in die Allianz aufgenommen wird.
    Das weiß-blaue Nato-Emblem steht für derzeit 30 Mitglieder. Der Sicherheits- und Verteidigungsexperte Christian Mölling ist sich sicher, dass die Ukraine in absehbarer Zeit nicht in die Allianz aufgenommen wird. Foto: Daniel Naupold, dpa

    Herr Mölling, es hieß vor einigen Jahren oft, die Nato habe sich überholt, weil ihr nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion der Feind abhandengekommen ist. Jetzt sieht sich die Allianz mit einer aggressiven Politik Russlands konfrontiert. Was heißt das für das Bündnis?

    Christian Mölling: Diesen Wechsel gab es bereits 2014 durch die russische Annexion der Krim. Damals und in den Jahren bis heute wurde deutlich, wie wichtig es ist, dass es eine militärische Rückversicherung durch die Nato gibt. Natürlich wäre ein umfassender Angriff auf die Ukraine eine neue Dimension. 2014 hat es Deutschland geschafft, noch rechtzeitig auf die gemeinsame Linie der Nato einzuschwenken. Ob das Berlin in der aktuellen sicherheitspolitischen Herausforderung jetzt erneut gelingt, ist die große Frage.

    Der Sicherheitsexperte Christian Mölling kritisiert, dass Deutschland  als eines der wichtigsten Nato-Mitglieder die Allianz schwächt.
    Der Sicherheitsexperte Christian Mölling kritisiert, dass Deutschland als eines der wichtigsten Nato-Mitglieder die Allianz schwächt. Foto: DGAP

    Ist die Nato auf Krisen, wie wir sie jetzt erleben, gut vorbereitet oder braucht sie eine Grundsanierung?

    Mölling: Eine Grundsanierung braucht sie sicherlich. Der französische Präsident Macron bezeichnete sie ja gar als „hirntot“. Tatsächlich gab es in den letzten Jahren Anzeichen für eine Zerfaserung – denken Sie an das schwierige Mitglied Türkei. Das größte Kapital der Nato ist die Einheit von 30 Staaten, gepaart mit militärischer Potenz. Jetzt ist Deutschland – also eines der wichtigsten Mitglieder des Bündnisses – ein Akteur, der seine Zusicherungen an die Nato nicht erfüllt und politisch ausschert. Das ist nicht gut für die Allianz.

    Gerade in Washington fallen die Reaktionen auf das Agieren Berlins in der Ukraine-Krise zunehmend harsch aus. Ist das für Sie nachvollziehbar?

    Mölling: Die USA sehen sich gezwungen, zusätzliche Soldaten nach Osteuropa zu schicken, weil viele europäische Partner schwach sind. Das löst in Washington natürlich keine Begeisterung aus, da Kräfte gebunden werden. In die Bundeswehr wurde über Jahrzehnte nicht ausreichend investiert. Zusagen wie das Zwei-Prozent-Ziel werden nicht eingehalten, der vereinbarte Aufbau von zwei robusten Divisionen stockt. Deutschland wird nicht nur in den USA zunehmend als Trittbrettfahrer wahrgenommen.

    Gerade in Washington und London, aber auch in osteuropäischen Ländern wächst der Ärger über eine angeblich zu laxe Haltung gegenüber Moskau. Es gibt sogar Stimmen, die bezweifeln, ob Deutschland noch ein verlässlicher Bündnispartner ist.

    Mölling: Deutschland steht auf alle Fälle in der Ecke. Völlig isoliert sind wir nicht. Auch andere Mitglieder wollen nicht allzu hart auf Moskaus Provokationen reagieren. Staaten wie die USA, Großbritannien oder Frankreich zeigen wachsendes Engagement für den Schutz der Ukraine. Wir nicht. Dabei geht es nicht nur um die Ukraine, sondern auch um die Sicherung der Grenzen im Baltikum und in Südosteuropa, also um Bulgarien und Rumänien. Auch diese Staaten brauchen und fordern eine militärische Rückversicherung durch die Nato. Sie fürchten weniger einen Krieg als Instabilität.

    Was heißt Instabilität konkret?

    Mölling: Wir Deutschen denken zu sehr in den Kategorien Krieg und Frieden. Doch im 21. Jahrhundert verlaufen die Konflikte anders. Es gibt den „Schießkrieg“, aber eben auch Angriffe durch Drohungen, Desinformation, Cyberattacken. Auf den Ukraine-Konflikt übertragen heißt das: Es stimmt nicht, dass erst dann eine völlig neue Situation entsteht, wenn geschossen wird. Auch die Drohung mit einem Krieg ist ein Angriff, der große politische und ökonomische Schäden anrichten kann. Das sehen wir gerade.

    Sollten wir defensive Waffen liefern oder steht unsere Geschichte dagegen? Der Historiker Michael Wolffsohn sprach im Interview mit unserer Redaktion von „Heuchelei, maskiert als Moral“. Hat er recht?

    Mölling: Ich würde anders formulieren. Im Zweiten Weltkrieg waren es nicht deutsche Soldaten, die Deutschland befreit haben. Es waren US-Amerikaner, Briten und auch Franzosen. Welche Lehre aus der Geschichte ergibt sich daraus? Die baltischen Staaten ziehen die Lehre, die Ukraine angesichts der Bedrohung durch Russland zu unterstützen. Wir nicht.

    Soldaten der ukrainischen Streitkräfte bei einer Militärübung. In Deutschland wird über die Lieferung defensiver Waffen an Kiew debattiert.
    Soldaten der ukrainischen Streitkräfte bei einer Militärübung. In Deutschland wird über die Lieferung defensiver Waffen an Kiew debattiert. Foto: Ukrinform, dpa

    Wird nicht vergessen, dass Deutschland die Stabilisierung der Ukraine in den vergangenen Jahren mit vier Milliarden Euro unterstützt hat? Kein anderes Land hat sich finanziell so stark engagiert.

    Mölling: Gerade deshalb könnte man doch fragen, warum wir jetzt diese Investitionen nicht schützen. Militär und Ökonomie hängen in diesem Fall zusammen. Russland übt seit Jahren politischen und wirtschaftlichen Druck auf Kiew aus, betreibt Desinformation. Moskau will Abhängigkeiten schaffen. Dafür werden Leute wie Ex-Kanzler Gerhard Schröder bezahlt. Die UN-Charta garantiert das Selbstbestimmungsrecht der Nationen. Es ist ein deutscher Irrweg zu glauben, man könnte in der Ukraine-Krise neutral bleiben. Wer nichts tut, hilft in diesem Fall Russland.

    In der SPD verweist man darauf, dass der frühere Kanzler Willy Brandt mit seiner Politik der Annäherung gegenüber Moskau großen Erfolg hatte. Sollten wir nicht mehr Brandt wagen?

    Mölling: Viele wissen nicht, dass Brandt die Verteidigungsausgaben drastisch erhöht hat, als er seine neue Ostpolitik eingeleitet hat. Er hat sich so militärisch rückversichert. Das fehlt uns heute, weil wir unsere Hausaufgaben nicht gemacht haben.

    Der frühere Bundeskanzler Willy Brandt wird in der SPD häufig als Beispiel genannt, wie Annährung an Moskau gelingen kann.
    Der frühere Bundeskanzler Willy Brandt wird in der SPD häufig als Beispiel genannt, wie Annährung an Moskau gelingen kann. Foto: dpa Bildfunk, Archivbild

    Glauben Sie, dass Russland wirklich bereit ist, den Preis für einen Angriff auf die Ukraine zu zahlen?

    Mölling: Das kann man kaum voraussagen. Ich würde die beiden Briefe, in denen Moskau vom Westen Sicherheitsgarantien fordert, sehr ernst nehmen. Nicht, dass man darauf eingehen sollte. Aber die Forderungen sind Ausdruck des Selbstverständnisses von Putin, dass Russland das Recht hat, über die Staaten in der direkten Nachbarschaft zu entscheiden. Für Moskau wird es schwer werden, einen gesichtswahrenden Ausweg zu finden.. Putin ist kein Alleinherrscher, auch er muss andere mitnehmen und auf die Stimmung in der Bevölkerung achten. Diesen Aspekt muss die Nato im Auge behalten.

    Geht es Putin tatsächlich darum, eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine zu verhindern?

    Mölling: Putin weiß genau, dass die Nato die Ukraine nicht aufnehmen wird. Es gibt viele Hürden für eine Mitgliedschaft und am Ende müssten alle 30 Mitglieder zustimmen. Das wird nicht geschehen. Es war der Kreml, der das Thema auf die Tagesordnung gesetzt hat. Das hat gut funktioniert. Insbesondere in Deutschland – bei uns wird jetzt eindringlich vor einer Aufnahme der Ukraine in die Nato gewarnt, obwohl sie gar nicht zur Debatte steht.

    Zur Person: Christian Mölling, 48, ist Sicherheitspolitik-Experte und Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

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