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Interview: Nach Maskenaffäre: Peter Gauweiler nimmt Alfred Sauter in Schutz

Interview

Nach Maskenaffäre: Peter Gauweiler nimmt Alfred Sauter in Schutz

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    Peter Gauweiler ist einst wegen Franz Josef Strauß in die CSU eingetreten. Er gilt als einer der letzten echten Konservativen in der Union.
    Peter Gauweiler ist einst wegen Franz Josef Strauß in die CSU eingetreten. Er gilt als einer der letzten echten Konservativen in der Union. Foto: Gerhard Leber, Imago Images

    Wer Peter Gauweiler in seiner noblen Kanzlei am Lenbachplatz in München besucht und in einem der schweren Sessel Platz nimmt, muss sich gut konzentrieren, um bei der Sache zu bleiben. Zu viele Eindrücke. Im Vorraum zwei Porträts in Öl. Sie zeigen Peter Gauweiler und seinen Kanzlei-Partner Alfred Sauter – der nun als Hauptbeschuldigter in der Maskenaffäre selbst einen Anwalt braucht. Der Blick aus dem Fenster auf die Türme der Frauenkirche. Hinter dem Schreibtisch unzählige gerahmte Fotos. Gauweiler mit dem späteren Papst, Joseph Kardinal Ratzinger. Mit CSU-Ikone Franz Josef Strauß. Mit Medienzar Leo Kirch. Mit Oskar Lafontaine. Jedes Bild ein Statement. Der 71-Jährige ist einer der letzten echten Konservativen in der CSU – und zelebriert das. Mit dem Zeitgeist braucht man diesem Mann nicht zu kommen. Und doch ist er immer für eine Überraschung gut: Neben Filterkaffee gibt es Energiedrinks aus der Dose.

    Herr Gauweiler, glauben Sie, dass die Maskenaffäre der CSU nachhaltig geschadet hat?
    Peter Gauweiler: Das kann man ja gar nicht ernsthaft bestreiten.

    Es könnte auch sein, dass diese Affäre bis zur Wahl im September längst vergessen ist.
    Gauweiler: Ich habe im Interview Ihrer Zeitung mit Markus Söder gelesen, dass er – so wörtlich – „in den Hochphasen der Corona-Pandemie morgens mit den Statistiken der Todeszahlen aufgewacht ist und abends mit den Zahlen der leeren Depots ins Bett ging“. Das war sehr ehrlich und die Frage an die Politik insgesamt bleibt, wie es soweit kommen konnte, dass der Bund und die Länder auf die jetzige Katastrophe so komplett unvorbereitet waren? Die von Ihnen angesprochene Masken-Debatte hatte, wie immer wenn es um Skandalisierung geht, natürlich auch eine Ablenkungsfunktion.

    Also ist es für Sie kein Skandal, wenn Abgeordnete wie Alfred Sauter mitten in der größten Krise der Neuzeit für die Vermittlung lebensrettender Masken Millionenhonorare eingestrichen haben?
    Gauweiler: Manchmal ist eine Fehleinschätzung schlimmer als ein Skandal. Auf der anderen Seite amtiert Alfred Sauter seit über 40 Jahren mit offenem Visier als erfolgreicher Anwaltskollege und wurde von der Bevölkerung – offensichtlich gerade auch deshalb – immer wieder ins Parlament gewählt. Wenige unter den lebenden einschlägigen Akteuren haben für ihre schwäbische Heimat so viel getan wie er. Vielleicht noch Theo Waigel, der vor vielen, vielen Jahren sein Trauzeuge war, übrigens gemeinsam mit mir. Sauter gilt bei Freund und Feind als Organisationsgenie. Ich bin ziemlich sicher: Mit ihm als Amtsträger wäre Deutschland nicht Schlusslicht bei der Beschaffung von Impfstoffen für die eigene Bevölkerung gewesen.

    Wir verstehen schon, dass Sie als sein Kanzlei-Kompagnon Alfred Sauter verteidigen müssen. Aber noch mal: Sie können doch nicht ernsthaft so ein Verhalten in Ordnung finden?
    Gauweiler: Ja, ja, ich weiß: „Zu spät, Du rettest den Freund nicht mehr“ – frei nach Friedrich Schiller. Aber Freundschaft soll doch auch kein leerer Wahn sein. Da oben an der Wand sehen Sie ein Bild von uns beiden, als wir im Jahr 1979 unsere erste Kanzlei gegründet haben – die zwei da mit den langen Haaren. Wenn Alfred mit einer Zeitmaschine die Sache rückgängig machen könnte, würde er dieses Mandat, das ihm so viel Unglück bereitet hat, sicher nicht mehr annehmen. Was aber trotzdem und gar nicht geht, ist diese ungenierte Vorverurteilung vor aller Augen. Getreu dem Motto: erst das Urteil, dann das Verfahren.

    Sie meinen, dass die CSU Sauter so schnell wie möglich loswerden wollte?
    Gauweiler: Diese öffentliche Ausstoßung eines Weggefährten von Jahrzehnten hätte nicht geschehen dürfen. Umso mehr, als der Betreffende seinen Parteifreunden anbot, bis zur Klärung des Vorgangs alle seine Ämter ruhen zu lassen.

    Mit dieser Sicht der Dinge dürften Sie ziemlich alleine dastehen.
    Gauweiler: Das tue ich öfter, es gibt Schlimmeres. Dieses unnachgiebige Aussondern alter Freunde kam erst nach Strauß in Mode: Ein Fehltritt in der politischen Steilwand, Du hängst in den Seilen – und wirst abgeschnitten. Sagt Ihnen der Name Otto Wiesheu etwas?

    Selbstverständlich, der ehemalige bayerische Wirtschaftsminister.
    Gauweiler: Einer der Besten, die wir hatten. Trotzdem: Sie erinnern sich dann auch an jenen Verkehrsunfall mit Todesfolge unter Alkoholeinfluss. Wissen Sie, wie Strauß reagiert hatte? Eine fürchterliche Geschichte, sagte er, wir denken an das Opfer und seine Familie. Aber wir vergessen auch unseren Freund Otto nicht. Als in einer Sitzung selbst ernannte Ankläger schon mit den Hufen scharrten, bemerkte er eher beiläufig, es sollten sich eigentlich nur Leute zu Wort melden, die noch nie unter Alkoholeinfluss Auto gefahren sind. Es hat sich dann niemand mehr gemeldet. Strauß sagte nur noch: Dann lassen wir jetzt die Polizei, die Staatsanwaltschaft und die Gerichte ihre Arbeit tun und wünschen unserem Freund Tapferkeit und eine untadelige Haltung in diesem Unglück.

    Man könnte auch sagen: Gut, dass so etwas heute nicht mehr geht. Doch zurück zu Alfred Sauter: Die CSU hätte ernsthaft sagen sollen: Das war nicht richtig, was er getan hat, aber wir warten mal das Verfahren ab?
    Gauweiler: Was denn sonst? Nichts anderes. Die justiziellen und parlamentarischen Kontrollen funktionieren doch.

    Alfred Sauter (links) und Peter Gauweiler sind Partner in einer Münchner Anwaltskanzlei.
    Alfred Sauter (links) und Peter Gauweiler sind Partner in einer Münchner Anwaltskanzlei. Foto: Ulrich Wagner

    Wie schätzen Sie die juristischen Ermittlungen gegen Sauter ein?
    Gauweiler: Allein die Frage und die Ankündigung, ein neues Gesetz zu schaffen, zeigen ja schon, dass es bei bestehender Rechtslage mit der Verurteilung nicht so weit her sein kann. Ich sage nur, dass die Generalstaatsanwaltschaften in Berlin und Baden-Württemberg sich bei gleichem Sachverhalt geweigert haben, auch nur einen Anfangsverdacht zu bejahen. Natürlich hat die Sache noch eine persönliche zusätzliche Komponente: Dem Geldverdienen bei Katastrophen hängt ein Makel an. Dem Geldverdienen überhaupt auch.

    Sie sprechen aus eigener Erfahrung...
    Gauweiler: Mir ist in meiner politischen Karriere und gleichzeitigen Berufstätigkeit als Rechtsanwalt immer vorgehalten worden: zu viel Geld, zu konfliktreiche Mandate. Ich fand das dagegen immer etwas Positives in meinem Leben. Als ich zum ersten Mal in den Bundestag kam, war mein Stimmkreis München Süd, mit vielen traditionellen Arbeitervierteln. Ich konnte der SPD den Stimmkreis abnehmen, gegen einen nicht unsympathischen Juso. Bei einer Wahlkampfveranstaltung hatte er ins Publikum gefragt: Braucht die Arbeiterschaft in Sendling einen Abgeordneten, der am Starnberger See eine Villa hat? Meine etwas unbefangene Antwort hatte mir nicht geschadet: „Erstens habe ich nicht ein Haus, sondern mehrere. Und zweitens: Braucht die Sendlinger Arbeiterschaft einen Mandatar, der ohne Diäten nicht seine Miete bezahlen kann?“ Die wirtschaftliche Abhängigkeit von der Politik ist angreifbarer als die vom Beruf.

    Sie waren immer einer der Bundestagsabgeordneten mit den höchsten Nebenverdiensten –und sollen nach einem Medienbericht in den vergangenen Jahren allein dem Unternehmer August von Finck mehrere Millionen Euro aus anwaltlicher Tätigkeit berechnet haben.
    Gauweiler: Man ist ja durch die Berufspflichten zur Verschwiegenheit immer gehindert, über Mandate und den Beratungsgegenstand zu sprechen. Aber ich kann Ihnen sagen: Ich habe solche hochkarätigen Mandanten immer als Qualifikation und Auszeichnung angesehen. Die viel diskutierten Millionen-Honorare, die sich über Jahrzehnte angesammelt haben sollen, sind im Übrigen gemeldete Umsätze und keine Einnahmen. Der Unterschied von beidem dürfte klar sein.

    Ein bisschen was wird schon hängen geblieben sein. Solche Nebenverdienste sind für normale Bürger völlig unbegreifbar – zumal ja eigentlich das Mandat im Mittelpunkt stehen soll. Ist Ihnen klar, dass Sie damit das Misstrauen gegen Politiker befördern?
    Gauweiler: Misstrauen befördert die Verwechselung von Ethik und Heuchelei. Jedes Einkommen, das über dem eines anderen liegt, sorgt naturgemäß für unterschiedliche Gefühle. Nach Schiller jetzt Goethe: „Nur die Lumpen sind bescheiden, Tapfere erfreuen sich der Tat“. Ich habe mein Leben lang mein Geld selber verdient, um nicht auf Diäten als Abgeordneter angewiesen zu sein. Das hat mich frei und unabhängig gemacht.

    Dann müssten Ihnen angesichts der neuen Transparenzregeln der CSU – die speziell auch Nebentätigkeiten von Anwälten einschränken sollen – die Haare zu Berge stehen?
    Gauweiler: Das mit den Haaren geht ja bei mir nicht mehr, aber Sie haben schon recht. Soll wirklich verboten werden, als Anwalt auch Politiker zu sein? Da hebt man etwas auf, was seit Cicero zum Selbstverständnis der freien Advokatur gehört – sich immer auch politisch einbringen zu können. Politik sollte nicht zum Brotberuf werden.

    Noch mal: Das Problem beginnt doch, wenn sich Beruf und Mandat vermischen.
    Gauweiler: Die vermischen sich immer. Kein Mensch kann sich in zwei verschiedene Persönlichkeiten aufspalten. Als Abgeordneter vertrete ich das Volk in seiner Gesamtheit, als Anwalt die Interessen meiner Klienten. Die richtige Trennung ist in zahlreichen Vorschriften geregelt. Das heißt nicht, dass man nicht in Gefahr ist, diese Trennlinien zu touchieren. Dafür gibt es eine investigative Presse, die das Gegengewicht darstellt. Aber dass Mandatsträger neben der Wahrnehmung des Mandats berufstätig sind, ist nicht nur erlaubt, sondern – jedenfalls nach Meinung des Bundesverfassungsgerichts – erwünscht, weil es die Einbindung der Abgeordneten in die Lebenswelt der Menschen fördert.

    Hat die CSU ein Glaubwürdigkeitsproblem?
    Gauweiler: Glaubwürdigkeit ist das Gegenteil von Verstellung. Natürlich zelebriert die Presse wie im Fall Sauter immer wieder wunde Punkte, was in gewisser Weise ja auch ihre Aufgabe ist. Dass sich jede Partei, die etwas auf sich hält, glaubwürdig um geordnete Verhältnisse in ihren Reihen kümmert, ist eine Selbstverständlichkeit. Dazu gehört aber nicht, sich zu Stichwortgebern von Kampagnen degradieren zu lassen. Die CSU hat deshalb immer wieder Pfeile auf sich gezogen, weil sie sich dazu nie hergegeben hat. Diesen Nimbus der Uneinnehmbarkeit sollten wir uns nicht nehmen lassen.

    Das sehen einige anders – etwa Leute, die bis heute versuchen, die Affären der Strauß-Ära, also Ihrer großen politischen Zeit, aufzuarbeiten. Der Skandal-Dunst von heute erinnert an damals.
    Gauweiler: Damals war die Verflechtung von Politik und Wirtschaft ein Teil unseres politischen Erfolgs. Wie die Verbindung von Politik und Arbeit und Kirche und Kultur. Das hat Bayern zur erfolgreichsten Region Europas gemacht und war in jedem Fall eher gut als schlecht. Wenn Strauß ins Ausland geflogen ist, hat er fünf Aufträge für Airbus mitgebracht. Nach seinem Tod hat selbst die IG-Metall bei einer Großdemonstration ein Transparent mit der Aufschrift durch unsere Straßen getragen: „Strauß hätte uns geholfen“. Heute ist die interessanteste Frage auf einer Politiker-Reise, ob der Betreffende seine Hotelkosten selber bezahlt hat.

    Peter Gauweiler im Jahr 1987 mit seinem politischen Vorbild Franz Josef Strauß.
    Peter Gauweiler im Jahr 1987 mit seinem politischen Vorbild Franz Josef Strauß. Foto: Frank Mächler, dpa

    Würde Franz Josef Strauß als Politiker heute noch funktionieren?
    Gauweiler: Natürlich. Strauß war intakt. Und faszinierte. Faszinieren heißt anziehen, fesseln, bezaubern. Dies funktioniert bis ans Ende aller Tage. Bis wir durch Roboter ersetzt werden.

    Apropos Roboter: Söder hat sich im Duell um die Kanzlerkandidatur als Modernisierer in Szene gesetzt. Ist das noch die Marke CSU?
    Gauweiler: Ich halte Söder für einen Ausnahmepolitiker, natürlich ist er Marke CSU pur. Aber dieses Dilemma mit seiner Kanzlerkandidatur erlebt und erleidet die CSU jetzt zum dritten Mal – vor Söder bei Stoiber und Strauß. Der unerbittliche Machtanspruch unserer größeren Schwester führt immer zu Verrenkungen, die ohne Verletzung unseres eigenen Selbstverständnisses nie bewältigt werden konnten. Das betrifft beispielsweise das berühmte bayerische Paradox, zu dem es gehört, unterschiedliche Ideen gleichzeitig im Kopf zu behalten. Wir wollen gleichzeitig weltoffen und identitär sein, rechtes und linkes Denken in Übereinstimmung bringen und immer auch mehr als einen kleinen Schuss Separatismus pflegen. Diese Sonderstellung setzt eine Konzentration auf Bayern voraus. Was sich naturgemäß mit der Nachfolge eines „Reichskanzlers“ in Berlin zwickt und beißt. Wieder andererseits: Wenn die CSU ihre bavaristische Sonderstellung aufgibt, ist sie weg.

    Besteht diese Gefahr aus Ihrer Sicht?
    Gauweiler: Die letzten sechs Jahre waren ein Wechselbad der Gefühle. Zwischen AfD-Nachmacherei und den Gesprächen mit Bäumen. Wir haben vorhin viel von Glaubwürdigkeit gesprochen: Nimmt man uns das ab? Die CSU darf keine Mainstream-Partei werden. An der Spitze des Fortschritts zu stehen heißt bei uns nach wie vor, auch konservativ zu sein. Erkennbar, sichtbar, hörbar.

    Die Zeiten ändern sich eben. Damit erklärt Söder ja seinen Modernisierungskurs.
    Gauweiler: Natürlich ändern sich die Zeiten und wir uns in ihnen, das nennt man Evolution. Mich stört etwas anderes bei der Union: diese Anbiederung an die Linksliberalen und „Selbstgerechten“, wie sie Sahra Wagenknecht genannt hat.

    Söder hält dagegen, man dürfe nicht mehr nur das Stammpublikum der CSU ansprechen. Widersprechen Sie da?
    Gauweiler: Von FJS stammt der Satz: Stammkundschaft geht vor Laufkundschaft und er hatte recht damit. Das steht zu wenig im Mittelpunkt. Sie sehen also: Ich fehle hinten und vorne (lacht).

    Also würde es Sie reizen, noch einmal Politik für die Stammkundschaft zu machen?
    Gauweiler: Na ja. Laufen Sie doch mal durch Berlin – an der einen Ecke ein Drogen-Nest, in der anderen Ecke prügeln sich die Leute auf der Straße und überall sind die Häuser mit Graffitis beschmiert. Das stört viele Menschen und denen müssen wir von der bürgerlichen Mitte her wieder Gehör verschaffen. Ich wäre gern für ein Jahr lang Kreisverwaltungsreferent in Berlin. Das würde mir großen Spaß machen. So wie einst Rudy Giuliani in New York aufgeräumt hat. Aber im Ernst: Ich bin politisch, bis ich sterbe.

    Aber was macht man, wenn die Stammkundschaft immer kleiner wird?
    Gauweiler: Das ist das Alarmzeichen. Die CSU darf sich mit solchem Substanzverlust niemals abfinden. Und da kommt die Bindekraft einer Partei ins Spiel. Die wirkt nicht durch das Nachmachen anderer.

    Vielleicht haben junge Menschen ganz andere Probleme, für die sie Lösungen von der Politik erwarten?
    Gauweiler: Ja, ja. In keinem Land gibt es so viele Digitalminister wie bei uns und dahinter steckt ein wichtiges Thema – für alle Generationen übrigens. Aber wenn ich heute im Auto von Lenggries an den Sylvensteinspeicher fahre, bin ich mit meinem Smartphone von der Außenwelt so abgeschnitten wie in Nordkorea. Verstehen Sie? Es geht nicht darum, was man verkündet, sondern, was man liefert.

    Markus Söder setzt sich gerne als Modernisierer der CSU in Szene. Manchen in den eigenen Reihen geht die Erneuerung zu weit.
    Markus Söder setzt sich gerne als Modernisierer der CSU in Szene. Manchen in den eigenen Reihen geht die Erneuerung zu weit. Foto: Ulrich Wagner

    Ist die CSU unter Söder zu beliebig geworden?
    Gauweiler: Söder hat schon in seinem ersten Amtsjahr seine Fähigkeit unter Beweis gestellt, unsere weltanschaulichen Prinzipien beim Wort zu nehmen. Denken Sie an den Kreuzerlass oder die Wiederherstellung der Schutzfunktion unserer Grenzen. Man merkt natürlich auch, dass er ein Berufskollege von Ihnen war: Journalisten stellen sich auf jeden Tag neu ein und überlegen, was heute neue spannende Themen sein könnten. Das hat auch er in sich. Andererseits kennzeichnet Politik das Bohren dicker Bretter, was man durchhalten können muss. In der Debatte um den Kreuzerlass hat Söder bewiesen, dass er das kann. Das hat Mut erfordert. Dafür habe ich ihn bewundert.

    Aber auch in Bayern ändert sich doch viel. Der CSU sterben die Leute weg, der Zuzug verändert das Land.
    Gauweiler: Unsinn. Ich habe gerade dieses neue Buch von Sahra Wagenknecht besprochen. Sie schreibt ja gegen die Dominanz des Linksliberalismus an und liest uns dabei unsere eigenen Gedanken vor: Sie sagt, die Flexibilitäts- und Mobilitätsansprüche dieser Leute kollidieren mit dem Anspruch, eine stabile Familie zu gründen, mit Heimatverbundenheit, mit lokaler Verwurzelung. Für religiösen Glauben, für Wertschätzung von Traditionen und für die Nation als Bezugsrahmen sei bei den Linksliberalen kein Platz. Entschuldigung, das muss eine vormalige Vorsitzende der Linken uns aufschreiben. Hallo liebe Bürgerliche, lasst Euch diese Werte nicht ausreden! Und landet damit einen Bestseller. Markus Söder hört das sicher ganz genau.

    Söder hat sich geärgert, dass der CDU-Vorstand die K-Frage im „Hinterzimmer“ entscheiden wollte. Sehen Sie das auch so?
    Gauweiler: Diese Kritik war berechtigt. Personalklüngel als Form der Repräsentation ist eine der großen Krankheiten unserer Politik. In keinem westlichen Land haben die Stimme des Einzelnen und die Mehrheitsmeinung der Bevölkerung so wenig zu sagen wie in Deutschland.

    Was halten Sie von Armin Laschet?
    Gauweiler: Für ihn spricht, dass er aus einem Umfeld kommt, dem gerade Westdeutschland viel verdankt: dem rheinischen Katholizismus, der nach dem Krieg Deutschland wieder zu Ansehen in der Welt und vor sich selbst verholfen hat. Er ist immer bei sich selbst geblieben und auch im Scheitern besser geworden – mir persönlich war politisch ein bisschen zu viel Rita Süßmuth dabei. Aber sein engster Mitarbeiter kommt, so lese ich, aus dem Freundeskreis von Kardinal Ratzinger.

    Das müssten Sie ja sehr schätzen, oder?
    Gauweiler: Natürlich spricht das für ihn und wir werden ihn unterstützen. Dies gilt übrigens auch für Friedrich Merz, der nicht heruntergemacht werden sollte.

    Der Kontrast zur jungen Kanzlerkandidatin der Grünen könnte aber größer kaum sein. Wie finden Sie Annalena Baerbock?
    Gauweiler: Bei Frau Baerbock schwingt für mich immer ein bisschen das Schülermitverwaltungshafte mit. Typ begabte Klassensprecherin. Sollten wir mit denen was zusammen machen müssen, gäbe es allerdings eine glaubhafte Übereinstimmung: Die Einführung des Volksentscheids auf Bundesebene, wofür Bayern aufgrund seiner plebiszitären Tradition immer eingetreten ist und die Grünen von ihrer basisdemokratischen Schule her auch.

    Annalena Baerbock zieht als Kanzlerkandidatin der Grünen in die Bundestagswahl.
    Annalena Baerbock zieht als Kanzlerkandidatin der Grünen in die Bundestagswahl. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Halten Sie es für ein Problem, dass Baerbock keine Regierungserfahrung hat?
    Gauweiler: (lacht)…die hatte Alexander der Große auch nicht.

    Sie würden ihr die Kanzlerschaft zutrauen?
    Gauweiler: Weiß ich nicht. Politik ist Richtungsbestimmung. Diese Definition von Politik hat man/frau in den letzten Jahren ein bisschen vergessen, weil Angela Merkel für eine andere Art von Politik stand.

    Für welche?
    Gauweiler: Unsereinen hat es in die Politik gezogen, wie einen Eisbrecher durch das Eis. Angela Merkel betreibt Politik als Kunst des Wellenreitens. Da wird die Richtung vom Wind bestimmt und es geht vor allem darum, sich auf dem Brett zu halten. Otto von Bismarck schrieb in seinen Erinnerungen: „Unda fert, nec regitur“ – die Welle trägt, aber sie regiert nicht. Die spontanen, nicht erklärten Richtungswechsel der Union beim Surfen durch die letzten 20 Jahre waren von dieser Art geprägt – die CSU hat das nicht unberührt gelassen.

    Aber hatten Sie vorher nicht die Ambivalenz als Erfolgsgarantie gepriesen?
    Gauweiler: Ambivalenz bedeutet ja nicht Grundsatzlosigkeit, sondern Unterschiedliches auszuhalten und zu meistern. „Moderne“ Debatten laufen doch mehr oder weniger so: Sie sagen etwas und ich gebe Ihnen recht. Ein anderer sagt das Gegenteil und ich gebe ihm auch recht. Wenn dann ein Dritter sagt: Aber Herr Gauweiler, Sie können doch nicht beiden gleichzeitig recht geben, antworte ich ihm: Da haben Sie recht.

    Generalsekretär Markus Blume hat gerade in einem Interview gesagt, die Partei solle im Wahlkampf dringend die Finger von „Identitätsthemen“ lassen. Wir haben die leise Vermutung, dass Sie das anders sehen…
    Gauweiler: Noch vor wenigen Jahren hat die CSU in Berlin ein Heimatministerium gegründet, dessen Aufgabe die Wahrung der Identität unserer Heimat bestimmen sollte. Sollen wir davon wirklich die Finger lassen? Als ich diese Empfehlung unseres Generalsekretärs las, der gerade den Wahlkampf vorbereitet, musste ich an den Augsburger Bert Brecht denken und seine Parabel von Herrn Keuner: „Herr Keuner was tun Sie gerade?“ Herr Keuner: „Oh ich habe viel Mühe, ich bereite gerade meinen nächsten Irrtum vor“.

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