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Interview mit Ekin Deligöz: Warum sie zur Bundestagswahl 2025 nicht mehr antritt

Interview

„Man muss auch loslassen können“: Deligöz tritt zur Bundestagswahl nicht mehr an

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    Familienstaatssekretärin Ekin Deligöz wird bei der nächsten Bundestagswahl nicht mehr antreten.
    Familienstaatssekretärin Ekin Deligöz wird bei der nächsten Bundestagswahl nicht mehr antreten. Foto: Marcus Merk

    Frau Deligöz, nach 27 Jahren im Bundestag treten Sie zur Wahl im nächsten Jahr nicht mehr an. Sitzt der Frust über die drei Ampeljahre bei Ihnen so tief?

    Deligöz: Nein, ich bin überhaupt nicht gefrustet, sondern stolz darauf, Deutschland in dieser Zeit ein Stück weit mitgestaltet zu haben. Meine Beweggründe sind rein persönlicher Art.

    Vor einigen Monaten haben Sie eine schwere Krankheit öffentlich gemacht – eine seltene Autoimmunerkrankung. Wie sehr hat das Ihre Entscheidung beeinflusst?

    Deligöz: Solche Diagnosen bringen einen natürlich zum Nachdenken. Aber ich habe inzwischen gute medizinische Hilfe bekommen und gelernt, mit meiner Krankheit zu leben. Sie ist auch nicht der entscheidende Grund. Wenn ich mich aus der Politik zurückziehe, werde ich Mitte 50 sein, das ist für mich ein guter Zeitpunkt, um noch einmal etwas Neues anzufangen, um mein Wissen, mein Können und meine Erfahrungen an anderer Stelle einzubringen. Würde ich erneut kandidieren und für weitere vier Jahre in den Bundestag gewählt, wäre dieser Zug vermutlich abgefahren. Ich bin gespannt, was noch an Neuem entstehen kann. Dazu aber muss man auch loslassen können.

    Ein Mandat oder ein Regierungsamt ist immer ein Amt auf Zeit. Trotzdem fällt es vielen Politikern schwer, loszulassen. Ihre Parteifreundin Claudia Roth zum Beispiel ist mit 69 Jahren in Augsburg gerade noch einmal nominiert worden. So gesehen hätten Sie durchaus wieder antreten können…

    Deligöz: Das muss jede und jeder für sich entscheiden. Ich bin diplomierte Verwaltungswissenschaftlerin und habe mich auch in der Politik mit vielen Verwaltungsfragen beschäftigt. Nun habe ich einfach Lust, wieder in dem Beruf zu arbeiten, den ich einmal erlernt habe: Verwaltungsmodernisierung, Management, Bürokratieabbau.

    In Ihrem Abschiedsbrief an die Partei bezeichnen Sie Ihre Zeit im Haushaltsausschuss als die schönste in Ihrem politischen Leben. Schöner als die letzten Jahre als Staatssekretärin also auch. Was hat der Haushaltsausschuss, was das Familienministerium nicht hat?

    Deligöz: Als Abgeordnete ist man immer davon abhängig, was einem Ministerien zuliefern oder wie Verhandlungen zwischen den Parteien verlaufen. Im Haushaltsausschuss ist das anders, seine Mitglieder verhandeln auf Augenhöhe mit der Regierung und pflegen einen unglaublich solidarischen Umgang über die Grenzen der demokratischen Parteien hinweg. Dieses gleichberechtigte Arbeiten von Regierungsfraktionen und Opposition fand ich immer sehr prägend. Hier steht das Suchen nach Lösungen im Vordergrund und nicht die Parteitaktik.

    Mal ehrlich: wie sehr hat es sie geschmerzt, dass sie als engagierte Familienpolitikerin nach dem Rücktritt von Anne Spiegel vor zwei Jahren nicht selbst Ministerin wurden, sondern die fachfremde Parteilinke Lisa Paus?

    Deligöz: Ich bin eine Fachpolitikerin, ich habe in der Sozialpolitik angefangen, war Vorsitzende der Kinderkommission des Bundestages und stellvertretende Vorsitzende des Familienausschusses, ich habe Deutschland auch bei diversen internationalen Verhandlungen vertreten und dank der acht Jahre im Haushaltsausschuss noch einmal einen ganz anderen, sehr substanziellen Blick auf die Dinge bekommen. Das ist, wie ich finde, schon eine große Qualifikation für eine Regierungsverantwortung, wie ich sie auch als Parlamentarische Staatssekretärin trage. Wir sind ein Team im Ministerium, und meine Ministerin lässt mir sehr viele Freiheiten in meinem Amt. Auch deshalb haben wir einen guten Umgang miteinander.

    Sie haben als junge Abgeordnete schon die rot-grüne Koalition unter Gerhard Schröder miterlebt. Warum hat sie besser funktioniert als die Ampel? Auch damals waren die Herausforderungen groß. Der Irak-Krieg, fünf Millionen Arbeitslose, die BSE-Krise, der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr…

    Deligöz: Rot-Grün war eine Koalition aus zwei Parteien, die in die gleiche Richtung gedacht haben. Die Ampel ist eine Koalition aus drei Parteien, die nicht immer am gleichen Strang ziehen. Und ja, die Herausforderungen damals waren groß, aber heute sind sie um ein Vielfaches größer. Früher haben wir uns mit einem Thema wochenlang beschäftigt, heute wissen Sie oft nicht, mit welchem Thema Sie morgens aufwachen und welches Ihnen am Nachmittag auf den Tisch fällt, weil wir uns seit Jahren bereits in multiplen Krisen befinden. Die Welt dreht sich immer schneller, sie ist digital extrem vernetzt, die Abläufe in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Medien sind mittlerweile atemberaubend schnell. Wir aber sollen auf jede Frage am besten sofort eine Antwort haben, was natürlich nicht funktioniert.

    Glauben Sie noch an eine Regierungsbeteiligung der Grünen nach der nächsten Wahl – und, wenn ja, in welcher Konstellation?

    Deligöz: Bis zur nächsten Wahl haben wir noch etwas mehr als ein Jahr, da kann sich noch sehr viel tun und verändern, so schnelllebig wie unsere Zeit ist. Ich hätte keine Probleme mit Schwarz-Grün und würde allen demokratischen Parteien empfehlen, offen zu sein, damit am Ende überhaupt eine Koalition gebildet werden kann. Was wir gerade in Thüringen und Sachsen erleben, ist ein Desaster. Wenn nicht ganze Regionen unseres Landes unregierbar werden sollen, müssen alle demokratischen Parteien in der Lage sein, miteinander zu reden.

    Sie werden bei der nächsten Regierungsbildung nicht mehr dabei sein. Wissen Sie schon, wo Ihr beruflicher Weg Sie nach der Wahl hinführt?

    Deligöz: Ich bin und bleibe ein politischer Mensch und ich werde meiner Partei in möglichen Koalitionsverhandlungen natürlich noch zuarbeiten, wenn sie das wünscht. Dann aber ist es an der Zeit, selbstbestimmt zu gehen und mir ein neues Betätigungsfeld zu suchen. Ich weiß nicht, was kommen wird, aber ich freue mich darauf.

    Zur Person

    Ekin Deligöz, 1971 in Tokat in der Türkei geboren, kam als Achtjährige mit ihrer Mutter nach Deutschland. Genauer: nach Senden bei Neu-Ulm. Sie hat in Konstanz und Wien Verwaltungswissenschaften studiert und sitzt seit 1998 für die Grünen im Bundestag. Seit Dezember 2021 ist sie Staatssekretärin im Familienministerium. Deligöz, verheiratet und Mutter zweier Kinder, zählt sich zum Realo-Flügel ihrer Partei und engagiert sich unter anderem beim Kinderschutzbund und im Kinderhilfswerk Unicef.

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    1 Kommentar
    Marianne Böhm

    Ich darf sagen ohne Grünen Mitglied zu sein... dass Frau Deligöz von den Grünen eine der sympathisten Politikerinnen des Bundestag ist, war.. ohne zu beleidigen, laut, unflätig zu werden.. ein sehr intelligenter, angenehmer Mensch.... !

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