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Interview: Michael Wolffsohn: „Angebracht wäre, dass die Hamas sich bei ihrem Volk entschuldigt“

Interview

Michael Wolffsohn: „Angebracht wäre, dass die Hamas sich bei ihrem Volk entschuldigt“

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    Der Historiker und Publizist Michael Wolffsohn fordert den Westen auf, offensiv gegen Teheran vorzugehen: „Wenn der Iran die Atombombe hat, ist es zu spät.“
    Der Historiker und Publizist Michael Wolffsohn fordert den Westen auf, offensiv gegen Teheran vorzugehen: „Wenn der Iran die Atombombe hat, ist es zu spät.“ Foto: Ulrich Wagner (Archivbild)

    Herr Wolffsohn, seit vielen Tagen wird ein Vergeltungsschlag der Hisbollah und/oder des Irans gegen Israel erwartet. Wie belastend ist die Situation für Sie als Deutsch-Israeli?

    Michael Wolffsohn: Natürlich ist die Sorge groß, aber ich möchte Ihre Leser nicht mit meinen persönlichen Sorgen belasten. Diese erwarten zudem von mir Analysen und nicht Gefühle.

    Ist die Liquidierung von Führungspersonal der Hamas oder der Hisbollah wirklich ein gutes Konzept oder nicht eher kontraproduktiv angesichts der explosiven Lage, aber auch mit Blick auf das Schicksal der israelischen Geiseln in Gaza?

    Wolffsohn: Das weiß man immer erst hinterher. Es ist jedoch im Ansatz der humanste Weg. Das Signal bedeutet: Wir Israelis kämpfen gegen eure Extremisten, nicht gegen euer Volk, das sie in diese furchtbare Lage gebracht haben. Weil sie diesen Krieg begonnen haben.

    Sie haben in einem Interview mit unserer Redaktion kurz nach dem schrecklichen Massenmord und den Verschleppungen durch die Hamas am 7. Oktober 2023 einen vollständigen militärischen Sieg gegen die Hamas als notwendig bezeichnet. Ist dieses Ziel nicht längst außer Reichweite?

    Wolffsohn: Das behaupten viele, und fast alle wiederholen es papageienhaft. Fakt ist doch, dass die Hamas militärisch total geschwächt ist. Am 8. Mai 1945 gab es noch die Wehrmacht Hitlers, aber als machtpolitisches Instrument war sie kaputt. So ist es jetzt mit der Hamas. Wenn der Westen sie aber, wie jetzt, als Partner behandelt, wird sie wieder erstarken.

    Nach den Gesprächen in Doha über einen Waffenstillstand gibt es nun indirekte Verhandlungen in Gaza. Die US-Regierung drängt mit Macht auf eine Einigung. Was halten Sie davon?

    Wolffsohn: Bezüglich einer eventuellen Freilassung der israelischen Geiseln im Austausch für überführte palästinensische Terroristen ist es wohl die letzte Chance, besser: Hoffnung. Strategisch würde ein Waffenstillstand die Hamas wiederbeleben sowie die regionale Vormacht des Iran und seiner Juniorpartner - die Hisbollah im Libanon, Assads Syrien, die schiitischen Milizen im Irak und die Huthis im Jemen - stärken.

    Eine andere Hoffnung ist, dass das iranische Mullah-Regime einen großen Krieg vermeiden will, weil eine solche Eskalation die eigene Macht gefährden würde. Ist dies auch Ihre Hoffnung?

    Wolffsohn: Hoffnung ja, aber wieder ist die Analyse wichtiger. Wenn der Iran einen großen Krieg beginnt, wird er ihn verlieren. Nach verlorenen Kriegen kann sich die politische Führung selten innenpolitisch behaupten. Gleiches gilt für den libanesischen Ableger des Iran, die Hisbollah. Gleiches auch für Irans jemenitische Stellvertreter, die Huthis.

    Fürchten Sie, dass Israel seine militärischen Fähigkeiten überdehnen könnte?

    Wolffsohn: Hier und jetzt nicht, zumal die USA in einen großen Nahostkrieg eingreifen würden. Langfristig: ja. Es geht aber nicht nur um Israel, sondern um alle Nahoststaaten, die vom Iran bedroht sind. Deshalb muss der Westen insgesamt gegenüber dem Iran und seinen Ablegern offensiv handeln. Wenn der Iran die Atombombe hat, ist es zu spät.

    Die massive Bedrohung Israels hat diesmal nicht - wie früher in ähnlichen Fällen - dazu geführt, die Reihen zu schließen. Wie erklären Sie sich das?

    Wolffsohn: Auch früher war das nicht der Fall. Siehe Jom-Kippur-Krieg. In einer offenen Gesellschaft - und Israel ist eine solche - gibt es immer viele unterschiedliche Einschätzungen. Da zudem Politik und das Militär beim Hamas-Überfall vom 7. Oktober 2023 versagten, hält sich fast jeder Israeli für den besseren Ministerpräsidenten, Verteidigungsminister oder Generalstabschef.

    Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gilt bei einer Mehrheit der Bevölkerung als unbeliebt und vor allem als ein Mann, der sich bei seinen politischen Entscheidungen nicht zuletzt von persönlichen Interessen leiten lässt. Teilen Sie diese Charakterisierung?

    Wolffsohn: Ich höre den Chor der Papageien, und manches singt er richtig. Dass allein Netanjahu Politisches und Persönliches vermischt, ist aber doch eine absurde Behauptung. Welcher Politiker weltweit tut das nicht? Das macht es wohlgemerkt nicht besser oder das Unmoralische moralisch. Gerichtlich verurteilt ist Netanjahu nicht. Das Urteil fällen Richter. Hoffentlich aufgrund von Fakten und nicht von Stimmungen. Der Pöbel wollte vor 2000 Jahren die Begnadigung des Terroristen Barabas und den Tod von Friedenshoffnung Jesus.

    Israel steht international in der Kritik wegen seiner Kriegsführung in Gaza mit hohen zivilen Opfern. Die Hamas nutzt Zivilisten als Schutzschilde. Sehe Sie einen Ausweg?

    Wolffsohn: Ja, die Kapitulation der Hamas. Ihre Politik hat 40.000 Palästinensern das Leben gekostet, der Gazastreifen liegt in Schutt und Asche. Wer Palästina und die Palästinenser liebt, fordert vernünftiger- und menschlicherweise das Niederlegen der Waffen. Angebracht wäre, dass die Hamas sich bei ihrem Volk dafür entschuldigt, es als vieltausendfaches Kanonenfutter missbraucht zu haben. Ich bin sicher, dass es dann zu einem Verständigungsfrieden mit Israel kommt. Jeder vernünftige Israeli und Palästinenser will menschenwürdig leben und nicht sterben oder töten.

    Finanzminister Bezalel Smotrich steht für die rücksichtslose Forcierung des Siedlungsbaus im Westjordanland. Polizeiminister Ben Gvir scheint sich um Gesetze nicht zu scheren, betet auf dem Tempelberg und fantasiert davon, die Palästinenser in Gaza auszuhungern. Sind nicht auch die rechtsextremen Regierungsmitglieder eine Gefahr für den Staat Israel?

    Wolffsohn: Ja, das sind sie. Ohne Wenn und Aber. Und sie sind dumm oder lügen, denn sie schaden Israel und behaupten das Gegenteil.

    Zur Person Professor Michael Wolffsohn, 77, ist ein deutsch-israelischer Historiker, der viele Jahre an der Universität der Bundeswehr in München gelehrt hat. Wolffsohn ist Autor vieler Bücher über den Nahen Osten, aber auch über die Situation der Juden in Deutschland. Im Jahr 2024 erschien „Nie wieder? Schon wieder! Alter und neuer Antisemitismus“ im Verlag Herder.

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