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Interview: Linken-Chef Bartsch: "Robert Habeck ist eine der größten Enttäuschungen"

Interview

Linken-Chef Bartsch: "Robert Habeck ist eine der größten Enttäuschungen"

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    Dietmar Bartsch, Chef der Linksfraktion, fordert einen "Kindergipfel".
    Dietmar Bartsch, Chef der Linksfraktion, fordert einen "Kindergipfel". Foto: Britta Pedersen, dpa

    Herr Bartsch, Gerechtigkeit - Antwort a - existiert nicht und ist pure Ideologie. Oder ist sie - Antwort b - ein unverzichtbarer Wert, der dem Leben der Menschen erst einen Sinn gibt?

    Dietmar Bartsch: Das ist natürlich Antwort b.

    Wir waren gespannt. Als Linker kennen Sie natürlich Ihren Marx, der Kant jedoch liegt Ihnen offenbar näher.

    Bartsch: Das Problem dabei ist, dass in der Politik niemand für Ungerechtigkeit ist. Gerechtigkeit ist ein unbestimmter Begriff, der sehr heterogen definiert wird. Besser ist es, von Gleichheit, von gleichen Möglichkeiten und sozialer Sicherheit zu reden: Gleiche Chancen für Heranwachsende, was ihre Bildungschancen betrifft, unabhängig vom Geldbeutel der Eltern, und wirkliche soziale Absicherung im Alter und bei Arbeitslosigkeit. Die FDP spricht auch von Gerechtigkeit und versteht, glaube ich, was anderes darunter als wir.

    Die Linkspartei hat gerade die "Leipziger Erklärung" verabschiedet. Darin steht: "Gemeinsam stehen wir für eine Politik der sozialen Gerechtigkeit". Das bringen Sie in Zusammenhang mit einer "klaren Kante gegen Rechts". Was hat soziale Gerechtigkeit mit den Rechten zu tun?

    Bartsch: Wenn wir es nicht schaffen, den sozialen Zusammenhalt im Land zu sichern, soziale Gerechtigkeit zu etablieren, dann werden davon insbesondere Rechte profitieren. Eine wichtige Ursache für das Erstarken rechter Parteien in ganz Europa ist das Auseinanderklaffen der Schere bei Einkommen und Vermögen. Das trifft auch auf die sogenannten Reichsbürger zu.

    Ihre Partei wollte der Ampelregierung einen heißen Herbst bereiten. Es gab Proteste, aber die waren doch eher lauwarm. Hat also die Ampel in der Krise gute Arbeit geleistet?

    Bartsch: Es gab keine Massenbewegung oder Ähnliches. Aber es gab viele gute Veranstaltungen, insofern stimme ich Ihrer Analyse so nicht zu. Unser Protest auf der Straße und unsere Arbeit in der Opposition haben etwas bewegt.

    Zum Beispiel?

    Bartsch: Vor einigen Monaten wurde mir noch erklärt, warum es richtig ist, dass Rentnerinnen, Rentner und Studierende die 300 Euro Energiepauschale nicht bekommen. Gerade wurde sie ausgezahlt. Wir haben sehr früh eine Gaspreisbremse gefordert, Habeck plädierte für eine Gasumlage und noch höhere Preise. Jetzt gibt es die Bremse. Ich habe noch genau im Ohr, wie Kanzler Olaf Scholz nach den ersten beiden Entlastungspäckchen erklärte, die 100 Milliarden Euro sollen erst mal wirken und dann werde man weitersehen. Jetzt gibt es immerhin 300 Milliarden. Der Druck außerhalb wie innerhalb des Parlaments hat etwas bewegt.

    In den Umfragen hat Sie das nicht vorangebracht.

    Bartsch: Ich glaube nicht, dass derartige Dinge sofort zu Umschwüngen in den Meinungsumfragen führen. Die Linke hat sich, auch durch eigenes Verschulden, in eine schwierige Situation gebracht, um das vorsichtig zu sagen. Die ist nicht mit einem Federstrich veränderbar. Berg runter geht es verdammt schnell, Berg rauf ist mühsame, harte Arbeit. Ich war mindestens bei zwei schweren Krisen der Partei dabei. Es hat jeweils lange gedauert, bis wir aus dem Keller wieder rausgekommen sind.

    Aber das sieht Frau Wagenknecht möglicherweise gerade ganz anders. Nervt es Sie, dass da jemand die gewachsenen Strukturen einer Partei missbraucht, um davon politisch zu profitieren?

    Bartsch: Sahra Wagenknecht ist Mitglied meiner Fraktion und ich kann nicht erkennen, dass sie aus der Partei oder der Fraktion heraus von irgendwas profitieren will. Sie ist eine besondere Persönlichkeit mit einem hohen Bekanntheitsgrad. Aber ich werbe dafür, und nur dann werden wir erfolgreich sein, dass wir gemeinsam vorangehen. Sehen Sie, kaum eine Partei hat diese Spannbreite wie wir. Die reicht vom Ministerpräsidenten in Thüringen bis hin zu einer Partei, die bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein 1,6 Prozent erzielt. Da sind Welten dazwischen, und das muss man aushalten. Klar, dass es da auch Unzufriedenheit gibt. Aber Sahra und ich sind uns einig, dass wir eine starke linke Partei brauchen, die das Thema soziale Gerechtigkeit in seiner Vielfalt als Friedenspartei, als ökologische Partei annimmt.

    Wann kommt die Wende?

    Bartsch: Ich wünsche mir, dass wir das nächste Jahr dafür nutzen, wieder auf die Erfolgsspur zu kommen. Dieses Jahr war für uns ein schwieriges. Es war letztlich nicht so überraschend gewesen, dass wir bei den vier Landtagswahlen so abschneiden. Aber das nächste Jahr muss das Comeback der Linken einleiten. Da geht es um drei Dinge: Politik, Politik und nochmals Politik. Ein Ende der Selbstbeschäftigung! Ich hoffe und engagiere mich dafür, dass wir schon bei der "Wahl-Wiederholung" in Berlin ein positives Zeichen setzen können.

    Woher kommt es, dass Sie damals gesagt haben, ich gehe rein in diese Partei, die von der Geschichte überholt wurde?

    Bartsch: Norbert Blüm hat seinerzeit gesagt, Jesus lebt und Marx ist tot. Und ehrlich gesagt war das meine Haltung nicht. Ich wollte zeigen, dass diese wunderbare Idee nicht tot ist. Als ich mich engagiert habe, verließen jede Woche Zehntausende die Partei. Es gab keine PDS-Kommunalvertretung im Westen, geschweige denn eine Landesregierung, geschweige denn irgendwo einen hauptamtlichen Bürgermeister, alles weg. Das war die Ausgangsposition und wir haben eine Dekade gebraucht, um die Partei als demokratisch sozialistische neu aufzubauen. Was wir damals geschafft haben, können wir wieder schaffen. Im Vergleich ist die Ausgangslage sogar besser.

    Einigen wir uns darauf, dass Jesus und Marx leben.

    Bartsch: Sehr einverstanden. Die haben übrigens eine ganze Menge Gemeinsamkeiten. Die Bergpredigt hat mehr sozialistische Ideen als manches Buch der sogenannten Klassiker der Linken.

    Die Ampel hat, wie schon die Große Koalition vor ihr, den Versuch unternommen, Gerechtigkeit mit Geld herzustellen. Milliarden von Euros sollen die Folgen der Corona-Pandemie und der Energiekrise abmildern. Der Staat als Vollkaskoversicherung - kann das funktionieren?

    Bartsch: Vollkasko kann ich überhaupt nicht feststellen. Ich höre von der Ampel immer, dass sie die Menschen so wahnsinnig entlastet. Ehrlich gesagt, bei zehn Prozent Inflation kann man von Entlastung nicht sprechen. Die Menschen werden historisch belastet. Real und zielgenau ist viel zu wenig angekommen. Wir haben derzeit die Situation, dass viele Menschen Angst haben vor dem Winter. Für Millionen wird es das sozial kälteste Weihnachtsfest seit Jahrzehnten. Das ist die Zeitenwende, die die Menschen erreicht. Die Kinderarmut steigt, Rentner müssen sich bei den Tafeln anstellen - in diesem reichen Deutschland. Vom Vollkasko-Staat kann gar keine Rede sein. Im Gegenteil: Die Ampel schützt die Menschen nicht. Viele fühlen sich ausgeliefert. Scholz' You'll never walk alone ist der schlechteste Witz des Jahres.

    Sie hatten zuletzt häufiger die soziale Schieflage bei den Energiepreisbremsen beklagt. Man könnte ja sagen, es kriegen alle was, dann ist auch allen geholfen. Das klingt doch beinahe sozialistisch.

    Bartsch: Überhaupt nicht! Ich weiß nicht, warum Bundesminister die 300 Euro Energiegeld bekommen haben. Ich weiß nicht, warum Dax-Konzerne, die Milliardengewinne einfahren und Rekorddividenden ausschütten, durch die Strom- und Gaspreisbremse noch einen Honigtopf voller Steuergeld vor die Nase gestellt bekommen. Ich weiß nicht, warum der beheizte Außenpool des Villenbesitzers subventioniert wird. Wir hatten uns dafür eingesetzt, dass Haushalte ein bestimmtes Kontingent an Strom und Gas zu einem verbilligten Grundpreis bekommen. Damit würden die Bürger gleichbehandelt. Das haben wir bereits im Frühjahr vorgeschlagen. Das hätte man schaffen können, aber die Ampel hat den Sommer verschlafen. Jetzt bleibt nur noch Zeit für die Notlösung, bei der die Leute mit den höchsten Verbräuchen die größte Entlastung erhalten. Kein TÜV in Deutschland würde die Ampel-Bremsen abnehmen. Das ist eine absolute Zu-spät-Koalition, und der größte Zuspätkommer ist Wirtschaftsminister Robert Habeck.

    Er ist doch bei den Wählern ziemlich beliebt?

    Bartsch: Gemessen an seiner Rhetorik ist wenig rumgekommen. Zugegeben, er hat es schwer in seinem Haus. Sein Ministerium ist trotz des Führungswechsels immer noch schwarz wie die Sünde. Da freuen sich offensichtlich einige, wenn er auf die Nase fällt. Nach heutigem Stand kann ich nur sagen: Er ist eine der größten Enttäuschungen. Bis auf seine grünen Freunde sehen das auch viele Wähler so.

    Da wir bei Marx und Jesus waren: Wie feiern Sie Weihnachten?

    Bartsch: Also ich bin total froh, wenn dieses Jahr Weihnachten ist, ich freue mich darauf. Vor allem, weil ich Ruhe habe und in den Tagen bis Silvester mal ungestört lesen kann.

    Und neben der geistigen Nahrung gibt es was?

    Bartsch: Den Klassiker in meiner norddeutschen Heimat, also Ente. Ich bin weiterhin ein großer Freund davon. Wobei ich zugeben muss, dass ich die Tage vor Weihnachten bereits einige Male Ente hatte. Weihnachten bringt schon ein bisschen Zuwachs an Kilo, aber ich kann damit zum Glück umgehen.

    Zur Person: Dietmar Bartsch wurde am 31. März 1958 in Stralsund geboren. Er wuchs in Tribsees auf und studierte nach Abitur und NVA-Grundwehrdienst Politische Ökonomie an der Hochschule für Ökonomie in Berlin. 1979 wurde er Mitglied der SED, aus der später die PDS wurde. Als die Partei durch einen Skandal über ungeklärte Vermögensfragen fast implodierte, holte ihn der damalige Vorsitzende Gregor Gysi als Schatzmeister und das war der Start für Bartschs bundespolitische Karriere. Er war Bundesgeschäftsführer und kam 1998 in den Bundestag. 2002 zog sich Bartsch aus der PDS zurück und wurde Geschäftsführer der Zeitung Neues Deutschland. 2005 folgte das Comeback, Bartsch wurde Bundestagsabgeordneter für die Linkspartei. Seit 2015 ist er deren Co-Vorsitzender. Bartsch hat zwei Kinder, er spielt gerne Skat und Volleyball. Letzteres eher weniger, Ersteres mehr – und meistens gewinnt er, wie er verschmitzt einräumt.

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