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Stefan Brunnhuber, Mitglied im Club of Rome: "Die offenen Gesellschaften können Zukunft besser"

Interview

"Die offenen Gesellschaften können Zukunft besser"

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    Stefan Brunnhuber zählt zum Vordenker-Kreis Club of Rome und fordert als Ökonom eine völlig neue Finanzierung der Klimapolitik.
    Stefan Brunnhuber zählt zum Vordenker-Kreis Club of Rome und fordert als Ökonom eine völlig neue Finanzierung der Klimapolitik. Foto: C. Hardt, Imago Images

    Herr Professor Brunnhuber, Sie beschäftigen sich seit Jahrzehnten als Ökonom, Mitglied im Club of Rome und Psychiater mit Krisen. Nach Finanzkrise, Flüchtlingskrise, Corona, , Klimakrise meinen viele, dass es keine Atempause mehr gibt. Wie soll man damit umgehen?

    Stefan Brunnhuber: Wir erleben, dass sich Krisen immer vielschichtiger und ineinandergreifend zu etwas verdichten, das wir Polykrisen nennen. Das führt zu einem Zustand der Erschöpfung. Man kommt nicht mehr in einen Normalzustand, sondern muss sich ständig an neue Bedingungen anpassen. Damit droht ein Burnout. Rund 40 Prozent der Bevölkerung zeigen bereits solche Symptome. Wir müssen lernen, dass heutige Krisen nicht mehr einfach weggehen wie früher, als Erholungsphasen folgten. Solche Zyklen gibt es kaum noch. Die großen Krisen verschwinden nicht. Sie wirken so lange, bis sie gelöst werden. 

    Wo kann man ansetzen? Gibt es gemeinsame Ursachen?

    Brunnhuber: Die Gemeinsamkeit dieser Krisen ist, dass die Erdgeschichte in ein neues, anderes Zeitalter wechselt: Das Zeitalter, in dem nicht mehr die Natur, sondern der Mensch die bestimmende Urgewalt auf unserem Planeten ist. Wir nennen diese Epoche das Anthropozän. Von den Pandemien, der schwindenden Artenvielfalt, dem Klima bis zu den Kriegen ist es der Mensch, der Verursacher dieser Krisen ist und gleichzeitig die Probleme lösen kann. Es geht deshalb nicht nur darum, dass wir uns an diesen grundsätzlichen Wandel anpassen, sondern dass wir neue Spielregeln aufstellen müssen, wie wir auf dem Planeten zusammenleben wollen.

    Ist nicht eine gemeinsame Ursache, dass moderne Gesellschaften in ihrer Vernetzung schlicht anfälliger und verwundbarer geworden sind? Ist das der Preis für das Streben nach schnellem Fortschritt, Effizienz und Wohlstand?

    Brunnhuber: Dieses Streben war immer schon da. Aber wir sind an einem Punkt angekommen, an dem sich dieses System so komplex verdichtet hat, dass es die Menschen überall auf der Welt herausfordert. Heute ist die Welt in Echtzeit so sehr vernetzt, dass Krisen über alle Grenzen eine unmittelbare Rückkopplung auslösen. Lange Zeit schien man es sich leisten zu können, soziale und ökologische Folgekosten nicht in das Wachstum einpreisen zu müssen. Doch heute zahlen wir den Preis für einen instabilen Finanzmarkt, Folgen des Klimawandels und dass mit dem Raubbau an der Natur tierische Erreger auf den Menschen überspringen. Wir dachten, unser Frühstück wäre umsonst gewesen, doch wir bekommen die Rechnung jetzt zusätzlich zum Mittagessen serviert.

    Wie kommt man aus dem Krisenmodus und findet Lösungen?

    Brunnhuber: Die Mikado-Strategie – Stillhalten und Abwarten – funktioniert nicht mehr, weder für den Einzelnen noch ganze Staaten. Auch der natürliche Reflex, wir machen das, was alle anderen machen, ist kein kluger Weg. Ebenso wenig der Gedanke, wir delegieren die Probleme an den Staat, oder wie Populisten meinen, an einen Autokraten, der es schon richten werde. Der beste Weg ist es, auf die Stärke der offenen Gesellschaft zu setzen, auf Freiheit und Verantwortung. Das gilt vor allem für die Politik: Staatlicher Zwang ist der falsche Weg. Deshalb sind offene liberale Gesellschaften wie im Westen autoritären Systemen wie in China immer weit überlegen, Probleme der Menschheit zu lösen.

    Ist China nicht ein Gegenbeispiel? E-Autos, Solarindustrie, Armutsbekämpfung: Vieles geht dort schneller voran als in Deutschland bei endlosen Debatten und Genehmigungsverfahren …

    Brunnhuber: Dieses Argument ist weitverbreitet und nährt den Eindruck, autokratische Regime könnten besser mit Herausforderungen der Zukunft umgehen. Wir sollten uns von brachialen Umsetzungen wie in China nicht täuschen lassen, denn das Gegenteil ist richtig: Woher kommen die Voraussetzungen für den Fortschritt? Woher kommen die technischen Entwicklungen, die wissenschaftlichen Grundlagen? Der Entwurf für wirtschaftlichen Erfolg? Woher das nachhaltige Denken? All das kommt nicht zufällig, sondern zwangsläufig aus der freien Welt. 

    Chinas Erfolg wäre ohne den freien Westen gar nicht möglich?

    Brunnhuber: Exakt. Autokratische Gesellschaften leben von Voraussetzungen, die sie selbst nicht herstellen können. Offene Gesellschaften ringen ständig um Problemlösungsstrategien: Der Wissenschaftsbetrieb lebt vom Hinterfragen, der Markt bildet Preise. Der Fortschritt lebt von einer offenen Fehlerkultur und kritischer Rückkopplung, etwa durch freie Medien, Wissenschaftsfreiheit, aber auch durch den Kulturbetrieb, der Gesellschaft und Mächtigen den Spiegel vorhält. All das fehlt in autoritären Systemen, sie können die Ergebnisse allenfalls importieren und nachahmen. Eine Welt, die nur aus Autokratien bestünde, wäre eine sehr viel ärmere und rückständige Welt. Die offenen Gesellschaften können Zukunft besser. Sich in Krisen nach autoritären Führern zu sehnen ist dumm. 

    Dennoch wächst die Unzufriedenheit vieler mit der Demokratie und der Zulauf zu Populisten, die autoritären Nationalismus predigen, hält an. Was hilft dagegen?

    Brunnhuber: Die Freiheit und ihre große Macht, die Zukunft positiv zu gestalten, muss immer wieder neu ins Bewusstsein gerufen werden. Es geht nicht nur um unseren Wohlstand und Nachhaltigkeit, sondern schlicht um unser Wohlbefinden. Menschsein ohne Freiheit ist schwer erträglich. Auch deshalb gehen so viele gegen autoritäre Ideologien der Populisten auf die Straße. Ich trete für einen Liberalismus 2.0 ein, um liberale Ideen weiterzuentwickeln und Fehler zu korrigieren: Liberale dürfen nicht den Staat schlechtreden oder nur dem Markt huldigen. Wir brauchen den Staat, etwa für beste Startchancen in der Bildung für alle. Das Wichtigste ist aber, dass der Staat Freiheit ermöglicht. Doch Überregulierung und Bürokratisierung zeigen, dass der Staat dem Einzelnen Freiheit in Verantwortung kaum zutraut.

    Sie sind FDP-Mitglied und Regierungsberater im Beirat für nachhaltige Finanzen. Leiden Sie dabei unter der strengen Schuldenbremsen-Politik Ihrer Partei?

    Brunnhuber: Nein, im Gegenteil! Die Schuldenbremse dient der Nachhaltigkeit. Wenn die Regierung Kredite aufnimmt, verschuldet sie sich bei Finanzriesen wie Blackrock oder der Allianz, die damit hohe Gewinne machen. Mit immer noch mehr Schulden werden wir unsere Zukunft nicht finanzieren können. Wir müssen unsere Finanzflüsse ganz anders organisieren, um Ziele wie Klimaneutralität oder gegen Armut tatsächlich verwirklichen zu können. 

    Sie schlagen seit Jahren eine Art digitalen „grünen Euro“ vor, den die Europäische Zentralbank einfach in den Markt pumpen soll. Mithilfe der Blockchain-Technologie soll das Geld nur für nachhaltige Zwecke in einem eigenen Kreislauf ausgegeben werden dürfen. Glauben Sie tatsächlich, dass diese Art Gelddruckpolitik realistisch und nicht zu riskant ist?

    Brunnhuber: Ich bin sogar sehr optimistisch, weil diese Art grüner Euro der einzige Weg ist, wie wir realistisch die von uns gesetzten Ziele finanzieren können. Billiger, schneller, effizienter und nachhaltiger geht es nicht, genau entlang der Wertschöpfungskette gewünschte Transformationsprozesse zu erreichen. Alles andere ist ökonomisch wie politisch zu teuer und lässt sich mit keinem Steuersystem der Welt machen. Im Gegenzug für das grüne EZB-Geld würden reale Werte geschaffen, deshalb drohen anders als bei klassischem Gelddrucken nicht Inflationsrisiken. Spätestens 2027 wird die EZB einen digitalen Euro mit Blockchain einführen. Dieser Euro ist noch nicht grün, aber schon digital. Ein großer Schritt in die richtige Richtung.

    Zur Person: Stefan Brunnhuber, 61, ist gebürtiger Augsburger und Ärztlicher Direktor in Sachsen, Professor in Mittweida und Vollmitglied des Club of Rome. Er berät die Bundesregierung im "Sustainable Finance-Beirat".

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