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Interview: Jens Spahn: "Eigentlich müsste die illegale Migration auf null runter"

Interview

Jens Spahn: "Eigentlich müsste die illegale Migration auf null runter"

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    Jens Spahn fordert einen strengeren Kurs in der Migrationsdebatte.
    Jens Spahn fordert einen strengeren Kurs in der Migrationsdebatte. Foto: Michael Kappeler, dpa (Archivbild)

    Herr Spahn, der Kanzler will in großem Stil abschieben. Da können Sie, der Parteivorsitzende Merz und viele andere in der Union sich ja nun entspannt zurücklehnen, denn eine ihrer dringlichsten Forderungen in der Migrationsdebatte wird erfüllt. Wie zufrieden sind Sie?
    JENS SPAHN: Der Kanzler hat nach Monaten der Ignoranz endlich erkannt, dass wir eine andere Migrationspolitik brauchen. Das ist zunächst einmal gut. Der Ansage müssen jetzt aber endlich Taten folgen.

    Sie wirken eher skeptisch?
    SPAHN: Es ist bemerkenswert, wie massiv der Kanzler von seiner eigenen SPD-Jugendorganisation kritisiert wird, wenn er endlich Recht durchsetzen und Menschen ohne Bleiberecht abschieben will. Die Jusos beschuldigen Olaf Scholz, er verwende die Sprache des rechten Mobs. Das sagt viel aus über den Zustand der SPD. Und wenn die Kanzlerpartei so schlingert, verheißt das nichts Gutes für die Handlungsfähigkeit der Regierung in der Migrationsfrage.

    Was kritisieren Sie inhaltlich?
    SPAHN: Der Fokus auf Abschiebungen reicht nicht. Wichtiger wäre, die Zahl der täglich irregulär zu uns kommenden Migranten deutlich zu reduzieren. Nur so wird eine Überlastung verhindert. Eigentlich müsste die illegale Migration auf null runter, denn was illegal ist, dürfte ja eigentlich gar nicht stattfinden.

    Was bedeutet die Ansage von Herrn Scholz für den Deutschlandpakt? Geht die Union da jetzt mit?
    SPAHN: Da muss man zwei Pfade trennen. Im Rahmen der Ministerpräsidentenkonferenz verhandeln Bund und Länder. Da geht es um wichtige Fragen wie Finanzierung, Integration und auch Abschiebungen. Doch das große Thema der Begrenzung irregulärer Migration kann nur der Bund lösen. Denn dafür muss Bundesrecht geändert und auf europäischer Ebene verhandelt werden. Wenn der Kanzler also einen Pakt will, dann erwarte ich, dass er im Bundestag endlich ernsthaft in Gespräche mit uns eintritt.

    Wie ließe sich die Zuwanderung begrenzen?
    SPAHN: Es gibt nicht die eine Maßnahme, die das alleine erreicht. Es braucht ein Bündel an Maßnahmen. Ein wichtiger Punkt ist die Höhe der Sozialleistungen. Wer bei uns einreist, hat ab dem ersten Tag Ansprüche auf Sozialleistungen wie in kaum einem anderen Land auf der Welt. Das setzt falsche Anreize. Wir müssen zudem auf europäischer Ebene dazu kommen, Asylverfahren in Drittstaaten abzuwickeln. Dafür braucht es Vereinbarungen mit diesen Drittstaaten. Wir werden zudem darüber sprechen müssen, wie wir mit Afghanistan und Syrien verfahren. Ist eine quasiautomatische Anerkennung als Flüchtling für Menschen aus diesen Ländern noch angebracht?

    In den von Ihnen genannten Ländern herrschen wahrhaftig keine Bilderbuch-Regierungen.
    SPAHN: Das gilt wahrscheinlich und leider mindestens für die Hälfte der Länder der Welt. Die Probleme der Welt lassen sich aber nicht durch Migration nach Deutschland lösen.

    Im Jahr 2015 hatten wir laut BAMF 890.000 Erstregistrierungen von Geflüchteten. Angela Merkel hat damals gesagt: Wir schaffen das. Für dieses Jahr werden 330.000 Erstregistrierungen erwartet. Warum sollten wir das heute nicht schaffen?
    SPAHN: Weil die Lage eine andere als 2015 ist. Wir haben seitdem zweieinhalb Millionen Menschen aufgenommen, zudem eine Million Geflüchtete aus der Ukraine. Viele davon sind noch bei uns. Der Ausländeranteil hat sich von sieben auf über 13 Prozent fast verdoppelt. Wir haben es bisher noch nicht geschafft, all die Menschen, die bereits gekommen sind, wirklich zu integrieren. Mehr geht aktuell nicht. Ich darf an die Worte von Altbundespräsident Joachim Gauck erinnern: Unser Herz ist weit, doch unsere Möglichkeiten sind endlich. Es geht um die Grenze dessen, was machbar ist. Zudem gibt es schlicht keine Akzeptanz für eine Migration nach Deutschland in dieser Größenordnung.

    Die Debatte dreht sich sehr um afrikanische und arabische Flüchtlinge. Auch die Ukrainerinnen und Ukrainer müssen leben und stellen Sozialsysteme wie Kommunen vor Herausforderungen. Wird die Flüchtlingsdebatte an dieser Stelle differenziert genug geführt?
    SPAHN: Natürlich muss man differenzieren. Die Aufnahme von rund einer Million Ukrainerinnen und Ukrainer hat ja mit dazu geführt, dass die Kommunen am Limit sind. Für die Ukraine haben wir allerdings ohne Zweifel direkte nachbarschaftliche Verantwortung. Kriegsflüchtlinge aus der Region aufzunehmen, entspricht dem Gründergeist der Genfer Flüchtlingskonvention. Bei Afghanistan, um bei dem Beispiel zu bleiben, gibt es eine ganze Reihe von sicheren Drittstaaten in der Region, die eigentlich Zuflucht gewähren könnten und sollten.

    Arbeitsminister Hubertus Heil hat kürzlich Maßnahmen vorgestellt, mit denen Geflüchtete schneller in Arbeit gebracht werden sollen, und gleichzeitig mit Leistungskürzungen für Arbeitsunwillige gedroht. Erst in der dritten Stufe sind maximal 30 Prozent Minderung möglich. Reicht das?
    SPAHN: Nein. Wenn jemand zum dritten Mal ein Angebot nicht annimmt, dann muss es sehr deutliche Einschnitte geben. Das gilt übrigens unabhängig davon, ob jemand seit drei Monaten oder seit 30 Jahren im Land ist. Das ist nur fair gegenüber denjenigen, die arbeiten und mit ihren Steuern das System finanzieren.

    Seit die CDU in der Migrationsdebatte ihre Rhetorik verschärfte, hat sie in den Umfragen zugelegt. Die AfD legte in der Tendenz allerdings stärker zu. Kann es sein, dass die Menschen im Zweifel lieber das Original wählen?
    SPAHN: Die Höcke-Partei ist kein Original für gar nichts. Wir haben uns schon sehr früh mit der Frage von nicht gelungener Integration beschäftigt und der Notwendigkeit, Migration zu begrenzen und die Kontrolle zu behalten. Da gab es die AfD noch gar nicht. Unsere Position hat sich über die Jahre nicht verändert. Der einzige Unterschied ist, dass wir sie in der Opposition klarer herausarbeiten können. Weil wir nicht jeden Tag gezwungen sind, Kompromiss in diesen Fragen zu machen, wie es in der GroKo der Fall war.

    Es könnte aber auch sein, dass die Union wegen des Wir-schaffen-das-Satzes von Frau Merkel keine Glaubwürdigkeit mehr aus diesem Feld hat. De facto hat die Kanzlerin damals entschieden, die Grenzen offen zu lassen. Das Ergebnis zeigt sich heute und es ist das, was die AfD stark macht.
    SPAHN: Wir haben schon 2016/2017 gesagt, dass sich 2015 nicht wiederholen darf. Ja, wir haben damals Glaubwürdigkeit verloren. Die haben wir aber in der Opposition Schritt für Schritt zurückgewonnen.

    Herr Söder hat dem Kanzler eine Große Koalition angeboten. Wäre das die Lösung aller Probleme? Wir haben neben der Migration ja gerade auch noch einige andere, die Inflation und die Wirtschaftsflaute zum Beispiel.
    SPAHN: Deutschland ist ein starkes Land. Es wird nur leider gerade sehr schlecht regiert. Und Olaf Scholz ist Teil des Problems. Seine merkwürdige Art zu regieren, seine Art, nicht zu kommunizieren, nicht zu führen, befeuert Frust und Wut im Land. Wenn die Union wieder regiert, wird es eine andere Politik geben: beim Bürgergeld spürbare Kürzungen für diejenigen, die arbeiten könnten. Energiesicherheit hat für uns Priorität, dafür müssen auch Kernkraftwerke wieder ans Netz gehen. Das überbürokratisierte Heizungsgesetz muss zurückgenommen werden. Damit wir als Standort wieder attraktiver werden, müssen die Unternehmenssteuern runter auf unter 25 Prozent. Und es muss klar sein, dass Migration wirksam begrenzt wird. Einfach nur die Minister austauschen reicht nicht. Deutschland braucht eine fundamental andere Politik.

    Zur Person

    Jens Spahn, 43, gehört seit 2002 dem Bundestag an. Der Münsterländer war Finanzstaatssekretär unter Wolfgang Schäuble, später Gesundheitsminister in den Jahren der Corona-Pandemie. Sein Versuch, CDU-Vorsitzender und damit Kanzlerkandidat zu werden, scheiterte. Die Ambition auf Höheres hat Spahn indes nicht aufgegeben.

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