Herr zu Guttenberg, wann waren Sie zuletzt in den USA?
KARL-THEODOR ZU GUTTENBERG: Das war eine Konferenz in Montana, in den Tagen, als alle auf Joe Biden einredeten, er solle sich aus dem Wahlkampf zurückziehen. Auf der Konferenz waren viele wichtige Politiker der Demokraten, die ständig an ihren Telefonen hingen und mit Washington sprachen. Das machte deutlich, wie brutal der Druck auf Biden war, für Kamala Harris Platz zu machen, viel brutaler, als wir das in Europa wahrgenommen haben.
Damals, vor gut zwei Monaten, galt der Wahlsieg Donald Trumps schon nahezu sicher, vor allem, nachdem er knapp einem Attentatsversuch entgangen war. Nun begeistert Kamala Harris die Amerikaner. Auf welche Wendungen können wir uns bis zum 5. November noch einstellen?
GUTTENBERG: Es gibt den wunderbaren Satz, der oft fälschlicherweise Lenin zugeschrieben wird: In manchen Jahrzehnten ereignet sich nichts, und in manchen Wochen ereignen sich Jahrzehnte. Vom Attentat auf Trump bis zum Rückzug Bidens – das waren gerade mal zwei Wochen, zwei Wochen, die in der Weltpolitik alles auf den Kopf stellen könnten. Ähnlich unberechenbar wird es weitergehen. Begleitet von harten Angriffen Trumps, und mit dem Versuch von Kamala Harris, weiter auf der Welle von Zuversicht und Freude zu surfen, die ihre Kandidatur ausgelöst hat. Die Frage ist, ob dies reicht. Das Fernsehduell hat noch eine weitere Facette von Harris hinzugefügt: ihr Talent, Trump mit großer Gelassenheit in die Defensive zu bringen – und ihn damit ins Messer seiner eigenen Wut laufen zu lassen.
Sind Sie auch überrascht vom obamahaften Aufstieg der Vizepräsidentin?
GUTTENBERG: Ehrlich gesagt, ja. Es ist schon erstaunlich, wie aus Kamala Harris, die man bislang als eher nüchtern wahrgenommen hat, nun ein solches Charisma-Bündel geworden ist. Als hätte sich eine völlig neue Person aus der ins Korsett gezwängten Vizepräsidentin herausgeschält. Das erinnert fast an Obama. Im TV-Duell konnte sie nicht zuletzt damit punkten.
Sie haben lange in den USA gelebt und kennen die amerikanische Politik gut. Was würden Sie Kamala Harris raten? Soll sie nun konkrete Vorschläge machen, in der Wirtschaftspolitik etwa, oder besser im Vagen bleiben, um sich nicht angreifbar zu machen?
GUTTENBERG: Am Ende sind es einige, wenige Themen, die diese Wahl entscheiden: Inflation, Immigration und das Thema Abtreibung. Wo steht Frau Harris da? Beim Abtreibungsthema hat sie über Jahre eine klare Haltung vertreten, da ist sie glaubwürdig. Bei der Immigration wird das schon schwieriger. Hier blieb sie auch im TV-Duell vage.
Kamala Harris war in der Regierung Bidens für das Thema Migration mitverantwortlich, allerdings waren die vergangenen Jahre auch in den USA alles andere als ein Beispiel gelungener Zuwanderungspolitik.
GUTTENBERG: Genau. Trumps brachiale Idee einer Mauer greift mehr als ein kompliziertes Konzept. Das ist so. Und bei der Inflation, da muss sie extrem vorsichtig sein. Die Wirtschaft brummt, aber die Menschen nehmen es nicht so wahr. Harris‘ erster Reflex, Preiskontrollen einzuführen, ging schon mal in die falsche Richtung. Das versteht sogar Hank aus Arkansas, dass das nicht funktioniert.
Während Trumps einfache Ideen bei Hank aus Arkansas gut ankommen, um bei Ihrem Protagonisten zu bleiben. Helfen Sie uns: Warum begeistert er so viele Amerikaner?
GUTTENBERG: Er trifft einen Nerv bei den Menschen, die Washington nicht mehr vertrauen. Das hat bislang keiner so unerbittlich formuliert wie Donald Trump. Und er ist authentisch. Die Menschen spüren, er mag ein widerwärtiger Charakter sein, aber er ist wenigstens er selbst. Vor allem aber: Trump hat während seiner letzten Präsidentschaft abgeliefert. Und zwar nicht nur bei den Steuersenkungen, sondern auch bei emotionalen Themen. Er hat sich dem Thema Migration angenommen, jedenfalls viel darüber geredet. Und er ist China entgegengetreten, dem großen Angstfaktor amerikanischer Arbeitnehmer.
Trump hat ja 2016 aus dem Bauch heraus erkannt, was vielen Strategen entgangen war: Die Wut der weißen amerikanischen Arbeiterklasse, die Angst um ihren Lebensstandard…
GUTTENBERG: Trump hat aus diesen Menschen, die oft schon mit der Politik abgeschlossen hatten, Wähler gemacht. Seine Wähler. Das erklärt seinen Erfolg. Und dann, noch ein Ergebnis seiner letzten Präsidentschaft: Trump hat gezielt und strategisch die Richterstellen im Land neu besetzt, viele davon auf Lebenszeit. Harte republikanische Parteigänger können Fragen etwa der Abtreibung nun auf Jahrzehnte im Sinne brachial-konservativen Denkens prägen – weit über Trumps Amtszeit hinaus.
Gleichwohl wirkt Trump seit dem Start von Kamala Harris ungewöhnlich verunsichert. Er weiß nicht, wie er auf ihren Aufstieg reagieren soll, so sieht es jedenfalls aus. Mal sagt er, Harris habe sich erst jetzt als Farbige erfunden, um die Wahlchancen zu erhöhen, dann rückt er sie in die Nähe von Kommunisten, dann veröffentlicht er Posts aus der ganz unteren Schublade…
GUTTENBERG: All das ist erbärmlich, aber charakterlich konsequent, um es zurückhaltend zu formulieren. Denn Trump hatte ja zuletzt eine große Chance, sich neu zu erfinden. Nach dem gescheiterten Attentat hatte er auch Demokraten mit seiner Reaktion beeindruckt. Die versöhnliche Botschaft blieb aber eine Eintagsfliege. Daraus hätte sich etwas wie eine Auftrittsläuterung entwickeln können. Leider hat er es nur kurz versucht – und auch das nur unter sichtbaren Schmerzen. Dann ist er in seine alten Muster verfallen.
Die Demokraten ihrerseits stellen Trump nun nicht mehr als große, dunkle Gefahr dar, sondern als seltsamen Sonderling, als „weird“, wie sie sagen.
GUTTENBERG: Das ist ein kluger Schachzug. Die Mimik von Harris während des TV-Duells spiegelte dies sehr geschickt: Eine Mischung aus Belustigung und Mitleid. Das erschüttert Trumps Eitelkeit, seine Egozentrik. Die einzige Methode für Trump, dem zu begegnen, wäre eine gute Portion Humor, auch mal über sich selbst. Aber das ist ihm erkennbar nicht in die Wiege gelegt.
Anders als 2016, als Trump völlig unvorbereitet ins Weiße Haus taumelte, hat er nun fertige Pläne in seinen Schubladen. Er distanziert sich zwar vom sogenannten Projekt 25, das eine Denkfabrik in Washington für seinen Wahlsieg erarbeitet hat. Gleichzeitig kokettiert er mit einer Art autokratischen Präsidentenherrschaft, die das Think-Tank-Projekt skizziert. Wie weit wird Trump gehen?
GUTTENBERG: Eine neue Trump-Regierung wäre bei weitem besser vorbereitet als 2016, keine Frage. Und: Die ganze Ideologie mag uns nicht passen, aber es stecken ohne Zweifel kluge Köpfe dahinter. Das kann einen schon mit Sorge erfüllen. Auf der anderen Seite: Das größte Regulativ Trumps ist sein eigenes irrationales und erratisches Verhalten. Über die Zeit korrigiert sich Trump zuweilen selbst. Es gibt nur eine einzige Konstante bei ihm: sein transaktionales Denken.
Damit meinen Sie, dass Trump in Deals denkt. Ihm ist egal, ob er ein Geschäft mit dem französischen Präsidenten macht oder mit Nordkoreas Diktator. Hauptsache, der Preis stimmt.
GUTTENBERG: Hauptsache America First, ja. Auf eine absurde Art macht ihm das aber auch berechenbar. Er wird weiter an den noch verbliebenden Grundfesten der amerikanischen Demokratie rütteln, aber auf dem Weg zu einem Diktator sehe ich ihn nicht. Die von ihm ernannten Richter am Supreme Court haben diesen Job auf Lebenszeit. Auch sie wissen: Es wird eine Zeit nach Trump geben.
Trumps Zerstörungswut zeigt sich nicht zuletzt auf internationaler Ebene. Muss die Nato erneut damit rechnen, obsolet zu werden, um Trumps Worte zu benutzen?
GUTTENBERG: Bei der Nato wird Trump erneut die wildesten Dinge miteinander verknüpfen: Nato-Beiträge und die Exporte von Volkswagen in die USA. Oder so ähnlich. Auch die Wiederannäherung an internationale Verträge, die Biden auf den Weg gebracht hat, wird handstreichartig enden. Ich gehe davon aus, dass Trump das Paris-Abkommen wieder kündigen wird.
Was würde ein Wahlsieg Trumps für die Ukraine bedeuten?
GUTTENBERG: Nichts Gutes. Trump wird versuchen, etwas herzustellen, was er Frieden nennen wird. Er wird sich als Friedensengel feiern lassen. Das wird ihm nicht in 24 Stunden gelingen, wie er gesagt hat, aber es ist schon zu befürchten, dass er die notwendigen Waffenlieferungen an die Ukraine rasch deutlich vermindert – um Präsident Selenskyj an den Verhandlungstisch zu zwingen. Die beiden sind sich ja bekanntermaßen spinnefeind. Was das in Summe für Deutschland bedeutet, ist mit den Händen zu greifen. Umso schlimmer, dass sich im politischen Berlin offenbar niemand ernsthaft mit diesem naheliegenden Szenario beschäftigt.
Wenn man in die USA blickt, sieht man das Bild einer völlig gespaltenen Gesellschaft. Was passiert, wenn Trump die Wahl verlieren sollte?
GUTTENBERG: Die Wahlen werden mit Sicherheit angefochten werden, und das könnte zu einer veritablen Verfassungskrise führen. Der 6. Januar 2021 muss nicht das letzte Beispiel dafür sein. Ich will nicht die Gefahr eines Bürgerkriegs an die Wand malen, aber das Gewaltpotenzial in den USA ist schon sehr hoch. Das gilt übrigens für beide Seiten: Es ist nicht ausgeschlossen, dass auch die Demokraten einen knappen Wahlausgang anfechten. Auch da gibt es Menschen, die ihrer Enttäuschung nicht mehr nur in Leserbriefen Ausdruck verleihen.
Nach alldem, was ist Ihre Prognose, wie geht die Wahl aus?
GUTTENBERG: Da muss ich Sie leider enttäuschen. Dies mit einer gewissen Sicherheit vorherzusagen ist in etwa so zuverlässig wie die Ankunftszeit bei der Deutschen Bahn.
Zur Person
Karl-Theodor zu Guttenberg, 52, war von 2009 bis 2011 Bundesverteidigungsminister, bevor er aufgrund einer Plagiatsaffäre zurücktrat. Der Ex-CSU-Politiker lebt inzwischen zeitweise in den USA. Er ist Autor und diskutiert in einem gemeinsamen Podcast mit Gregor Gysi über gesellschaftliche und politische Themen.
Man reibt sich die Augen! Unsere Heimatzeitung macht aus dem Blender von und zu Guttenberg, seines Zeiches Plagiator und wirecard-Lobbyist, einen US-Experten. Immerhin hat er nach seinem Desaster hierzulande ein paar Jahre in den USA verbracht, verliess damit sein persönliches Waterloo und bastelte dort an seiner Lobbyismuskarriere. Bin gespannt, was uns die Zeitung an CSU-nahen Figuren und Geschichten noch präsentiert.
Ich kann mich den Artikelschreibern ziemlich voll anschliessen. Guttenberg scheint ein guter USA-Kenner zu sein, was er schon in in seinen letzten bewiesen hat. Wer ist besser? In die unterste Schublade des jahrzehntelangen Nachtritts reihe ich mich nicht ein. Es muß amol a Ruah sein.
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