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Interview: FDP-Spitzenpolitiker Thomae kritisiert Kanzler: "Die Taurus-Entscheidung ist falsch"

Interview

FDP-Spitzenpolitiker Thomae kritisiert Kanzler: "Die Taurus-Entscheidung ist falsch"

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    Der FDP-Politiker Stephan Thomae dringt auf eine schnelle Korrektur des Machtworts von Olaf Scholz im Streit um die Taurus-Lieferungen an die Ukraine.
    Der FDP-Politiker Stephan Thomae dringt auf eine schnelle Korrektur des Machtworts von Olaf Scholz im Streit um die Taurus-Lieferungen an die Ukraine. Foto: Bernhard Weizenegger

    Herr Thomae, Sie waren früher Mitglied im Geheimdienstkontroll-Ausschuss. Wie sehr waren Sie von der russischen Abhöraktion gegen die Luftwaffe überrascht, als eine Besprechung über mögliche Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine belauscht und veröffentlicht wurde?

    Stephan Thomae: Wir wissen natürlich, dass Deutschland Zielobjekt des russischen Geheimdienstes und anderer Mächte ist. Auch der Bundestag, die Bundesregierung und viele andere Ziele werden permanent angegriffen. Aber wenn es dann passiert, dann ist man trotzdem erst mal geschockt. Hier war offenbar Leichtsinn bei der Kommunikation im Spiel.

    Politisches Ziel der Veröffentlichung war offenbar auch der Bundeskanzler, obwohl er die Lieferung der Taurus-Waffen an die Ukraine ablehnt. Teilen Sie seine Meinung in dieser Frage?

    Thomae: Nein. Ich bin wie viele Abgeordnete der FDP und anderer Parteien einer anderen Meinung. Die Taurus-Waffe ist das richtige Instrument, um Nachschubwege der Russen zu zerstören. Und wenn der Nachschub ausbleibt, wird auch die Kampfeskraft der Truppen auf ukrainischem Gebiet geschwächt. Das Ziel der russischen Spionageattacke ist es, die Entschlossenheit und die Widerstandskraft des Westens auszutesten. Wie lange leisten die Europäer den Ukrainern und anderen Ländern militärische und finanzielle Hilfe? Und wenn die Entschlossenheit des Westens Europas wankt, dann hat Wladimir Putin sein Ziel erreicht. 

    Ist das letzte Wort in Sachen Taurus gesprochen?

    Thomae: Ich halte die Entscheidung des Bundeskanzlers für falsch und kann sie sachlich nicht nachvollziehen. In Sachen Taurus-Lieferung ist die Messe noch nicht gelesen. Eine Strategie verändert sich mit der Lage. Neue Erkenntnisse, andere Entscheidungen der Bündnispartner können jederzeit zu einer anderen Lage führen. Und auch in den Regierungsparteien ist die Diskussion weiter voll im Gange. Deshalb hoffe ich, dass wir zu einer anderen Entscheidung kommen. Ich hoffe, dass dies möglichst schnell geschieht.

    Die Bundeswehr verfügt nur über rund einsatzfähige 150 Taurus-Marschflugkörper. Das Werk im bayerischen Schrobenhausen wartet auf neue Aufträge. Sollte der Bund jetzt ein Zeichen setzen und Taurus nachbestellen?

    Thomae: Deutschland sollte sich jetzt im wahrsten Sinne des Wortes für mögliche Taurus-Lieferungen rüsten und entsprechende Bestellungen bei der Industrie machen. Je früher die richtigen Entscheidungen getroffen werden, desto kostengünstiger wird es. Aber Kosten dürfen hier nicht das entscheidende Argument sein. Es geht auch um die Ausrüstung der Bundeswehr in Deutschland.

    Wie sehr belastet der Streit die Koalition? Die Mehrheit in allen Regierungsfraktionen scheint für die Taurus-Lieferung zu sein, nachdem auch die Ampelabgeordneten im Bundestag "weitreichende Waffensysteme" für die Ukraine gefordert haben …

    Thomae: Von Anbeginn der Ampelkoalition war klar, dass viele Entscheidungen schwierig sein werden, weil hier sehr unterschiedliche Partner mit völlig verschiedenen Politikangeboten zusammenkommen. Der Fall Taurus zeigt aber, dass die Konfliktlinie gar nicht immer zwischen Grünen und FDP verläuft. Hier liegt der Konflikt hin zur SPD. Aber man sieht, dass eine Dreierkonstellation anfällig für Belastungsproben ist. Doch gerade in der Ukrainepolitik geht es nicht um taktische, sondern um extrem ernste Fragen. Es geht darum, unsere Freiheit gegen autoritäre Systeme zu verteidigen. Die europäische Art zu leben, steht auf dem Spiel. Auch in unserem Land.

    Dennoch haben weite Teile der Bevölkerung den Eindruck, die Koalition streitet nur…

    Thomae: Die Zeiten sind auch für die Koalition schwierig. Die Koalition wurde in die Coronapandemie hineingegründet, nach nicht einmal hundert Tagen Regierung begann mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine ein Krieg in Europa mit allen Folgen. Das macht etwas mit einem Land, der Gesellschaft und auch mit der Politik. Zur Bilanz dieser Koalition gehört, dass es zu keiner Gasmangellage, keinen Stromausfällen, keinen kalten Wohnungen gekommen ist. Dass wir mit den Grünen eine Reform des europäischen Asylsystems und leichtere Abschiebungen durchgesetzt haben, was die Union nicht hinbekommen hat. Es gibt einen besser geregelten Weg für Arbeitskräfte aus dem Ausland nach Deutschland. Wir müssen nach Jahren, wo alle Krisen der Welt mit Geld zugeschüttet wurden, die Finanzen wieder in Ordnung bringen. Die Schulden von heute sind die Zinsen von morgen und engen alle anderen Handlungsspielräume ein. Aber bei einem Haushalt mit Ausgaben von 477 Milliarden Euro kann man wirklich nicht von einem Spardiktat sprechen.

    Dennoch scheint die FDP in den Umfragen der Verlierer zu sein. Wie gefährlich ist das für Ihre Partei?

    Thomae: Wahlkämpfe waren für die FDP noch nie Spaziergänge. Aber Totgesagte leben länger, oder wie Friedrich Hölderlin sagte: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ Ich vertraue sehr darauf, dass wir am Ende der Regierung trotz der schwierigen Zeiten eine gute Schlussbilanz der FDP vorweisen können und für eine echte Wirtschaftswende in den Wahlkampf ziehen können.

    Im In- und Ausland wird spekuliert, die FDP könnte vorzeitig die Reißleine ziehen und aus der Koalition aussteigen. Gibt es eine Sollbruchstelle für Sie?

    Thomae: Nein. Gerade in Zeiten von Kriegen und Krisen muss man zu seiner Verantwortung stehen. In einer Zeit, in der die Welt um uns in Flammen steht, wird niemand gewollt sehenden Auges den Bruch einer Regierung herbeiführen. Unsere Verfassung sieht viele Schutzmechanismen für die Stabilität einer Regierung vor, das gilt umso mehr für Krisenzeiten.

    Zur Person: Stephan Thomae ist Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion. Der 55-jährige Rechtsanwalt aus Kempten ist 2021 das dritte Mal in den Bundestag gewählt worden und ist Mitglied im Innen- und Wahlprüfungsausschuss. 

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