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Interview: Ex-Entwicklungsminister Niebel: "Ohne Sicherheit gibt es keine Nachhaltigkeit"

Interview

Ex-Entwicklungsminister Niebel: "Ohne Sicherheit gibt es keine Nachhaltigkeit"

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    Der frühere Entwicklungsminister Dirk Niebel.
    Der frühere Entwicklungsminister Dirk Niebel. Foto: Marcel Mettelsiefen, dpa (Archivbild)

    Herr Niebel, als Sie bei Rheinmetall angeheuert haben, waren Sie der Paria der deutschen Politik. Jetzt steht Ihre Branche bei der Bundesregierung plötzlich hoch im Kurs. Empfinden Sie Genugtuung?

    Dirk Niebel: Nein, das nicht. Ich fühle mich allenfalls in meiner Entscheidung bestätigt. Wer mich kennt, weiß, dass ich acht Jahre aktiver Soldat war, dass ich Mitglied im Verteidigungsausschuss war und auch als Minister den Sicherheitsbegriff immer weit gefasst habe. Meine Idee von der vernetzten Sicherheit wurde gerne als Militarisierung der Entwicklungspolitik diskreditiert, heute können sich fast alle Parteien darauf verständigen. Äußere, innere und soziale Sicherheit müssen zusammen gedacht werden.

    Ihr Unternehmen hat Munition, Hubschrauber und Panzer für 42 Milliarden Euro angeboten. Wie schnell können Sie eigentlich liefern?

    Niebel: Natürlich steht nicht alles auf dem Hof. Viele Vorhaben ließen sich aber schnell umsetzen. Munition stellen wir heute im Ein-Schicht-Betrieb her, hier könnten wir problemlos auf zwei oder drei Schichten ausweiten. Außerdem haben wir in den letzten Jahren Produktionsstätten in Südafrika, Australien, Großbritannien, Italien und der Schweiz aufgebaut und bauen gerade eine Fabrik in Ungarn, wo neue Kettenfahrzeuge gefertigt werden sollen.

    Das Beschaffungswesen bei der Bundeswehr ist legendär langsam, ineffizient und teuer. Weite Teile der Truppe haben nicht einmal vernünftige Winterkleidung. Was läuft da schief?

    Niebel: Das Amt selbst ist nicht das Problem, es sind die Rahmenbedingungen, innerhalb derer es sich bewegen muss. Wenn zum Beispiel unser Nato-Partner Niederlande eine Panzergranate zertifiziert hat, dann muss sie in Deutschland noch einmal zertifiziert werden, falls auch die Bundeswehr diese Granate anschaffen will. Das kostet viel Geld und viel Zeit. Oder ein anderes Beispiel: Wenn der Bundessicherheitsrat einen Rüstungsexport genehmigt, dann prüft das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle den gleichen Vorgang anschließend noch einmal. Ich bin der Ansicht, wenn der Kuchen gesprochen hat, hat der Krümel den Mund zu halten.

    Der Inspekteur des Heeres sagt, die Bundeswehr stehe quasi blank da. Als jemand, der beide Seiten kennt: Wo sehen Sie akut den größten Bedarf?

    Niebel: Der Bedarf richtet sich nach der Bedrohungslage. Am wichtigsten aber ist immer die persönliche Ausrüstung des einzelnen Soldaten. Wenn er (oder sie) nicht auf seine Ausrüstung vertrauen kann, geht die Moral in der Truppe schnell verloren. So benötigt der Infanterist der Zukunft modernste Kommunikationstechnik, um mit seiner Einheit, aber auch mit seinen Waffensystemen in Verbindung zu bleiben. Das kann man sehr schnell organisieren.

    Die Bundeswehr soll finanziell gestärkt werden.
    Die Bundeswehr soll finanziell gestärkt werden. Foto: Sebastian Gollnow, dpa

    Kann die Bundeswehr denn auf Knopfdruck besser werden? Die Entwicklung von Flugzeugen und Waffen dauert sehr lange, oft sind mehrere Länder gleichzeitig involviert oder Konkurrenten klagen gegen die Vergabe eines Auftrages.

    Niebel: Natürlich dauert es Jahre, das Kampfflugzeug der Zukunft oder den Kampfpanzer der Zukunft zu entwickeln. Aber viele Dinge können schnell gemacht werden. Rheinmetall etwa hat eine Modifizierung des Kampfpanzers Leopard II mit einer 130-Millimeter-Kanone vorgeschlagen. Mit diesem größeren Kaliber wäre der Leopard wieder auf Augenhöhe mit dem russischen Kampfpanzer Armata, einem der besten seiner Art. Auch für die Bekämpfung von Drohnenschwärmen haben wir schnell umsetzbare Lösungen. Und was die Wettbewerbsklagen angeht: In der gegenwärtigen Situation sollte man solche Auseinandersetzungen schnell durch einen Vergleich oder eine Rücknahme der Klage beenden.

    Was ist eigentlich dran an dem Vorwurf, dass die Bundeswehr kaputtgespart wurde? Die Verteidigungsausgaben sind doch kontinuierlich gestiegen?

    Niebel: Der frühere Außenminister Klaus Kinkel hat 1997 gesagt, Deutschland sei nur noch von Freunden umgeben. In einer solchen Situation ist die Bereitschaft, Geld für die äußere Sicherheit auszugeben, eher gering. In der Zeit des Kalten Kriegs, als ich noch Soldat war, hatten wir meiner Erinnerung nach 2500 Kampfpanzer. Heute sind es noch 225. Zwar glaube auch ich nicht mehr an die großen Panzerschlachten, aber trotzdem muss eine Armee auf solche Szenarien vorbereitet sein. Im Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan haben wir gesehen, dass die aserbaidschanische Armee zwar eine gute Artillerie hatte, geknackt aber hat sie die armenischen Panzer mit Drohnen.

    Kann es sein, dass die 100 Milliarden Euro am Ende gar nicht ausreichen? So viel kostet allein die Entwicklung des neuen europäischen Kampfjets, der den Eurofighter ersetzen soll.

    Niebel: Solche Kosten teilen sich ja mehrere Länder, aber der Bundeskanzler hat zugesagt, dass Deutschland jetzt jedes Jahr mindestens zwei Prozent seiner Wirtschaftsleistung in seine Sicherheit investieren wird. Diese Zusage werden wir auch einhalten müssen, wenn die 100 Milliarden ausgegeben worden sind.

    Die Europäische Union will Unternehmen in gesellschaftlich wertvolle und weniger wertvolle einteilen und den „guten“ Unternehmen zu besseren Finanzierungsmöglichkeiten am Kapitalmarkt verhelfen. Die Rüstungsindustrie steht bisher nicht auf der Positivliste. Ändert sich das jetzt?

    Niebel: Hier muss die EU dringend umdenken, Finanzminister Christian Lindner hat das im Bundestag auch deutlich gesagt. Darüber sollte er nun auch die Banken informieren. Ohne Sicherheit gibt es keine Nachhaltigkeit. Eine Europäische Union, die unabhängiger von den USA sein will, kann ihre Sicherheitsindustrie nicht als schädlich einstufen. Die Landesbank Baden-Württemberg und die Bayerische Landesbank haben sich jetzt schon aus der Finanzierung unserer Branche zurückgezogen, das trifft vor allem die kleinen und mittleren Unternehmen, die kein großes Eigenkapital haben. Und wenn unsere Zulieferer uns nicht mehr beliefern können, bekommen auch wir Großen Probleme. Die ersten Überlegungen der Europäischen Union haben darauf abgezielt, uns auf eine Liste unappetitlicher Investments zu setzen, gleich neben der Alkohol-, der Glücksspiel- und der Pornobranche. Ich hoffe, damit ist es jetzt vorbei.

    Zur Person: Dirk Niebel, 58, war Fallschirmjäger, 15 Jahre Mitglied des Bundestages, FDP-Generalsekretär und von 2009 bis 2013 Entwicklungsminister.

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