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Interview: Ehemaliger Wahlbeobachter: "Auch Schlampereien können eine Wahl entwerten"

Interview

Ehemaliger Wahlbeobachter: "Auch Schlampereien können eine Wahl entwerten"

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    Nach einer ganzen Serie von Pannen muss in Berlin im Februar noch einmal neu gewählt werden. .
    Nach einer ganzen Serie von Pannen muss in Berlin im Februar noch einmal neu gewählt werden. . Foto: Sebastian Gollnow, dpa (Archivbild)

    Herr Link, wissen Sie schon, wo Sie am 12. Februar sein werden?

    Michael Link: Ja, in meinem Wahlkreis in Heilbronn.

    Also nicht in Berlin, wo die Wahl zum Abgeordnetenhaus wiederholt werden muss. Dazu hat der Landeswahlleiter Wahlbeobachter der OSZE angefordert, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Sie haben da jede Menge Erfahrung …

    Link: Selbst wenn ich es wollte, könnte ich diese Wahl gar nicht beobachten. Wahlbeobachter, das ist ein eherner Grundsatz, kommen nie aus dem beobachteten Land.

    Wahlbeobachter sind sonst in Bosnien, im Kosovo oder in Kirgistan im Einsatz. Steht Berlin in einer Reihe mit solchen Ländern?

    Link: Es ist schon bemerkenswert, dass Berlin um Wahlbeobachter gebeten hat – zumal die OSZE ihre Experten in der Regel nur zu nationalen Wahlen schickt. Andererseits war das Versagen offenkundig und die Not offenbar so groß, dass Berlin jetzt einen Leumund braucht, um zu zeigen, dass es aus seinen Fehlern gelernt hat.

    Der FDP-Abgeordnete Michael Link ist nicht nur ein erfahrener Politiker, sondern auch ein erfahrener Wahlbeobachter.
    Der FDP-Abgeordnete Michael Link ist nicht nur ein erfahrener Politiker, sondern auch ein erfahrener Wahlbeobachter. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Wer hat denn da versagt? Die Verwaltung, die nicht in der Lage war, genügend Stimmzettel zu drucken und die Lokale so zu besetzen, dass auch jeder wählen konnte, der wollte? Oder die Politik?

    Link: Die Probleme in Berlin waren leider nicht neu, insofern haben das beide zu verantworten – die Verwaltung, die aus den Problemen bei früheren Wahlen nichts gelernt hat und die politischen Spitzen des Berliner Senats, die es an Aufsicht haben fehlen lassen.

    Was genau prüfen die Beobachter? Und kann noch etwas schiefgehen, nachdem Berlin die Zahl der Wahlhelfer verdoppelt hat?

    Link: Leider ist es bei der Vorbereitung schon wieder zu Pannen gekommen, indem in offiziellen Schreiben teilweise der 12. September und nicht der 12. Februar als Wahltermin angekündigt wurde. Das sind keine Manipulationen, aber auch Schlampereien können eine Wahl entwerten, wenn sie in massierter Form auftreten. Da steht Berlin jetzt im wahrsten Sinne des Wortes unter Beobachtung

    Worauf achten die Beobachter eigentlich genau?

    Link: Nach meinen Informationen wird die OSZE durch eine kleine Gruppe von internationalen Experten vertreten sein. Diese Experten beobachten nicht nur den Wahltag selbst, sondern kommen schon deutlich früher, um etwa mit den antretenden Parteien zu sprechen und sich die Wahlvorbereitungen genau anzusehen. Also z. B. die Frage, ob die Wählerlisten korrekt geführt sind. Am Wahltag beobachten die Experten, ob in den Wahllokalen tatsächlich geheim gewählt und korrekt ausgezählt wird, ob jedes Wahllokal genügend Stimmzettel hat, wie mit Schlangen vor den Wahllokalen umgegangen wird und ob alle Wähler tatsächlich die Möglichkeit haben, ihre Stimme abzugeben, wenn sie sich bis 18 Uhr angestellt haben.

    Kann ein Beobachter im Wahllokal eingreifen, wenn er feststellt, dass etwas schiefläuft? Oder beobachtet der Beobachter nur?

    Link: Beobachten ist das Gegenteil von Eingreifen. Wahlbeobachter sind keine Schiedsrichter, die hinterher sagen, die Wahl war gültig oder ungültig. Sie notieren, was sie beobachten, sie dokumentieren es und veröffentlichen ihre Ergebnisse. Die Schlüsse daraus müssen die dafür Zuständigen ziehen, also Gerichte, Parlamente oder Medien. Die OSZE selbst ist strikt zur Neutralität verpflichtet.

    Und wenn die OSZE gravierende Mängel feststellt: muss Berlin dann ein drittes Mal wählen?

    Link: Das entscheidet nicht die OSZE. Wäre Berlin allerdings ein eigener Staat, der z.B. EU beitreten wollte, hätte es mit dem Wahlchaos von 2021 keine Chance auf Aufnahme in die

    Was waren denn die gravierendsten Verstöße, die sie selbst als Beobachter erlebt haben – und wo?

    Link: Als Direktor der Menschenrechtsbehörde der OSZE war ich für über 300 Missionen zuständig, kleine wie große, denken Sie nur an die letzte Präsidentschaftswahl in Russland. Besonders deutlich ist mir das Verfassungsreferendum in der Türkei 2017 in Erinnerung, wo es teilweise zu abenteuerlichen Manipulationen kam, als die Wahlkommission noch im Laufe des Wahltages die Stimmzettel austauschen ließ. In einigen zentralasiatischen Staaten wiederum wurden Stimmen massiv gefälscht.

    Verglichen damit, sind ein paar fehlende Stimmzettel ja eine schon fast zu vernachlässigende Sünde.

    Link: Auch entwickelte Demokratien sind nicht gegen eklatantes Verwaltungsversagen gefeit. Denken Sie nur an die OB-Wahl 2015 in Köln, die wegen 53.000 ungültigen Briefwahlstimmen wiederholt werden musste oder die Wahl des Bundespräsidenten in Österreich 2016, die ebenfalls wiederholt werden musste, weil die Kuverts mit den Stimmzetteln mangels Klebstoff nicht sauber verschlossen werden konnten. Das waren zwar keine Wahlfälschungen, wie wir sie aus Russland oder Belarus kennen. Am Ende ist aber vor allem eines wichtig: Dass jeder, der wählen will, auch tatsächlich wählen kann, und jede Stimme korrekt gezählt wird.

    Zur Person: Michael Link ist Bundestagsabgeordneter der FDP. Er war Staatsminister im Auswärtigen Amt und von 2014 bis 2017 Direktor der Menschenrechtsbehörde der OSZE, zu deren Aufgaben das Beobachten von Wahlen gehört.

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