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Interview: Dobrindt: "Die Inflation wird zur sozialen Mega-Frage"

Interview

Dobrindt: "Die Inflation wird zur sozialen Mega-Frage"

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    CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt: „Der Staat verdient erheblich an den teuren Energiepreisen durch die Mehrwertsteuer mit.“
    CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt: „Der Staat verdient erheblich an den teuren Energiepreisen durch die Mehrwertsteuer mit.“ Foto: Michael Kappeler, dpa

    Herr Dobrindt, gerade lässt die Inflation die Kaufkraft der Menschen bedrohlich schrumpfen, alles wird teurer, Lebensmittel, Wohnen, Energie. Wie lange kann das so weitergehen?

    Alexander Dobrindt: Die Inflation ist die neue soziale Mega-Frage in Deutschland und Europa. Aktuell werden Einkommen und Renten durch die Inflation entwertet, das Sparvermögen der Deutschen verringert sich jede Woche. Die Politik muss jetzt gegen die Inflationskrise handeln, damit es nicht zu einem dauerhaften Vermögens- und Wohlstandsverlust bei den Bürgerinnen und Bürgern kommt.

    Was sollte die Bundesregierung tun, um das Geld zu retten?

    Dobrindt: Erstens muss die Ampel-Regierung von der aktuellen Neuverschuldung runter und schnellstens zurück zu einem ausgeglichenen Haushalt und zur schwarzen Null, denn Verschuldungspolitik führt automatisch auch zur Entwertung von Vermögen. Die zweite Säule ist die Steuerpolitik: Die kalte Progression bei der Einkommensteuer muss entschieden bekämpft werden, damit Lohnerhöhungen nicht durch höhere Einkommensteuersätze aufgefressen werden, und wir brauchen eine Unternehmenssteuerreform, um wirtschaftliches Wachstum anzuregen. Die dritte Säule liegt in Europa: Wir brauchen auch auf europäischer Ebene eine konsequente Abkehr von der Schuldenpolitik. Jetzt muss das klare Signal in die Welt gehen, dass es keine Vergemeinschaftung von Schulden in der EU gibt und dass die Inflationsspirale nicht durch das Erfinden einer neuen europäischen Schuldenebene zusätzlich angeheizt wird. Die Europäische Zentralbank muss sich zudem wieder auf eine solide Geldpolitik besinnen und ihre Negativzinspolitik und ihre Anleihekäufe sofort beenden. Ohne klare Maßnahmen wird die Inflation weiter dynamisch steigen.

    Mit welcher Entwicklung rechnen Sie?

    Dobrindt: Im produzierenden Gewerbe liegt die Inflation schon jetzt bei 33 Prozent. Das übersetzt sich nicht alles auf die Verbraucherpreise, aber zu etwa einem Drittel. So kann man jetzt schon vorhersagen, dass elf Prozent Inflation nach aktuellem Kenntnisstand zu erwarten sind – wenn nicht schnell Maßnahmen ergriffen werden.

    Besonders heftig sind die Preis-Sorgen im Bereich der Energie, was natürlich mit dem russischen Angriff auf die Ukraine zu tun hat …

    Dobrindt: Die hohen Energiepreise erklären die Inflation nur zum Teil. Wir haben inzwischen schon eine Kern-Inflation, die auch ohne die Energie bei rund sechs Prozent liegt. Aber bei den Energiepreisen sind wir abhängig von den internationalen Märkten. Dabei ist es dringend notwendig, unseren Energiebedarf durch andere Lieferanten als aus Russland zu decken. Die Gefahr eines Ausfalls der russischen Gaslieferungen ist nach wie vor extrem hoch. Deswegen müssen schnellstmöglich die technischen Voraussetzungen geschaffen werden, um Flüssiggas, zum Beispiel aus den USA, in Deutschland nutzbar zu machen.

    Kann das überhaupt gelingen, bevor wieder die kalte Jahreshälfte beginnt?

    Dobrindt: Im kommenden Winter werden diese Flüssiggasterminals noch nicht zur Verfügung stehen. Deswegen ist es umso wichtiger, dass die Gasspeicher jetzt gefüllt werden. Es war ein strategischer Fehler der Wirtschaft, die Hoheit über den größten deutschen Gasspeicher in Rheden Gazprom zu überlassen. Die Politik korrigiert das gerade, aber es zeigt: In der Vergangenheit wurde an vielen Stellen – nicht nur in der Politik – mit zu viel Vertrauen in die russische Lieferzuverlässigkeit agiert.

    Die Regierung hat eine Reihe von Maßnahmen auf den Weg gebracht, um die Bürgerinnen und Bürger finanziell zu entlasten. Die richtigen?

    Dobrindt: Leider sind bei den Entlastungen mehrere Gruppen nicht berücksichtigt worden. Beim Energiegeld zum Beispiel hat die Ampel ausgerechnet diejenigen vergessen, die von Inflation und Preissteigerungen mit am härtesten betroffen sind: die Rentnerinnen und Rentner. Bei ihnen geht es darum, ob am Monatsende der Kühlschrank voll oder leer ist. Deshalb müssen auch die Rentner bei den Energiepreisen entlastet werden. Auch der Tankrabatt ist nicht ausreichend, es wäre viel sinnvoller, die Mehrwertsteuer zu senken, wie das beispielsweise in Polen passiert. Der Staat verdient erheblich an den teuren Energiepreisen durch die Mehrwertsteuer mit. Aber der Ampel hat der Mut gefehlt, den Bürgern dieses Geld zurückzugeben.

    Ist FDP-Finanzminister Christian Lindner auf dem richtigen Kurs im Kampf gegen die Teuerung?

    Dobrindt: Wir sehen bisher keine Anzeichen, dass der Bundesfinanzminister an einer wirksamen Initiative gegen die steigende Inflation arbeitet. Stattdessen zündet die Ampel die Schuldenbazooka und heizt mit Rekordschulden in Höhe von 300 Milliarden Euro die Inflationskrise weiter an. Versprechen für Entlastungen der Bürger sind nicht umgesetzt und wir vermissen einen Ansatz, wie die Bundesregierung die kalte Progression bekämpfen und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen steigern will.

    100 Milliarden Euro neuer Schulden ergeben sich aus dem Sondervermögen für die Bundeswehr, dem die Union zugestimmt hat. Was muss mit dieser gewaltigen Summe passieren?

    Dobrindt: Ich hoffe sehr, dass Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht von der SPD jetzt ihr Versprechen wahr macht und dafür sorgt, dass die Bundeswehr schnell die benötigten neuen Flugzeuge, Panzer und Schiffe bekommt. Auch Munition muss umgehend beschafft werden. Die Debatte, dass Deutschland nichts an die Ukraine liefern könne, weil es selbst nichts mehr habe, hat bei unseren Bündnispartnern zu großen Irritationen geführt. Diese Beschaffungsdefizite müssen umgehend ausgeglichen werden.

    Reichen denn diese 100 Milliarden Euro überhaupt dafür?

    Dobrindt: Nein, die 100 Milliarden Euro allein würden nicht reichen. Die Bundeswehr braucht keine Einmalüberweisung, sondern einen Dauerauftrag für ihre Verteidigungsfähigkeit. Das Sondervermögen macht nur zusammen mit der Entscheidung Sinn, das Zwei-Prozent-Ziel der Nato einzuhalten. Nach dem Aufbrauchen des Sondervermögens müssen die hohen Investitionen fortgeführt werden.

    Im aktuellen Jahr sind 50 Milliarden Euro an regulären Verteidigungsausgaben geplant …

    Dobrindt: Wir brauchen etwa 20 Milliarden Euro mehr pro Jahr, als der aktuelle Verteidigungshalt beträgt. Christian Lindner muss das in seiner mittelfristigen Finanzplanung abbilden. Es darf keine Abbruchkante geben, wenn die 100 Milliarden Euro aufgebraucht sind. Wenn man sich die internationale politische Sicherheitslage anschaut, wenn man die neuen Fähigkeitsprofile der Bundeswehr sieht und die berechtigten Erwartungen unserer Bündnispartner ernst nimmt, kann man nur zu dem Ergebnis kommen, dass wir in Zukunft mehr als zwei Prozent für die Verteidigung ausgeben werden und nicht weniger.

    Bundeskanzler Olaf Scholz hat im Bundestag frühere Verteidigungsministerinnen und -minister aus der Union für die Misere der Bundeswehr verantwortlich gemacht – allen voran CSU-Mann Karl-Theodor zu Guttenberg. Hat der da einen Punkt?

    Dobrindt: Aus heutiger Sicht war es falsch, die Militärausgaben in der Vergangenheit immer weiter zu reduzieren. Aber das ist in einer Zeit geschehen, in der man nicht mehr geglaubt hat, dass es einen Krieg in der Mitte Europas geben kann. Wenn Olaf Scholz jetzt Vorwürfe an einzelne Politiker richtet, halte ich das für vollkommen unredlich. Ich erinnere mich an unzählige Vorstöße von SPD und Grünen, die Militärausgaben herunterzufahren, aus der atomaren Teilhabe zur Abschreckung auszusteigen und die Nato als Bündnis infrage zu stellen. In der Großen Koalition hat die SPD unsere Forderung, das Zwei-Prozent-Ziel zu erfüllen, ständig blockiert. Wenn Olaf Scholz mit einem Finger auf andere zeigt, zeigen drei Finger auf ihn selbst zurück.

    Scholz hat die Lieferung weiterer, auch schwerer Waffen an die Ukraine angekündigt. Wird Deutschland nun seiner Verantwortung gerecht?

    Dobrindt: Langsam gewöhnt man sich an Ankündigungen des Bundeskanzlers, doch die Umsetzung lässt leider stark zu wünschen übrig. Bisher sind keine schweren Waffen aus Deutschland in die Ukraine geliefert worden. Auch was jetzt angekündigt wurde, kann wohl erst im Oktober zur Verfügung stehen. Wenn man sich das Kriegsgeschehen anschaut, wird klar, dass das Tempo bei den Waffenlieferungen deutlich steigen muss, damit die Ukraine ihre Verteidigungsfähigkeit aufrechterhalten kann.

    Zur Person: Alexander Dobrindt, 51, ist seit September 2017 Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag. Zuvor war er Bundesverkehrsminister und CSU-Generalsekretär.

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