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Interview: „Die Lage ist für die Ukraine derzeit nicht gut“

Interview

„Die Lage ist für die Ukraine derzeit nicht gut“

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    Im russischen Kursker Grenzgebiet finden weiter Kämpfe statt.
    Im russischen Kursker Grenzgebiet finden weiter Kämpfe statt. Foto: Administration of the Kursk region of Russia via AP, dpa

    Herr Krause, aktuell kommen scheinbar widersprüchliche Meldungen von der ukrainisch-russischen Front. Auf der einen Seite muss Kiew Orte evakuieren, weil der Druck der russischen Armee so groß ist. Auf der anderen Seite gelingt es Selenskyjs Truppen, den Krieg nach Russland zu tragen. Wie schätzen Sie die aktuelle Lage ein?
    JOACHIM KRAUSE: Die Lage ist für die Ukraine derzeit nicht gut, weil die russischen Truppen unter Inkaufnahme hoher eigener Verluste im Donbas erheblichen Druck ausüben. Dabei setzen sie mit Erfolg Gleitbomben mit hoher Sprengkraft ein, gegen die die Ukrainer wenig aufzubieten vermögen. Den Russen gelingen zwar nur geringe Geländegewinne, aber auch diese können ausreichen, um die Ukrainer zu erheblichen Umdispositionen und zur Aufgabe ganzer Landstriche zu veranlassen. Derzeitiges Hauptanliegen der Ukrainer ist es, Waffen einzusetzen, mit denen russische Kampfflugzeuge schon über russischem Territorium abgeschossen werden können, bevor diese die Gleitbomben abwerfen. Am besten wäre es, die entsprechenden Flugplätze rechtzeitig angreifen zu können. Das ginge zum Teil, wenn die Ukrainer amerikanische Lenkwaffen gegen Ziele tief in Russland einsetzen dürfen. Das verhindert die Biden-Administration jedoch, weil das angeblich einen Krieg mit Russland auslösen könnte. Lediglich im Bereich Charkiw gibt es davon eine Ausnahme.

    Prof. Dr. Joachim Krause ist Direktor Emeritus des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel.
    Prof. Dr. Joachim Krause ist Direktor Emeritus des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel. Foto: privat

    Mit den Gegenattacken in der russischen Region Kursk ist es der Ukraine gelungen, Wladimir Putin zu überraschen. Aber war der Angriff auch taktisch klug?
    KRAUSE: Das wird sich zeigen. Derzeit gehen die Meinungen darüber weit auseinander, ob das klug war oder nicht. Die Operation hat immerhin für erhebliche Verunsicherung in Moskau gesorgt. Laut dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj sollen die Russen jetzt auch mal erfahren, was es heißt, Gegenstand einer Militäroffensive zu sein. Aber die dort eingesetzten Kräfte fehlen an der Front im Donbass. Auffällig ist: Die Ukrainer haben bei diesem Angriff auf russisches Staatsgebiet westliche Waffensysteme benutzt.

    Offiziell heißt es bei der EU, der Nato und im Weißen Haus, die Kiewer Offensive widerspreche nicht den Bedingungen für die Nutzung der zur Verfügung gestellten Waffen. Halten Sie diese Beteuerung für glaubwürdig? Oder wird man in Brüssel, Berlin und Washington nervös?
    KRAUSE: Diese Reaktionen sind erstaunlich, denn sie widersprechen der bisherigen Politik. Bislang bestanden sowohl Washingtons wie Berlin darauf, dass diese Waffen nicht gegen Ziele in Russland eingesetzt werden dürfen. Nunmehr werden sie eingesetzt, um russisches Territorium zu besetzen. Ich kann mir vorstellen, dass dieses Vorgehen in der Biden-Administration zu erheblichen Irritationen geführt hat und dass hinter den Kulissen Kritik an der Ukraine geübt wird.

    Welches Ziel verfolgt die Ukraine mit dieser Offensive?
    KRAUSE: Darüber wird derzeit weltweit spekuliert. Es könnte sein, dass die Ukrainer dieses Territorium als Faustpfand für den Fall von Verhandlungen nutzen wollen. Es kann aber auch sein, dass die Ukraine Russland dazu zwingen will, Truppen aus dem Donbass abzuziehen. Vielleicht ist es auch der Versuch, die Stimmung zu heben. Möglicherweise soll aber auch den westlichen Partnern signalisiert werden, dass auch bei Angriffen auf russisches Staatsgebiet nicht gleich der Weltkrieg ausbricht. Wir alle werden in einigen Tagen klarer sehen, worum es hier geht. Derzeit kann man nur einigermaßen klug spekulieren.

    Russische Militärs werteten den Angriff wie schon frühere Attacken als Verzweiflungstat der ukrainischen Streitkräfte, um von den Niederlagen im eigenen Land abzulenken. Haben Sie damit Recht?
    KRAUSE: Angaben des russischen Militärs traue ich grundsätzlich erst einmal nicht, weil alle von dort kommenden Verlautbarungen Teil des russischen Informationskriegs sind. Bislang hat sich gezeigt, dass die großspurigen Aussagen russischer Offizieller zum angeblichen Zurückschlagen der ukrainischen Truppen im Bezirk Kursk sich als realitätsfremd erwiesen haben.

    Seit Kurzem sind F-16-Kampfjets in der Ukraine im Einsatz. Was könnte das für den weiteren Verlauf des Krieges bedeuten?
    KRAUSE: Ich würde die Bedeutung der F-16 nicht überschätzen. Diese Flugzeuge sind alt und werden bei Nato-Staaten gerade ausgemustert. Sie ermöglichen aber der Ukraine Optionen, die ihr bisher nicht zur Verfügung standen. Sofern sie mit Abstandswaffen vom Typ AIM-120 AMRAAM ausgerüstet werden, können sie zur Bekämpfung von russischen Kampfbombern auch außerhalb des ukrainischen Staatsgebiets eingesetzt werden. F-16 Flieger können auch zur Abwehr von Marschflugkörpern oder Drohnen genutzt werden. Sie stellen aber keine Luftüberlegenheit her.

    Selenskyj will am liebsten noch vor der US-Wahl neue Friedensgespräche aufnehmen – diesmal auch mit Russland. Wie wahrscheinlich ist es, dass Putin sich darauf einlässt?
    KRAUSE: Putin lässt sich sofort auf „Friedensgespräche“ ein, wenn die Ukraine seine Bedingungen akzeptiert – und das bedeutet nichts anderes als die Unterwerfung unter Putins Willen. Er könnte auch bereit sein, sich erst einmal nur mit den von Russland bereits annektierten vier ukrainischen Provinzen zufriedengeben, die sich teilweise unter der Kontrolle ukrainischer Streitkräfte befinden. Aber ein derartiger Waffenstillstand wäre nur eine Atempause bis zur nächsten Aggression. Die Bereitschaft zu offenen und fairen Verhandlungen unter souveränen Regierungen und unter Berücksichtigung der militärischen Lage sehe ich bei Putin nicht. Er ist in einem Maße entschlossen, diesen Krieg auf jeden Fall zu gewinnen, das hochgefährlich ist – auch für ihn. Selbst Stalin verhielt sich im Winterkrieg 1939/1940 gegen Finnland pragmatischer als Putin.

    Haben Sie den Eindruck, dass sich Selenskyjs Rhetorik ändert? Wird das Szenario, dass die Ukraine Gebiete an Russland abtritt, wahrscheinlicher?
    KRAUSE: Ich sehe bei Selenskyj durchaus eine Ernüchterung, denn es ist abzusehen, dass die Ukraine nicht in der Lage ist, aus eigener Kraft die von Russland besetzten Landesteile und die Krim zurückzugewinnen. Der entscheidende Punkt für Selenskyj ist dabei, dass sein Land für den Fall eines Waffenstillstands entlang der militärischen Kontrolllinie feste Sicherheitsgarantien der USA oder der Nato bekommt. Hier liegt die große Herausforderung für die derzeitige oder die nächste US-Administration. Mit Präsident Biden ist so etwas nicht zu machen, dazu ist er zu ängstlich. Personen aus dem Umfeld des früheren US-Präsidenten Donald Trump haben im Übrigen in dieser Hinsicht interessante Überlegungen angestellt. Ob Trump als 47. Präsident der USA darauf eingehen würde, sehe ich noch nicht. Ich kann mich an den amerikanisch-russischen Gipfel von 2018 in Helsinki erinnern, wo Trump gegenüber Putin eine geradezu hündische Ergebenheit zeigte.

    Wie blicken Sie auf den Herbst?
    KRAUSE: Sehr skeptisch. Das betrifft zum einen die militärische Lage im Donbas. Ich hoffe, dass die Restriktionen bezüglich des Einsatzes von weitreichenden Lenkwaffen seitens der USA voll und ganz aufgehoben werden. Das könnte die Lage verändern. Diese Restriktionen stellen einen Anachronismus dar, der Russland einen gewaltigen Vorteil bietet. Sie verhindern keinen großen Krieg, sie führen eher zum nächsten Krieg. Die zweite Sorge betrifft das Fortbestehen der politischen Mehrheit für die fortgesetzte Unterstützung für die Ukraine. Hier blicke ich mit Sorgen auf einen möglichen Sieg Trumps und der Republikaner im November. Aber auch die anstehenden Wahlen in den ostdeutschen Bundesländern machen mir Sorgen, wo die Putintreuen Parteien AfD und BSW großen Zuspruch finden und selbst gestandene Ministerpräsidenten von CDU und SPD friedenspopulistische Parolen von sich geben, die keinerlei Bezug zur politischen und militärischen Realität haben.

    Zur Person

    Prof. Dr. Joachim Krause ist Direktor Emeritus des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel.

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    1 Kommentar
    Maria Teuber

    Wie von Herrn Prof. Dr. Krause sehr verständlich auf den Punkt gebracht: Es sind und waren immer unsere westlichen "Freunde und Verbündeten", die verhindert haben und weiter verhindern, daß die ukrainischen Truppen gegen die russischen Okkupanten größere militärische Erfolge erzielen können. Entgegen andauernder offizieller Behauptungen will man im Westen eben doch nicht, daß die Ukraine den von Rußland ausgelösten und geführten Vernichtungskrieg gewinnt. Der Westen ist hasenfüsig und feige, er hat Angst vor Rußland. Man spielte im Westen immer auf Zeit und hoffte, die harmlosen "Sanktionen" würden Moskau zum Umkehren zwingen. Die Wahrheit ist: Nur militärische Gewalt und alle verfügbaren und möglichen Waffen zwingen die russichen Marodeure zurück in ihren Käfig ! Leider sind Berlin, Paris, und Washington viel zu feige und ängstlich, um diesen einzig richtigen Schluß zu ziehen. Lieber opfern sie die Ukraine !

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