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Interview: Arbeitsminister Heil kritisiert Abschiebung integrierter Flüchtlinge

Interview

Arbeitsminister Heil kritisiert Abschiebung integrierter Flüchtlinge

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    Bundesarbeitsminister Hubertus Heil: "Tatsächlich habe ich manchmal das Gefühl, dass die falschen Menschen Deutschland verlassen müssen."
    Bundesarbeitsminister Hubertus Heil: "Tatsächlich habe ich manchmal das Gefühl, dass die falschen Menschen Deutschland verlassen müssen." Foto: Michael Kappeler, dpa

    Herr Heil, gerade haben Sie Ihr Rentenpaket präsentiert. Was ist der Kern Ihrer Pläne?

    Hubertus Heil: Es geht darum, dass wir das Rentenniveau sichern, bei 48 Prozent. Die Bürger müssen das Gefühl haben, dass sie sich auf die gesetzliche Rente verlassen können. Gleichzeitig müssen wir die Beiträge stabil halten, sie sollen bis mindestens 2025 nicht höher steigen als 20 Prozent. Das ist die doppelte Haltelinie, und die werden wir in die

    Mit der doppelten Haltelinie aber reichen wohl schon in einigen Jahren die Renteneinnahmen nicht mehr. Was passiert dann? Folgt ein noch tieferer Griff in den Steuertopf? Oder müssen die Menschen länger arbeiten als bis 67?

    Heil: Nach 2025 werden die Menschen aus den geburtenstarken Jahrgängen aus dem Arbeitsleben ausscheiden. Um in den darauf folgenden Jahren das Rentenniveau halten zu können, ist es wichtig, möglichst viele Menschen bei guten Löhnen in Arbeit zu haben. Die Schritte, die außerdem nötig sind, um die Stabilität des Rentensystems auch über 2025 hinaus zu garantieren, werden derzeit von der von mir eingesetzten Rentenkommission erarbeitet. Ich persönlich glaube nicht, dass es zu einer generellen Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters kommen wird.

    Fast die Hälfte aller Rentner bekommt ja weniger als 800 Euro. Was bedeutet denn das für die Zukunft der Altersvorsorge?

    Heil: Das zeigt, dass die von mir angestrebten Leistungsverbesserungen notwendig sind. Gerade deshalb sichern wir das Rentenniveau. Der genauere Blick zeigt aber auch, dass Altersarmut heute zum Glück kein Massenphänomen ist, da viele nicht nur ihre eigene gesetzliche Rente sondern auch die Einkommen ihrer Partner und Wohneigentum haben. Wir haben aber Probleme im Bereich alleinerziehender Frauen oder der Menschen, die viel gearbeitet, aber aufgrund niedriger Löhne nur wenig in die Rentenversicherung einbezahlt haben. Für diejenigen werden wir in einem zweiten Rentenpaket eine Grundrente einführen, die über dem Niveau der Grundsicherung liegt. Und wir müssen auch die Selbstständigen in das System der Alterssicherung miteinbeziehen. Der beste Schutz vor Altersarmut bleiben anständige Löhne und das ist es, was ich als Arbeitsminister anstrebe.

    Was kostet die Entlastung von Geringverdienern von Sozialbeiträgen? Wie soll das finanziert werden?

    Heil: Nach unseren Berechnungen sind das 200 Millionen Euro im Jahr.

    Gehen die Rentenerhöhungen für Geringverdiener nicht zu Lasten der jüngeren Generation?

    Heil: Im Gegenteil. Wir reden ja über die Menschen, die jetzt arbeiten, die Rentner der Zukunft. Und wir brauchen einen vernünftigen, tragfähigen Generationenvertrag. Junge und alte Menschen dürfen nicht gegeneinander ausspielt werden.

    Bezieher von Betriebsrenten ärgern sich über doppelte Abzüge für Kranken- und Pflegeversicherung. Wann ändert die Politik das?

    Heil: Ich hoffe: bald. Das fällt ja in die Verantwortung meines Kollegen Jens Spahn im Gesundheitsministerium. Ich halte diesen Schritt für essentiell, weil ich erlebe, dass die Doppelverbeitragung die Ausbreitung von Betriebsrenten verhindert. Wir sollten diesen Effekt zumindest reduzieren.

    Rente beruht auf Arbeit, doch die Arbeitswelt verändert sich gerade rasend schnell. Mit welchen Entwicklungen rechnen Sie?

    Heil: Derzeit haben wir konjunkturbedingt eine ausgezeichnete Lage. Vielerorts herrscht praktisch Vollbeschäftigung und wir haben die zweitniedrigste Arbeitslosenquote in der Europäischen Union. Jedoch haben wir eine verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit. Da müssen wir den Menschen jetzt mit besonderer Förderung heraushelfen. Grundsätzlich gilt: Der Wandel lässt sich nicht aufhalten - und das wollen wir auch gar nicht. Wir wollen für Chancen und Schutz im Wandel sorgen. Automatisierung und Digitalisierung erfassen alle Bereiche, ob die industrielle Produktion oder den Dienstleistungssektor. Deutschland wird die Arbeit nicht ausgehen. Aber es wird künftig vielfach andere Arbeit sein, die andere Qualifikationen erfordert und neue Tätigkeiten mit sich bringt. Wir werden gerade kleine und mittlere Unternehmen finanziell unterstützen, die in Qualifizierung investieren. Das ist gut angelegtes Geld, das Menschen fit macht für die

    Welche konkreten Risiken sehen Sie durch die Digitalisierung?

    Heil: Ich sehe in erster Linie die Chancen: Durch die Digitalisierung wird es möglich sein, die Arbeit dem Leben besser anzupassen. Wir müssen aber aufpassen, dass manche Firmen Digitalisierung nicht mit Ausbeutung verwechseln. Das passiert, wenn etwa Lieferdienst-Plattformen ihre Fahrradkuriere daran hindern, Betriebsräte zu gründen. Mein größtes Ziel ist es, dass wir diesen Wandel der Arbeitsgesellschaft mit vereinten Kräften gestalten, mit Gewerkschaften und Arbeitgebern. Was mir am meisten Sorgen macht, ist, dass die Tarifbindung so stark nachgelassen hat. Die meisten Rechte von Arbeitnehmern stehen nicht im Gesetz, sondern im Tarifvertrag.

    Momentan herrscht in vielen Bereichen Mangel an Fachkräften, etwa in der Pflege. Wie kann da Abhilfe geschaffen werden?

    Heil: Auch hier geht es zunächst einmal darum, die Arbeitsbedingungen in der Branche attraktiver zu machen. Der Mangel an Pflegekräften hat auch damit zu tun, dass nur 20 Prozent der Beschäftigten nach Tarifvertrag beschäftigt werden. Und die Arbeitsbedingungen in der Pflege müssen deutlich besser werden. Darum habe ich zusammen mit meinen Kollegen, der Familienministerin Franziska Giffey und dem Gesundheitsminister Jens Spahn, die Konzertierte Aktion Pflege ins Leben gerufen, die es sich zum Ziel gemacht hat, genau diese Dinge zügig zu ändern. Um den Personalmangel in der Altenpflege in den Griff zu bekommen, werden wir aber auch qualifizierte Zuwanderer brauchen. Viele kommen bereits jetzt aus Ländern der Europäischen Union, das wird jedoch nicht ausreichen. Wir werden uns auch außerhalb der EU umsehen müssen.

    Dazu plant die Bundesregierung ein Fachkräftezuwanderungsgesetz. Wie muss das aussehen?

    Heil: Klar ist, dass sich diese Art der Zuwanderung an den Bedürfnissen des deutschen Arbeitsmarkts orientieren muss. Eine Zuwanderung in die Sozialsysteme darf es nicht geben. Wir müssen vermeiden, dass einheimische und zugewanderte Arbeitskräfte gegeneinander ausgespielt werden.

    Noch immer haben vergleichsweise wenige der Flüchtlinge, die in den vergangenen Jahren nach Deutschland gekommen sind, Arbeit gefunden. Was läuft falsch?

    Heil: Die Integration von geflüchteten Menschen geht nicht von heute auf morgen, allein schon der Sprache wegen. Immerhin haben inzwischen 220.000 Flüchtlinge eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit aufgenommen, doch die Zahlen sind natürlich noch zu niedrig. Integration ist kein Sprint, sondern ein Langstreckenlauf. Es würde sehr helfen, wenn der Aufenthaltsstatus von Flüchtlingen schneller und sicherer geklärt werden könnte. Außerdem brauchen wir eine bessere berufsbezogene Sprachförderung, eine einfachere Anerkennung von Berufsabschlüssen und mehr Anstrengung in der Aus- und Weiterbildung.

    Viele Betriebe klagen ja, dass es immer unsicherer wird, Flüchtlinge auszubilden, weil ein langfristiger Aufenthaltsstatus fehlt. Oft heißt es sogar, dass gerade Flüchtlinge mit guten Integrationsaussichten abgeschoben werden. Sehen Sie dieses Problem auch?

    Heil: Tatsächlich habe ich manchmal das Gefühl, dass die falschen Menschen Deutschland verlassen müssen. Die SPD hat in der letzten Großen Koalition dafür gesorgt, dass junge Flüchtlinge, die in Ausbildung sind, diese abschließen können und danach die Chance haben, zwei Jahre in Deutschland zu bleiben; das ist die sogenannte Drei-plus-zwei-Regel. Das ist eine gute Sache, das wird nur in den Bundesländern unterschiedlich gehandhabt. Besonders schlecht läuft das im CSU-geführten Freistaat Bayern. Das ist ein Ärgernis für alle Unternehmen, die sich engagieren und investieren. Das muss sich ändern.

    Täuscht der Eindruck, dass Integration für die Bundesregierung gar kein großes Thema mehr ist?

    Heil: Ja, der täuscht. Integration bleibt ein großes Thema für die Bundesregierung und die gesamte Gesellschaft. Aber ich muss zugegeben, dass durch das riesige Trara, dass die CSU in den letzten Wochen veranstaltet hat, dieses bizarre Theater, andere Themen in der öffentlichen Wahrnehmung im Vordergrund standen.

    Sie meinen den Asylstreit in der Regierung. Hat es der Integration von Flüchtlingen geschadet?

    Heil: Ja, eindeutig. Die CSU hat mit Verhaltensweisen, wie wir sie von Donald Trump erleben, noch viel mehr beschädigt, nämlich das Ansehen der Bundesregierung und der demokratischen Politik insgesamt. Mit Ultimaten die Bundeskanzlerin unter Druck zu setzen, das gehört sich nicht. Bürgerinnen und Bürger schätzen es nicht, wenn gewählte Volksvertreter sich gegenseitig brüskieren und einzelne Themen aufblasen, ohne sie zu lösen. Die Menschen wollen dem Staat vertrauen können - und das ist ihr gutes Recht. Ich hoffe, dass die CSU jetzt zum Arbeiten zurückfindet. Wir müssen die Probleme, auch in der Zuwanderung, konkret lösen, ohne Angst und ohne Träumerei.

    Auch ihre Partei, die SPD, steckt im Umfragetief...

    Heil: Da wird sie auch wieder herausfinden, wenn sie endlich wieder zu einer anderen Körpersprache zurückfindet. Klar gibt es viele Missstände in der Gesellschaft, gegen die kämpfen wird ja. Aber für Dauerpessimismus gibt es keinen Grund. Im Gegenteil: Unser Land hat alle Voraussetzungen dafür, vorhandene Probleme zu lösen. Und dafür braucht es eine starke Sozialdemokratie. Wir sind die Kraft, die wirtschaftlichen Erfolg mit sozialer Gerechtigkeit verbindet.

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