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Horst Seehofer auf seiner Terasse in Gerolfing kurz vor seinem 75. Geburtstag.
Foto: Marcus Merk

Interview

„Ich finde Scholz’ Verhalten bei der Ukraine genau richtig“

Kommenden Donnerstag wird Horst Seehofer 75 Jahre alt. Zeit für ein Gespräch: Was denkt er heute über seine harte Linie in der Flüchtlingspolitik, Angela Merkel und Markus Söder?

Die Markise ist ausgefahren, es ist angenehm warm auf der Terrasse der Seehofers im Ingolstädter Stadtteil Gerolfing. Horst Seehofer empfängt im Kurzarm-Karohemd und lässt sich entspannt auf den Gartenstuhl fallen. Seine Frau Karin bringt Wasser und Kaffee, dann verabschiedet sie sich zu einem Termin. „Komm aber vor der Sperrstunde zurück“, ruft Seehofer ihr nach und lächelt verschmitzt. Wir schalten das Aufnahmegerät ein.

Herr Seehofer, Sie haben sich seit der vergangenen Bundestagswahl weitgehend von der politischen Bühne zurückgezogen. Muss man sich Horst Seehofer heute als einen zufriedenen Menschen vorstellen?

Horst Seehofer: Uneingeschränkt: ja.

Gesundheit, Enkelkinder, dazu ein E-Bike – was braucht es noch zum Glück?

Seehofer: Familie ist wichtig und die Gesundheit ganz entscheidend. Auch angesichts meiner Vorerkrankung am Herzmuskel ist das das größte Glück. Ich sage: Rentner ist ein schöner Job. Job sage ich, weil das Rentnerleben nur dann schön ist, wenn Sie aktiv sind. Ich mache viel im lokalen Bereich, bei den Hochschulen, beim Sport, in der Kirche. Und ich bin regelmäßig bei einem Stammtisch, der sich täglich von 11.30 bis 12.30 Uhr trifft. Lauter früher erfolgreiche Leute, aber kein Gockel dabei. Ich bin der Jüngste von ihnen. Meine Aktivität heute ist völlig anders als zu der Zeit, als ich politisch tätig war: ohne Terminstress und ohne Verantwortungsdruck. Die Menschen meinen ja oft, die Politiker hätten ein gemütliches, privilegiertes Leben. In bestimmten Funktionen trägt man aber schon eine hohe Verantwortung, die einen oft auch enorm belastet.

Sie haben für die Politik gelebt. Man kann das, auch wegen Ihrer schweren Herzerkrankung vor vielen Jahren, fast wörtlich nehmen. Wenn Sie zurückschauen – wann war die Last am größten?

Seehofer: Die Last war immer hoch, aber immer unterschiedlich. Ministerpräsident ist das schönste Amt, denn Sie sind aus Sicht der Bevölkerung der Nachfolger der bayerischen Könige. Aber genau daraus entsteht auch eine Last. Sie müssen von der ersten bis zur letzten Minute konzentriert sein, wenn Sie im Land unterwegs sind. Wenn Sie beispielsweise den Namen des Ortes, wo Sie gerade sind, nur so halb richtig aussprechen, dann können Sie den Rest des Termins vergessen. Das Amt des Bundesinnenministers war hingegen vor allem inhaltlich mit einer hohen Belastung verbunden. Sicherheit, Agententätigkeit, Terrorismus, das können Sie sich ja vorstellen.

Hort Seehofer im Gespräch mit unserer Redaktion auf seiner Terrasse im Ingolstädter Stadtteil Gerolfing.
Foto: Marcus Merk

Die Frage stellt sich auch deshalb, weil Ihr letztes großes Thema als Innenminister die Flüchtlingskrise war. Sehen Sie angesichts der Folgen der Migration – auch etwa dem Erstarken der AfD – heute Ihre kritische Haltung bestätigt?

Seehofer: Seit dem Jahr 2015 haben fast alle Politikerinnen und Politiker die Dimension der Migration für unser Land unterschätzt. Bei der Ampel würde man das angesichts der gesellschaftspolitischen Ausrichtung – Stichwort Multikulti – nicht anders vermuten. Bei der Union erwartet die Bevölkerung allerdings wirksame Maßnahmen, um eine ungesteuerte Migration zu vermeiden. Für mich ist es schon eigenartig, wenn mich heute Menschen ansprechen: Wie fühlt es sich an, dass die Dinge, wegen denen Sie kritisiert wurden, jetzt alle fordern? Ich sage dann: Man muss in der Politik manchmal nur so lange warten, bis die allgemeine Meinung mit der persönlichen übereinstimmt. Es ist und bleibt richtig: Die Asylberechtigung muss an der Außengrenze eines Landes oder der EU geprüft werden – rasch, mit Rechtsschutz durch einen Richter. Und wenn die Prüfung negativ ausfällt, dann muss man zurückschicken, ebenfalls schnell. Der Ministerpräsident von Sachsen fordert jetzt eine Bundesausreisebehörde. Richtig so. Ausreisepflichtige müssen durch eine Bundesanstrengung abgeschoben werden. Das schaffen die Bundesländer allein nicht.

Täuscht der Eindruck oder gab es in der Debatte mit Angela Merkel, egal wie hart sie geführt wurde, immerhin noch einen Rest Anstand, auch gegenüber den Menschen, um die es ja geht – den Flüchtlingen? Nun hingegen sagt ihr ehemaliger Generalsekretär Alexander Dobrindt: Wenn Ukrainer nicht arbeiten, schiebt sie ab! Finden Sie das passend für eine Partei mit dem C und dem S im Namen?

Seehofer: Der Vorschlag ist deshalb schwierig, weil er missverstanden werden kann. Mütter und Kinder kommen ja nicht zu uns, um sich dem Wehrdienst in der Ukraine zu entziehen. Gleichzeitig haben sie es schwer mit der Arbeitsaufnahme – da ist die neue Sprache, dann fehlt der Kita-Platz – da gehört es zu einem humanen Staat, dass man Schutz gewährt. Jungen Männern aus der Ukraine hingegen, die sich in Deutschland dem Wehrdienst entziehen, sollte man überhaupt keinen Aufenthaltsschutz gewähren. Wenn sie sich aus Gewissensgründen nicht am Krieg beteiligen wollen, dann können sie beim Wiederaufbau ihres Landes helfen.

Sie wurden ja immer wieder Populist genannt, und die, die das sagten, meinten das nicht freundlich. Fehlen der Politik heute womöglich Populisten, jedenfalls solche, die fest auf demokratischem Boden stehen?

Seehofer: Ein großes Problem der heutigen Zeit ist, dass viele Politiker Entwicklungen beklagen, die sie selbst verursacht haben. Das gilt für die Bundesregierung, aber auch die Union hat das Migrationsthema unterschätzt. Die Folge: Wir sind als CDU und CSU bei Weitem nicht so stark, wie wir sein könnten. Das Potenzial für die Union insgesamt liegt bei 30 bis 40 Prozent, für die CSU bei weit über 40 Prozent. Wir erreichen derzeit aber nur den unteren Rand, bestenfalls. Es wurde in den vergangenen Jahren überhaupt kein Wahlergebnis mehr aus meiner Zeit erreicht, nimmt man die Europawahl 2019 einmal aus. Ich schildere nur Tatsachen, ohne Vorwurf.

Von 2008 bis 2018 war Horst Seehofer bayerischer Ministerpräsident.
Foto: Marcus Merk

Und das hängt mit der Migration zusammen.

Seehofer: Hauptsächlich, ja. Wir haben nach dem Überfall auf die Ukraine schnell entschieden: Wir nehmen die Flüchtlinge aus der Ukraine auf. Daneben kamen aber die anderen Flüchtlinge weiter, und das in größerer Zahl als die Jahre zuvor. Neben 1,2 Millionen Ukrainern noch mal 350.000 allein im vorigen Jahr. Das sind in der Addition Zahlen, die Probleme aufrufen. Wohnungsbau, Mieten, Schulen, Kriminalität, Integration – Sie können diese Fragen nicht zur Zufriedenheit der Bevölkerung lösen, wenn ständig neue Flüchtlinge nachkommen. Daher wandern die Wähler von der Ampel an der Union vorbei zur AfD oder nun zum BSW.

Sie galten lange als Herz-Jesu-Sozialist, also als jemand, der sich für das Soziale sehr stark machte. Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund das neu gegründete BSW?

Seehofer: Bei Frau Wagenknecht weiß man gar nicht, ist das jetzt rechts oder links? Aber solche Phänomene wie auch die AfD sind immer eine Antwort auf schlechte Politik. Das kann man zurückverfolgen mindestens bis zur Weimarer Republik. Ich lese derzeit viel dazu. Es ist das Versagen der Demokraten, das die AfD und das BSW stark macht. Ich bin sicher: Mit einer klareren Haltung bei der Migration könnte die Union einen großen Teil dieser Wähler erreichen. Auch da brauchen wir eine Zeitenwende.

Neben Büchern – lesen Sie noch jeden Tag Zeitung?

Seehofer: Beim Frühstück frage ich meine Frau immer: Und, was schreiben sie heute wieder? Meine Frau sagt dann: Gar nichts, aber die Frau Soundso ist gestorben. Im Ernst: Ich finde das tägliche Schwadronieren der Politik oft schlimm, vor allem am Wochenende mit den ritualisierten Interviews. Damit meine ich meinen Berufsstand, nicht den der Journalisten. Es hilft alles nichts, die Verbotsüberlegungen bei der AfD, die ewigen Diskussionen über Brandmauern, entscheidend ist, die Politik zu verändern.

Insgesamt schien das Land im ganzen Jahr bislang in einer eher gereizten Stimmung zu sein. Da waren die Bauerndemonstrationen, dann kamen die Enthüllungen zum Geheimtreffen der Rechtsextremisten mit der Folge der Demonstrationen für Vielfalt und Demokratie. Was verrät uns diese Daueraufgeregtheit über unser Land?

Seehofer: Das ist in einer Demokratie ein Stück Normalität. Ich habe mich immer dafür starkgemacht, die Menschen direkt an der politischen Willensbildung zu beteiligen. Meine Devise war: Mein Koalitionspartner ist die Bevölkerung. Das heißt nicht, dass ich frage, was wollt ihr? Und dann machen wir es nächste Woche. Was man aber tun muss, ist, auf die Argumente der Menschen zu hören. Im Übrigen rate ich zu Zuversicht und Gelassenheit: Die Europawahl hat gerade erst gezeigt, wie gut unsere Demokratie funktioniert. Die Leute haben den skurrilen Vorstellungen vom Ausstieg aus der EU von ganz rechts eine Abfuhr erteilt. Das war ein Lackmustest für unsere Demokratie.

Dennoch hat man oft den Eindruck, man hört einander in politischen Debatten nicht mehr richtig zu. Befürchten Sie Verhältnisse wie in den USA, wo Republikaner und Demokraten fast schon strukturell nicht mehr in der Lage sind, Kompromisse zu finden?

Seehofer: Wir sollten uns auf das besinnen, was uns gemeinsam starkmacht. Mein Geburtstag fällt ja beinahe mit dem des Grundgesetzes zusammen – zwei Mal 75 Jahre. Wir haben in Deutschland seit Gründung der Bundesrepublik eine Wohlstandsentwicklung für die gesamte Bevölkerung, die es so noch nie gegeben hat. Das liegt an der sozialen Marktwirtschaft, einer unserer ganz großen Stärken. Wir sollten den Menschen nicht jeden Tag erklären, was sie zu tun haben, welche Heizung sie zu wählen haben, nur um dann gleichzeitig zu sagen: Ab jetzt kannst du jedes Jahr dein Geschlecht wechseln. Die soziale Marktwirtschaft kann zur Renaissance der Union führen, etwa auch, weil sie beim Klimaschutz die richtigen Antworten bietet. Glauben Sie mir: Wenn Sie sagen, für eine Haussanierung kriegen Sie einen Steuerfreibetrag von 1500 Euro, dann sagt jeder Steuerberater seinen Mandaten: Da können Sie noch 1500 Euro absetzen, wenn Sie zwei Fenster ersetzen. Ich verspreche Ihnen: Das wird gemacht.

Müsste nicht die Opposition, also auch Ihre Partei, der Ampel stärker die Hand reichen? Viele Krisen sind ja nicht hausgemacht, Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine und seine Folgen etwa. Müsste man da nicht sagen: Das sind unsere drei gemeinsamen Projekte, etwa: Umbau der Stromversorgung, Verbesserung bei der Bundeswehr, große Bürokratie- und Steuervereinfachung – die packen wir jetzt zusammen an?

Seehofer: Zunächst einmal: Haben wir wirklich so neue Herausforderungen? Es gab seit der Deutschen Einheit nie gemütliche Zeiten: Jugoslawienkrieg, Afghanistan, Irak – das sind nur die militärischen Auseinandersetzungen. Von Migration, von Lehman Brothers, von den Eurokrisen habe ich noch gar nicht gesprochen. Politiker sind dafür da, große Herausforderungen zu meistern, und nicht, um zu jammern. Auch Helmut Kohl hat sich bei großen Fragen der Deutschen Einheit um Zusammenarbeit bemüht, sonst hätte das nicht funktioniert. So sollten wir es auch heute halten. In Sachen nationaler Herausforderung – die Kriegsfolgen, Migration – müssen Demokraten die Kernthemen lösen, unabhängig ob sie regieren oder in der Opposition sind. Dann brauchen wir uns über Extremisten bei der Bundestagswahl keine Sorgen mehr zu machen.

Friedrich Merz sollte also auf die Ampel zugehen?

Seehofer: Erinnern Sie sich an die Republikaner Anfang der 90er-Jahre. Nach fünf Jahren war der Spuk vorbei. Das war die große Leistung Edmund Stoibers. Er hat sich mit der SPD zusammengesetzt und die Reform des Asylrechts zustande gebracht. Mir würde vorschweben, dass sich jetzt die Spitzen der Ampel mit denen der Union ohne Terminhinweis und Kameras zusammensetzen. Und ohne immer darauf zu schielen, wer hat jetzt den parteipolitischen Vorteil. Ich bin kein Hofsänger von Edmund Stoiber, aber wie Politik in angespannten Zeiten geht, das hat er vorgemacht: die Größe zu haben, über alle Grenzen hinweg ernsthaft miteinander zu reden.

Heute passiert ja eher das Gegenteil. Merz greift den Kanzler sogar persönlich an und sagt: Der kann es nicht, er sei ein Klempner der Macht.

Seehofer: Abseits von Friedrich Merz – was mich beunruhigt, ist die zunehmende Gewalt- und Konfliktbereitschaft in unserer Gesellschaft. Ich habe in den letzten Wochen mehrfach Ingolstädter Bürger gefragt: Worauf führt ihr das zurück? Die Antwort war ziemlich einhellig: Die Politiker geben kein Vorbild mehr ab, nicht in der Sprache und nicht im Handeln. Ein verantwortlicher Politiker muss immer daran denken, dass er Vorbild ist. Man muss seine Worte genau wählen. Vielleicht nicht beim Aschermittwoch, aber im täglichen Geschäft. Nichts interessiert die Leute so sehr wie die Lösung eines Problems, nichts ist schädlicher als der ganze Firlefanz. Früher standen starke Persönlichkeiten auf in unserer Fraktion und hinterfragten, ob ein politischer Streit wirklich Sinn macht: Rita Süssmuth, Heiner Geißler, solche Leute. Wo sind die heute?

Der Eindruck, es gehe um Streit um jeden Preis, entsteht auch bei der Debatte um das Bürgergeld. Doch wie glaubwürdig ist die Kritik der Union, wenn CDU und CSU bei der Reform ja zugestimmt haben?

Seehofer: Das Bürgergeld ist in seiner ganzen Struktur falsch. Die Regierung Merkel hat vom Vorgänger Hartz IV profitiert und Gerhard Schröder dafür öfters gedankt. Zu Recht. Wahr ist aber auch: Das Bürgergeld hätte, genauso wie seine Anwendung auf die Ukraine-Flüchtlinge, ohne die Stimmen der Unions-Ministerpräsidenten im Bundesrat nicht beschlossen werden können. Nachdem die SPD jetzt offenbar unser präferierter Koalitionspartner nach der Bundestagswahl zu sein scheint, muss man allerdings erkennen: Mit der SPD werden wir das Bürgergeld nie abschaffen können. Man wird einzelne Teile ändern können, aber nicht das Kernproblem beseitigen, dass das Fordern zu sehr abgeschliffen wurde – mit dem Behalt von Vermögen, von überdimensionierten Wohnungen, mit der Addition von Regelsätzen. Da sind Sie schnell bei Beträgen, die sind größer als das, was eine Krankenschwester netto verdient. Das ist in der Bevölkerung ein ganz großes Ärgernis.

Warum sollte diese Krankenschwester jemanden zum Kanzler wählen, der mit dem Privatflieger zu Terminen jettet und für den Vermögensverwalter Blackrock in Deutschland lobbyiert hat? Anders gefragt: Ist Friedrich Merz wirklich der richtige Mann?

Seehofer: Ja.

Vorgänger Seehofer und Nachfolger Söder.
Foto: Peter Kneffel, dpa (Archiv)

Weil sonst Markus Söder wiederkommt?

Seehofer: Sie sollten einem alten Mann solche Suggestivfragen nicht mehr zumuten. Zu Markus Söder nur so viel: Ich habe ihn zum Ministerpräsidenten gewählt in geheimer Abstimmung, auch wenn der Ämterwechsel von unschönen Umständen begleitet war. Und ich plappere ihm als meinem Nachfolger nicht ständig in die Arbeit rein. Zurück also zu Friedrich Merz: Wir sollten uns hüten, das Jahr 2021 zu wiederholen. Friedrich Merz macht seine Arbeit als Partei- und Fraktionsvorsitzender sehr gut. Er hat die CDU geordnet. Ich war ja mal sein Stellvertreter in der Fraktion. Ich kann sagen: Er ist bestens geeignet, den Reset in der Wirtschaftspolitik durchzuführen, den wir so dringend brauchen. Ich habe als Sozialpolitiker natürlich so manche Diskussion mit ihm geführt, aber er war guten Argumenten gegenüber immer offen. Er braucht natürlich ein gutes Team, zum Beispiel für das Soziale, für Klima und Umwelt, für Verteidigung. Erinnern Sie sich noch an nur drei Leute aus Armin Laschets Schattenkabinett?

Ein relativ bekannter Terrorismusforscher und …

Seehofer: … da haben Sie es. Das war nicht zukunftsträchtig. Wir brauchen Leute, die was können, und dann müssen wir sie in der Öffentlichkeit bekannt machen. Merz hat die Größe, solche Leute zu installieren. Und die braucht er. Denn die Union hat eine Herkulesaufgabe, wenn sie die Regierung übernehmen sollte. Die sozialen Versicherungssysteme etwa sind in einer desolaten Lage – Pflege, Krankenversicherung, Rente – wir überschreiten die 40-Prozent-Grenze bei den Sozialversicherungsabgaben, das ist wirtschaftspolitisch ein Debakel. Oder nehmen Sie das Megathema Krankenhaus. Die Sorgen der Menschen auf dem Land sind groß. Sicher, Spezialkliniken in den Städten machen Sinn. Aber wir brauchen eine funktionsfähige Grundversorgung auf dem Land und ein größeres Angebot bei der Pflege. Was wir bieten müssen, sind Problemlösung und erstklassige Kommunikation. Und nicht Selbstdarstellung. Das haut nicht hin.

Und notfalls regiert die Union mit den Grünen, wie Merz sagt?

Seehofer: Zunächst: Wenn wir unser Potenzial besser erschließen, würden sich auch die Koalitionsmöglichkeiten erweitern. Dann könnte sich auch mal wieder eine Möglichkeit mit der FDP ergeben. Ansonsten aber ist meine Erfahrung seit über 40 Jahren: Mit demokratischen Parteien sollte man Koalitionsmöglichkeiten nicht ausschließen. Ich denke über die Grünen wie die große Mehrheit in meiner Partei, sehr kritisch, wir sprachen darüber. Aber kein Mensch weiß, mit welchen Mehrheiten die Bevölkerung uns ausstattet. Und wenn wir regieren wollen, dann dürfen wir uns nicht mit Hürden umzingeln.

Sie kennen Olaf Scholz ja aus langer gemeinsamer Zeit im Kabinett. Hatte er schon immer diese Schwierigkeit zu kommunizieren, wie ihm das heute ja vorgehalten wird?

Seehofer: Ich kannte ihn schon als SPD-Generalsekretär, später als Finanzminister. Ich bin sehr gut mit ihm ausgekommen. Er hat halt die Mentalität eines Norddeutschen, die manches Mal sehr wortspröde sind. Wir Bayern sind da anders, wir teilen auch nicht jeden unserer Gedanken mit, aber wir sind von Natur aus empathischer. In einem Punkt finde ich Scholz’ Verhalten aber genau richtig – bei der Frage der Taurus-Lieferungen. Er wollte eine Eskalation vermeiden und unter allen Umständen mit den Amerikanern gemeinschaftlich handeln. Beides ist richtig. Da kommt mir ein Satz von Franz Josef Strauß in den Sinn: Wer den Krieg erlebt hat, kann nur für den Frieden arbeiten. Ich würde diesen Satz heute so abwandeln: Wer weiß, zu welchen Eskalationen es in der modernen Kriegsführung kommen kann, der muss schon darauf achten, dass er nicht zu einer solchen Eskalation beiträgt.

Scholz’ Zurückhaltung bei der Hilfe für die Ukraine ist also richtig, auch weil die Bevölkerung Angst vor einer Eskalation mit Russland hat?

Seehofer: Ich habe das immer für richtig gehalten, auch wenn das in meiner Partei schon auch anders gesehen wird. Diese Haltung verbaut vor allem nicht die Chance, dass man irgendwann, wenn die Ukrainer es für richtig halten, versuchen kann, diesen hässlichen und brutalen Krieg der Russen zu beenden. Ich glaube nicht, dass eine Atommacht auf dem Felde besiegt werden kann.

Wir sitzen nun schon deutlich über eine Stunde zusammen und ich habe Sie noch nicht näher zu ihrer ehemaligen Chefin Angela Merkel befragt.

Seehofer: Das wundert mich auch.

Bis 2021 regierten sie zusammen: Angela Merkel als Bundeskanzlerin, Horst Seehofer als Innenminister.
Foto: Kay Nietfeld, dpa (Archiv)

Haben Sie zu ihr Kontakt?

Seehofer: Nein.

Frau Merkel schreibt ja ein Buch, es wird bald veröffentlicht. Was erwarten Sie: Welche Rolle spielen Sie darin?

Seehofer: Ich muss da überhaupt nicht drin vorkommen. Aber es kann natürlich sein, und das kann dann mit darüber entscheiden, ob ich auch noch ein Buch schreiben muss.

Das Buch von Angela Merkel trägt den Titel „Freiheit“. Welchen Titel würden die Memoiren des Horst Seehofer tragen?

Seehofer: „Freiheit und Solidarität“ – das wäre ein guter Titel. Denn das ist ein Geschwisterpaar. Eine freiheitliche Gesellschaft braucht das Bewusstsein, dass Solidarität nötig ist. Die Schwaben haben das eben erst beim Hochwasser vorgemacht.

Wir merken, Sie verspürten einen gewissen Schreibdrang …

Seehofer: Eigentlich kann ich mir das mit dem Buch nicht vorstellen. Andererseits: Angela hat mich immer wieder überrascht.

Zur Person: Horst Seehofer, 74, war unter anderem Bundesinnenminister, bayerischer Ministerpräsident und CSU-Chef. Vor allem in der Flüchtlingskrise wurde er als Gegner von Bundeskanzlerin Angela Merkel und deren Politik des „Wir schaffen das“ wahrgenommen. Zu seinem Nachfolger Markus Söder hat Seehofer ein eher angespanntes Verhältnis. Mit Seehofer holte die CSU 2013 zum (vorerst?) letzten Mal die absolute Mehrheit bei einer bayerischen Landtagswahl.