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Große Koalition: Das neue Kabinett: Aufsteiger, Absteiger, Umsteiger

Große Koalition

Das neue Kabinett: Aufsteiger, Absteiger, Umsteiger

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    Das Kabinett der Kanzlerin steht. Dabei gibt es einige Auf-, einige Ab- und einige Umsteiger.
    Das Kabinett der Kanzlerin steht. Dabei gibt es einige Auf-, einige Ab- und einige Umsteiger. Foto: Rainer Jensen, dps

    Sie pokerte hoch. Und sie ging volles Risiko. Ursula von der Leyen drohte lange Zeit die große Verliererin beim Postenpoker zwischen CDU, CSU und SPD zu werden. Ihr Arbeits- und Sozialministerium, das stand von Anfang an fest, wird sie verlieren, das geht an die

    Von der Leyen forderte ein wichtiges Ministerium

    Sie verlangte mehr, ein klassisches Ressort, ein wichtiges Ministerium. Und so wurde Ursula von der Leyen in den letzten Tagen beinahe für jedes Ministeramt gehandelt. Mal war sie als „Superministerin“ für Gesundheit, Rente und Pflege im Gespräch, also eine Art Demografieministerin, dann wieder als Chefin eines aufgewerteten Bildungs-, Forschungs- und Internetressorts, sozusagen eine Zukunftsministerin, zuletzt gar als künftige Innenministerin.

    Überraschungen im Kabinett

    Am Ende kam es völlig anders. Nach einem Wochenende voller Spekulationen und Gerüchte, halber und ganzer Dementis stand am Sonntag das Kabinett der Großen Koalition. Und es gab diverse Überraschungen. Die größte: Ursula von der Leyen wird als erste Frau in der Geschichte der Bundesrepublik an die Spitze des wichtigen Verteidigungsressorts rücken und dort ihren Parteifreund Thomas de Maizière ablösen, der wieder Innenminister wird, was er schon von 2009 bis 2011 war.

    Aufstieg zur unbestrittenen Kronprinzessin

    Eine Entscheidung mit weitreichenden Konsequenzen: Die Mutter von sieben Kindern übernimmt damit nicht nur die anspruchsvolle Aufgabe, die bereits beschlossene Reform der Bundeswehr umzusetzen, sondern steigt auch zur unbestrittenen Kronprinzessin von Angela Merkel auf. Thomas de Maizière hingegen, lange ebenfalls als möglicher Nachfolger der Kanzlerin gehandelt, muss den Preis für das Drohnendebakel bezahlen. Eine Degradierung, aber auch eine Chance, im Innenressort wieder an Profil und Statur zu gewinnen.

    Pofalla beendet politische Laufbahn

    Eine andere Überraschung macht schon am Freitag die Runde. Kanzleramtsminister Ronald Pofalla, ein enger Vertrauter der Kanzlerin und auch schon für diverse Ministerien gehandelt, scheidet aus der Regierung aus, er will mehr Zeit für seine Frau haben und offensichtlich in der Wirtschaft Geld verdienen.

    Für Angela Merkel ist dies eine schlechte wie eine gute Nachricht, sie verliert einen loyalen Mitstreiter, aber sie gewinnt einen Platz für Peter Altmaier, der seinerseits sein Umweltministerium an die SPD abgeben muss.

    Schäuble bleibt Finanzminister

    Die unscheinbare Johanna Wanka, die erst im Februar Annette Schavan abgelöst hat, kann hingegen bleiben, was sie ist, Bildungs- und Forschungsministerin. Neuer Gesundheitsminister wird Generalsekretär Hermann Gröhe – Belohnung für vier Jahre treue Dienste. Und Wolfgang Schäuble war als Finanzminister ohnehin gesetzt.

    Ein bisschen drunter und drüber geht es auch bei der CSU. Immer wieder neue Spekulationen machen die Runde, wobei nur einer gesetzt ist: Noch-Generalsekretär Alexander Dobrindt, der in diesem Jahr zwei überaus erfolgreiche Wahlkämpfe gemanagt hat, wird Minister für Verkehr und Internet, zuständig für die analoge wie digitale Infrastruktur, der zudem die Maut durchsetzen soll.

    Ramsauer verliert Ministerposten

    Hans-Peter Friedrich hingegen, der als Innenminister eine wenig glückliche Figur machte, muss sich mit einem abgespeckten Agrarressort begnügen. Peter Ramsauer, bei Parteichef Horst Seehofer schon seit langem in Ungnade gefallen, verliert gar seinen Platz im Kabinett. Er ist der wohl größte Verlierer des Wochenendes. Dafür wird der Allgäuer Gerd Müller Chef des Entwicklungsressorts.

    SPD zufrieden mit Kabinettsverteilung

    Die SPD-Minister in der neuen großen Koalition

    WIRTSCHAFTS- UND ENERGIEMINISTERIUM, VIZEKANZLER: SIGMAR GABRIEL: 2009 wurde er jüngster Parteichef seit Willy Brandt. Der gelernte Lehrer war zudem mit 40 Jahren in Niedersachsen jüngster deutscher Ministerpräsident (1999-2003). Von 2005 bis 2009 erwarb er sich als Bundesumweltminister Ansehen und Expertise im Bereich erneuerbare Energien. Ein politisches Naturtalent und begabter Redner, der aber auch als launisch gilt. Kommt aus sogenannten schwierigen Verhältnissen, das hat ihn tief geprägt. Der Vater war überzeugter Nazi, Gabriel musste gegen seinen Willen nach der Trennung der Eltern zeitweise beim Vater leben. Lebt mit seiner zweiten Frau, einen Zahnärztin, und seiner kleinen Tochter in Goslar.

    AUSSENMINISTERIUM: FRANK-WALTER STEINMEIER: Kanzleramtschef zu rot-grünen Zeiten, strickte für Gerhard Schröder an der «Agenda 2010» mit. Dann wurde der Jurist geachteter Außenminister (2005 bis 2009). Er ist stets exzellent vorbereitet, bürgernah, humorvoll. Seitdem der Westfale und Schalke-04-Fan in Brandenburg seinen Wahlkreis hat, ist die Region seine zweite Heimat geworden. Bei der Bundestagswahl gewann er das einzige Direktmandat der SPD im Osten. Steinmeier ist verheiratet mit einer Verwaltungsrichterin, der er eine Niere spendete, beide haben eine Tochter.

    JUSTIZMINISTERIUM: HEIKO MAASS: Der ehemalige Zögling des früheren SPD-Chefs Oskar Lafontaine ist die größte Überraschung bei der Neuverteilung der Posten auf SPD-Seite. Bislang war der Marathonläufer und Triathlet in der Landespolitik aktiv - seit anderthalb Jahren auch mit Erfahrung in einer großen Koalition. Seit Mai 2012 ist er Vize-Ministerpräsident und Wirtschaftsminister. Zuvor war er an der Saar schon einmal Umweltminister - damals als jüngster Minister Deutschlands überhaupt. Für sein neues Amt kann Maaß ein abgeschlossenes Jurastudium vorweisen. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.

    UMWELTMINISTERIUM: BARBARA HENDRICKS: Wacht seit 2007 über die Finanzen der Sozialdemokraten, oft unterschätzt. Sie sitzt seit 1994 im Bundestag und war Parlamentarische Staatssekretärin im Finanzministerium von 1998 bis 2007. Mit 20 Jahren in die SPD eingetreten, studierte Hendricks Geschichte und Sozialwissenschaften, mit Staatsexamen für das Lehramt. Sie liebt ihre Heimat, den Niederrhein, promovierte über «Die Entwicklung der Margarine-Industrie am unteren Niederrhein». Hendricks würde die NRW-SPD im Kabinett vertreten.

    ARBEITS- UND SOZIALMINISTERIUM: ANDREA NAHLES: Die Literaturwissenschaftlerin ist seit 2009 Generalsekretärin. Sie hat erst den Wahlkampf organisiert, dann die Koalitionsverhandlungen, schließlich den Mitgliederentscheid über die große Koalition. Zeit für ihre kleine Tochter Ella Maria und ihren Mann daheim auf einem Hof in der Eifel hat sie zurzeit wenig. «Ich war in meinem ganzen Leben noch nie so zufrieden», sagte sie nach ihrer Elternzeit. Die frühere Juso-Chefin zählt längst nicht mehr zu den Parteilinken. Intern ist sie nicht unumstritten, wurde zuletzt mit schlechtem Ergebnis wiedergewählt. Hat vehement für den Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde gekämpft.

    FAMILIENMINISTERIUM: MANUELA SCHWESIG: Sie ist das «Gesicht» der ostdeutschen SPD mit einer Blitzkarriere seit ihrem Parteieintritt 2003. Die gebürtige Brandenburgerin studierte Steuerrecht und folgte ihrem Mann, mit dem sie einen Sohn hat, nach Schwerin. 2002 bis 2008 arbeitete sie dort im Finanzministerium. 2008 übertrug Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) der damals 34-Jährigen Diplom-Finanzwirtin das Sozialressort. Seit 2009 ist sie auch SPD-Vize. Als Ministerin könnte Schwesig auch für das von der SPD heftig bekämpfte Betreuungsgeld zuständig sein.

    Große Freude herrscht dagegen bei der SPD. Sie hat erst gar nicht um das Finanzressort gekämpft, sondern es der Union überlassen, im Gegenzug aber starke Ministerien für sich beansprucht: Sigmar Gabriel wird als Vizekanzler und Wirtschaftsminister auch den kompletten Bereich der Energiepolitik in seinem Hause ansiedeln, Justizminister Heiko Maas, bislang Wirtschaftsminister im Saarland, erhält zusätzlich die Zuständigkeit für den Verbraucherschutz. Staatssekretär in dem aufgewerteten Ministerium wird ein Fachmann auf diesem Gebiet: Gerd Billen, Chef der Verbraucherzentrale Bundesverband.

    "Wir stehen vor einer guten Zeit für die SPD und das Land"

    Umweltministerin Barbara Hendricks holt das Bauressort in ihr Haus. Die bisherige Generalsekretärin Andrea Nahles übernimmt das Arbeits- und Sozialministerium, wo ihr überraschend EZB-Direktor Jörg Asmussen als Staatssekretär zur Seite stehen soll. Manuela Schwesig wird Familienministerin und Frank-Walter Steinmeier zum zweiten Mal Außenminister. „Diese Kabinettsverteilung entspricht den Wünschen der SPD“, sagt ein sichtlich zufriedener Parteichef Sigmar Gabriel am Sonntagmittag im Willy-Brandt-Haus. „Ich glaube, wir stehen vor einer ausgesprochen guten Zeit für die SPD und das Land.“

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