Zum zweiten Mal in Folge vergab das angesehene Wirtschaftsmagazin The Economist das Prädikat für die „beste Wirtschaft des Jahres“ 2023 an Griechenland. Schon 2022 hatte Hellas den Titel geholt. Das sei „ein weiterer unerwarteter Triumph“ und „ein bemerkenswertes Ergebnis für ein Land, dessen Name noch vor Kurzem gleichbedeutend mit Missmanagement war“, kommentierte das Magazin.
Tatsächlich glänzt der einstige Pleitestaat mit beeindruckenden Leistungen. Die griechische Wirtschaft wuchs in den vergangenen drei Jahren kumulativ um 16,4 Prozent. Im Durchschnitt der Euro-Zone waren es nur 9,9 Prozent. Anders als in manchen anderen Euro-Staaten ist eine Rezession in Griechenland nicht in Sicht. In diesem Jahr erwartet die griechische Regierung ein Wachstum von 2,9 Prozent. Die Europäische Zentralbank (EZB) setzt dagegen für den Euro-Raum nur ein Plus von 0,8 Prozent an.
Griechenland führt noch immer in der EU-Schuldenrangliste
Immer noch ist Griechenland das am höchsten verschuldete Land in der EU. Aber kein anderer EU-Staat hat seine Schuldenquote in den vergangenen drei Jahren so schnell gesenkt, nämlich um 45 Prozentpunkte von 206 auf 161 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Der einstige Schuldensünder hat seine Staatsfinanzen im Griff. 2009 erreichte das Haushaltsdefizit schwindelerregende 15,6 Prozent des BIP. Im vergangenen Jahr stand Griechenland mit einem Fehlbetrag von 2,3 Prozent besser da als der EU-Durchschnitt mit minus 3,1 Prozent.
Drei der vier großen Ratingagenturen bewerten Griechenland wieder als investitionswürdigen Schuldner. Sie honorieren damit nicht nur den Schuldenabbau und die fiskalische Disziplin, sondern auch die politische Stabilität in Griechenland. Der konservative Premierminister Kyriakos Mitsotakis, der das Land seit 2019 regiert, verbindet eine wirtschaftsfreundliche Politik mit einer starken sozialen Komponente wie Erhöhungen des Mindestlohns und der Renten. „Wir lassen die Schwierigkeiten hinter uns und können zuversichtlicher in die Zukunft sehen“, sagte Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis in seiner Neujahrsbotschaft.
Die Kaufkraft vor der Krise ist noch nicht wieder erreicht
Also alles gut in Griechenland? Nicht ganz. Denn bei vielen Menschen kommt der Aufschwung noch nicht an. Nach Angaben der staatlichen Sozialversicherungsanstalt Efka betrug der Bruttoverdienst eines Vollzeitbeschäftigten in Griechenland im Vorkrisenjahr 2009 durchschnittlich 1379 Euro. 2023 waren es nur 1251 Euro. Berücksichtigt man die Inflation, haben heute die griechischen Erwerbstätigen ein Drittel weniger Einkommen zur Verfügung als vor der Krise, zeigen Daten der Statistikbehörde Elstat.
Dass es vielen Menschen in Griechenland heute schlechter geht als vor der Krise, ist auch ein Resultat der Rettungsprogramme. Hilfskredite von 289 Milliarden Euro überwiesen die Euro-Partner und der Internationale Währungsfonds in den Jahren 2010 bis 2018 nach Athen. Es war die größte Rettungsaktion der internationalen Finanzgeschichte. Die Gelder bewahrten den griechischen Staat vor dem Bankrott. Aber sie trieben viele Menschen ins Elend.
Griechenlands rigides Sparprogramm hat tiefe Spuren hinterlassen
Als Gegenleistung für die Hilfskredite musste Athen ein rigides Sparprogramm durchziehen. Renten wurden rigoros gekürzt, die Ausgaben im Gesundheitswesen zusammengestrichen, öffentliche Investitionen zurückgefahren. Das Spardiktat trieb das Land in die tiefste und längste Rezession seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Wirtschaftsleistung schrumpfte um mehr als ein Viertel. Die Menschen verloren vor allem durch die fallenden Immobilienpreise im Schnitt 40 Prozent ihres Vermögens.
Heute sind nach Angaben des Statistikamtes Elstat 26,3 Prozent der griechischen Bevölkerung armutsgefährdet. Das ist der zweithöchste Prozentsatz in der EU nach Bulgarien. Gefühlt ist die Armut noch größer. Laut einer Umfrage von Eurostat bezeichnen sich 68,4 Prozent der Menschen in Griechenland als „arm“. 61 Prozent sagen, dass ihr Einkommen für den Lebensunterhalt „gerade mal reicht“. Etwas zurücklegen können nur 23 Prozent. 18 Prozent können im Winter nicht ausreichend heizen.
An mangelndem Fleiß der Menschen, die deutsche Boulevardblätter in der Schuldenkrise als „faule Griechen“ an den Pranger stellten, liegt es nicht: Mit einer durchschnittlich geleisteten Wochenarbeitszeit von 41 Stunden hielten die Griechinnen und Griechen 2022 den Rekord in der EU, noch vor Bulgarien und Polen. Zum Vergleich: Deutschland kam auf 34,7 Stunden.