Seit etwas mehr als einem Jahrhundert dürfen Frauen in Deutschland wählen. Ein Meilenstein für die Gleichberechtigung. Doch auch wenn die weibliche Stimme gleichwertig ist zu der von Männern: In den Parlamenten sind Frauen unterrepräsentiert. Aktuell sind 35 Prozent der Abgeordneten im Deutschen Bundestag weiblich. Und durch die Wahlrechtsreform, die im Sommer auf den Weg gebracht wurde, droht der Frauenanteil mit der nächsten Bundestagswahl sogar noch einmal zu sinken.
Hintergrund: Durch die Reform wird der Bundestag kleiner, Männer werden öfter als Direktkandidaten aufgestellt oder sichern sich den Einzug durch einen guten Listenplatz. Die ehemalige Ministerin und Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth will sich damit nicht abfinden: „Ich habe kein Verständnis für männerdominierte Parlamente im 75. Jahr des Grundgesetzes“, sagt die 87-Jährige. Die CDU-Politikerin ist Ehrenmitglied der Initiative „Parität jetzt“. In einem Manifest fordert diese zivilgesellschaftliche Vereinigung nun die Zusammensetzung der Parlamente aus gleich vielen Frauen wie Männern. Am Mittwoch übergibt die Initiative das Manifest an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD).
Im Bundestag stagniert der Anteil der Parlamentarierinnen schon seit 1998 bei etwa einem Drittel. Drei Parteien, die Grünen, SPD und Linke, haben durch Selbstverpflichtungen parteiintern die Chancengleichheit von Frauen gesichert. „Sonst hätte es im Bundestag keine Erhöhung des Frauenanteils auf 30 Prozent gegeben“, heißt es in dem Manifest. „Ohne paritätische Regulierung gibt es keine strukturelle Veränderung“, schließt die Initiative daraus.
In der Geschichte der Gleichberechtigung, oder vielmehr der Nichtgleichberechtigung von Frauen in der deutschen Politik, waren es laut der Initiative zuletzt vor allem Abgeordnete aus dem Osten, die für die notwendigen Veränderungen sorgen wollten. Die Vorhaben zu paritätischen Wahlgesetzen wurden 2019 von den Landesverfassungsgerichten in Thüringen und Brandenburg allerdings ausgebremst. Laut den Gerichten sei die paritätische Besetzung ein „wahlrechtsfremder Zweck“. An dieser Rechtsauffassung werde deutlich, dass das geltende Recht auf einem männlichen Blick basiere, halten die Vertreterinnen und Vertreter der Initiative entgegen.
Rita Süssmuth empfindet Parität als imperative Norm
Helene Wessel, eine der Mütter des Grundgesetzes, hatte bereits im Jahr 1949 deutlich gemacht, dass die Gleichberechtigung von Frauen und Männern in der parlamentarischen Demokratie zu gewährleisten sei und forderte, diese im Wahlrecht und Wahlmodus zu berücksichtigen. Rita Süssmuth erklärt 75 Jahre später, diese Forderung sei als verbindlich imperative Norm aufgenommen worden. Erfüllt wurde sie bisher noch nie.
Mit der Übergabe des Manifests an die Bundestagspräsidentin erhofft sich die Initiative, Frauen zu mobilisieren. Der Erfolg der AfD in den ostdeutschen Ländern bereitet der Initiative Sorge. Die Partei ist nicht bekannt dafür, auf Parität zu achten. Im Gegenteil, sie propagiere stereotypische Rollenbilder von Mann und Frau, heißt es aus Reihen der Initiative.
Anteilsmäßig sitzen die wenigsten Frauen derzeit übrigens im bayerischen Landesparlament. Von den 203 Abgeordneten sind gerade einmal 25 Prozent weiblich. Ziel der Initiative „Parität jetzt“ ist es, in dieser Legislaturperiode eine paritätische Wahlgesetzgebung durch das Parlament zu bringen. Darauf hofft die Vereinigung, die aus 89 Organisationen besteht. Es sei der letzte Ruf, bevor sich die Situation 2025 weiter verschlechtern könnte.
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