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Giorgia Meloni: Europas rechte Ikone

Italien

Wie stark ist Meloni wirklich?

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    „Giorgia Superstar“ schrieb eine große italienische Zeitung über Meloni. Die aber hat Probleme, ihre Wahlerfolge in handfeste Ergebnisse umzusetzen.
    „Giorgia Superstar“ schrieb eine große italienische Zeitung über Meloni. Die aber hat Probleme, ihre Wahlerfolge in handfeste Ergebnisse umzusetzen. Foto: Roberto Monaldo/LaPresse, dpa

    An jenem warmen Sommerabend Mitte Juni ist Giorgia Meloni auf einmal ganz leicht zumute. Italien hat die G7-Präsidentschaft inne, die Ministerpräsidentin hat erfolgreich einen dreitägigen Gipfel in einem Luxusressort in Apulien organisiert, die Großen der Welt waren da. Es ist der letzte Abend, Startenor Andrea Boccelli trällert Arien. Aufgeführt wird die pizzica, der traditionelle Balztanz der Apulier: Tänzerinnen in Weiß schwingen ein rotes Tuch, Tänzer umgarnen sie. Dann tritt Meloni im weißen Kleid auf die Tanzfläche vor den uralten Olivenbäumen. Wie ein Mädchen hüpft sie schnell zum Rhythmus der Trommeln. Fast schwerelos, denkt man. Und dass das eigentlich gar nicht ihre Art ist.

    „Ich bin keine optimistische Person, bei mir ist das Glas immer halb leer“, hatte sie noch vor Kurzem bei einer Begegnung mit ausländischen Journalisten bekannt. Die kennen Meloni als griesgrämige, auch selbstironische Kämpferin, als eine, die sich ein Lachen abringen muss. Diese Wochen aber sind anders. Es sind Wochen eines Rechtsrucks in Europa, Wochen mit vielen Fragen. Eine davon ist: Was genau will Giorgia Meloni?

    Ihr Aufstieg wirkt atemberaubend. Ist er wegweisend für die anderen rechtsradikalen Parteien in Europa?

    Ganz genau weiß man zumindest, dass der 15. Juni der Tag der beschriebenen Hochgefühle für die 47-Jährige Römerin war. Eine Woche zuvor holte ihre Partei Fratelli d‘Italia bei den Europawahlen mit knapp 29 Prozent ein Spitzenergebnis und gewann im Vergleich zu den Parlamentswahlen zwei Jahre zuvor sogar noch hinzu. Nur gut sechs Prozent hatte Meloni vor fünf Jahren erreicht. Ihr Aufstieg wirkt atemberaubend. Ist er wegweisend für die anderen rechtsradikalen Parteien in Europa?

    Meloni befindet sich seit zwei Jahren an der Macht. Und es gelingt ihr, bei Wählerinnen und Wählern weiterhin Sympathien zu sammeln. Allein das ist bemerkenswert. Kaum jemand hat derzeit Zweifel, dass Italiens erste Frau im Amt des Ministerpräsidenten die bis 2027 laufende Legislaturperiode zu Ende bringen wird. Angesichts von 68 Regierungen in der Nachkriegszeit mit einer Halbwertszeit von rund anderthalb Jahren käme das einem kleinen politischen Wunder gleich. Und so stellt sich noch eine Frage: Blüht das, was gerade in Italien zu beobachten ist, bald auch dem Rest Europas, Frankreich etwa oder Deutschland?

    Es gibt Experten, die bezeichneten Meloni nach dem Wahlerfolg und den Bildern mit dem US-Präsidenten, mit dem Papst, mit den anderen Staats- und Regierungschefs als „mächtigste Frau Europas“. „Giorgia Superstar“ schrieb eine große italienische Zeitung. Die Römerin, die in allen fünf Wahlbezirken als Spitzenkandidatin antrat, aber natürlich nicht als EU-Parlamentarierin nach Straßburg wechseln wird, hat alleine 2,4 Millionen Stimmen geholt. Schon wenig später zeigte sich allerdings, wie schwer es tatsächlich für sie ist, politische Erfolge in handfeste Ergebnisse umzuwandeln.

    Kanzler Scholz: Mit Meloni gebe es keine Deals über die Spitzenämter in der EU

    Meloni, der Star des Moments, die einzige Regierungschefin, die Stimmen dazu gewinnen konnte, die Führerin des EU-Gründungsmitglieds Italien, wurde kürzlich von jenen, die trotz aller Wahlniederlagen das Schicksal Europas bestimmen, schlicht übergangen: Deutschland und Frankreich. Bundeskanzler Olaf Scholz, manche bezeichnen ihn – und Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron – bereits als „lahme Ente“, sagte es ganz deutlich: Mit Meloni gebe es keine Deals über die Spitzenämter in der EU, weil sie „am extremen rechten Rand des politischen Spektrums“ stehe. Was nichts anderes heißt als: Italien, drittgrößte Volkswirtschaft in Europa, wird schlicht ausgeschlossen vom Geschacher um die EU-Spitzenposten nach der Europawahl.

    Gleichwohl: Was hinter den Kulissen passiert, ist bisweilen eine andere Frage. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen könnte noch auf die Stimmen der Meloni-Partei angewiesen sein, vielleicht gibt es doch einen „Geheimpakt“, wie Beobachter spekulieren? Die von Meloni geführte Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer ist nach Konservativen und Sozialisten immerhin die drittstärkste Fraktion im EU-Parlament. Melonis Interesse: Sie will sich Europa als pragmatische und vertrauenswürdige Rechte präsentieren.

    Unter Rechten: Giorgia Meloni empfängt Viktor Orban, den Ministerpräsidenten von Ungarn.
    Unter Rechten: Giorgia Meloni empfängt Viktor Orban, den Ministerpräsidenten von Ungarn. Foto: Roberto Monaldo/LaPresse, dpa

    Wie beim Tanz in Süditalien tritt sie vergangene Woche im Abgeordnetenhaus in Rom wieder einmal engelsgleich in Weiß auf. Doch man sieht ihr die Strapazen der zurückliegenden Wochen an. Und den Frust. Sie hat Augenringe, sie hat auch den für sie typischen zornigen Blick mit gesenktem Kopf und nach oben blickenden Augen. Zu sehen ist hier eine Frau, die sich immer schon benachteiligt fühlte, persönlich wie politisch.

    Die Schlüsselfigur in Melonis Leben ist ihr Vater. Der, ein Sympathisant der Kommunisten, ließ die Familie im Stich, als Giorgia zwei Jahre alt war. Seither, so sieht es Meloni, galt es, sich zu behaupten gegen das Böse in der Welt. Das Glas war immer halb leer. Die neofaschistische Bewegung, der ihre Mutter nahestand, bot Meloni eine Schwarz-Weiß-Welt, die Illusion von Klarheit, eine Heimat mit eisernen Regeln. „Dass der Vater die Familie im Stich gelassen hat, hat auch die Politikerin Meloni geprägt“, sagt ein enger Mitarbeiter von ihr.

    „Was ich am meisten hasse, sind Demütigungen“, verriet sie einmal

    Meloni steht nun am Mikrofon im Parlament, müde und zornig. „Wenn es eine Tatsache gibt, die die Wahlurnen gezeigt haben“, sagt sie, „dann ist es die Ablehnung der Politik, die von den Regierungen in vielen der großen europäischen Nationen gemacht wurde“. Trotzig nennt sie die Prozentzahlen, die die Regierungsparteien bei der Europawahl in Frankreich (16 Prozent), Deutschland (32 Prozent) und Spanien (34 Prozent) erreichten. Einzig in Italien hätten die Regierungsparteien 53 Prozent Zustimmung bekommen. Es ist Melonis persönlicher Erfolg, niemand außerhalb Italiens scheint ihn allerdings anzuerkennen.

    „Was ich am meisten hasse, sind Demütigungen“, verriet sie einmal. Der Ausschluss vom Verhandlungstisch beim EU-Gipfel in Brüssel, kurz nach ihrem Auftritt im italienischen Parlament, war so eine Demütigung. Obwohl sie sich als Regierungschefin klar zur Solidarität mit der Ukraine bekennt, obwohl für sie Italiens NATO-Mitgliedschaft außer Frage steht, obwohl sie als Newcomerin oft konstruktiv im Europäischen Rat mitarbeitet, Migrations-Deals in Afrika mit abgewickelt hat. Das ist ihre Sicht.

    Dabei wird sie längst nicht von allen geschmäht, im Gegenteil. Viele konservative Europäer blicken fast bewundernd nach Italien, wo Meloni – zu einem hohen Preis für die Flüchtlinge – ihren größten innenpolitischen Erfolg in der Asylpolitik vorzuweisen hat. Lediglich rund 25.000 Migranten kamen im ersten Halbjahr 2024 über das Mittelmeer nach Italien, 60 Prozent weniger als im Jahr zuvor. Auch das Image vom postfaschistischen Schmuddelkind hatte Meloni erfolgreich abgelegt. Schien es.

    Welcher Umgang ist der beste? Bayerns Ministerpräsident Markus traf sich im Mai mit Meloni in Rom.
    Welcher Umgang ist der beste? Bayerns Ministerpräsident Markus traf sich im Mai mit Meloni in Rom. Foto: Oliver Weiken, dpa

    Die Realität ist komplexer. Wer sie ohne Vorbehalte anerkennt, das ist Europas Rechte. Hier ist sie Star, Vorbild, das freundliche Gesicht des Postfaschismus. Stets bereit, zusammen mit den anderen Rechtsradikalen die Macht auf dem Kontinent zu übernehmen. Andere tun sich schwer mit ihr. Sollte man sie ablehnen, wie Olaf Scholz es tut? Oder sollte man sie einbinden in Machtmechanismen und Machtverteilung? Wie es die EVP mit Ursula von der Leyen und Manfred Weber (CSU) handhaben will?

    Fragen über Fragen. Eine Antwort liegt gewiss darin, wie die italienische Ministerpräsidentin mit dem neofaschistischen Erbe der von ihr gegründeten Partei umgeht. In den vergangenen Tagen gab Meloni mal wieder eine Kostprobe jenes Spagats, den sie regelmäßig vollzieht, wenn es um das Verhältnis der Partei zur Vergangenheit geht. Eine Enthüllungsjournalistin des Portals Fanpage.it hatte sich undercover in die Jugendorganisation der Fratelli d‘Italia eingeschleust und antisemitische, rassistische und neofaschistische Umtriebe des Meloni-Nachwuchses dokumentiert. Darunter waren „Sieg-Heil“-Rufe und Verherrlichungen des Diktators Benito Mussolini. Meloni schwieg tagelang und echauffierte sich dann – über die journalistischen Recherchemethoden.

    Was Meloni wirklich denkt, ist unverändert ihr Geheimnis

    Das ist ihr Reflex. Man kann ihn mit Melonis politischem Verfolgungswahn erklären, der aus den langen Jahren in der Opposition rührt, als die 2012 gegründeten Fratelli d‘Italia als widerborstiges Gewächs aus dem rechten Sumpf nicht ernst und kaum wahrgenommen wurden. Es ist Melonis Ur-Kampf, sich zu behaupten, die überheblichen Kritiker eines Besseren zu belehren. Inzwischen jedoch, mit Regierungsverantwortung und europäischen Ambitionen, sind die Nazi-Umtriebe des harten Kerns ihrer Sympathisanten ein Hindernis auf dem Weg zu weiterer, größerer Machtfülle.

    „Ich habe es schon dutzende Male gesagt, aber wenn es sein muss, wiederhole ich es noch einmal“, sagt Meloni schließlich vor wenigen Tagen. „In Fratelli d‘Italia ist kein Platz für rassistische oder antisemitische Positionen, ebenso wenig wie für Nostalgiker der Totalitarismen des 20. Jahrhunderts oder für jegliche Manifestation dummer Folklore.“ Ähnlich hat sie früher gesprochen, zum Holocaust-Gedenktag etwa, als sie die Shoah als „Abgrund der Menschheit“ bezeichnete. Und „das Böse des verbrecherischen Plans des Nazifaschismus und die Schande der Rassengesetzte von 1938“ brandmarkte.

    Solche Worte sind das Eine, was in ihrer Partei vor sich geht, das Andere. Und was Meloni wirklich denkt, ist unverändert ihr Geheimnis. Gewiss ist, dass sie ein Ziel vor Augen hat, es lautet: Respekt für Italien, Respekt für sie selbst. Was auch immer das in Politik umgemünzt heißen mag. Dafür ist Meloni bereit, manches zu opfern. An die Faschismus-Nostalgiker gerichtet sagt sie: „Unsere Aufgabe ist zu groß, als dass diejenigen, die ihre Tragweite nicht verstanden haben, alles kaputtmachen können.“

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    1 Kommentar
    Marianne Böhm

    Meloni, LaPen, andere Rechte in Europa, werden in den nächsten Jahren das sagen haben, leider wird es so kommen. Vielleicht wird sich aber daraus auch etwas entwickeln was uns in eine freie Demokratische Zukunft führt. Gestern sagte Röttgen bei Maischberger, die Deutschen wollen nicht aufwachen, deren unrealistischer Wunsch ist es mit Putin zu verhandeln. Die Deutschen haben Jahrzehnte lang in einer Bequemzone gelegen und sind verwöhnte, bequeme Menschen die mit einer harten Realität nicht gewohnt sind umzugehen. Wir haben Deutschland zu Made in Germany aufgebaut, mit unseren Tugenden, Fleiß, Pünktlichkeit, Zuverlässig, Gründlichkeit, Disziplin usw.. und haben uns an eine wichtige Abmachung gehalten nie mehr Krieg von Deutschland aus. Heute wird das alles schlecht geredet. Heute sind wir die faulen Kriegsmüden Versager. Mir kann es als Rentnerin mit den Rechten (ohne Kriegsgeschrei) nicht schlechter gehen als mit unserer heutigen Politik, deren Kriegsgeschrei durch die Welt hallt.

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