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Interview: Ex-BND-Mitarbeiter Conrad: Nachrichtendienst "ganz ohne Mord und Totschlag"

Interview

Ex-BND-Mitarbeiter Conrad: Nachrichtendienst "ganz ohne Mord und Totschlag"

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    Ein Passant geht an der Zentrale des Bundesnachrichtendienstes in Berlin vorbei. Was hinter der Fassade vor sich geht, erfährt die Öffentlichkeit nur selten. Gerhard Conrad war fast 30 Jahre in führender Position dabei.
    Ein Passant geht an der Zentrale des Bundesnachrichtendienstes in Berlin vorbei. Was hinter der Fassade vor sich geht, erfährt die Öffentlichkeit nur selten. Gerhard Conrad war fast 30 Jahre in führender Position dabei. Foto: Kay Nietfeld

    Herr Conrad, Sie haben das Buch „Keine Lizenz zum Töten“ über Ihre Zeit beim Bundesnachrichtendienst geschrieben. Nicht nur zwischen den Zeilen wird klar, dass Sie auch ein Plädoyer für einen modernen, schlagkräftigen Dienst abgeliefert haben.

    Gerhard Conrad: In der Tat. Hier spreche ich aufgrund meiner Erfahrungen. Darüber hinaus sollte eigentlich die Notwendigkeit eines leistungsfähigen Auslandsnachrichtendienstes für ein Land mit globalen Abhängigkeiten außer Frage stehen. Die Ereignisse in und um Afghanistan und der Ukraine zeigen eindringlich, wie essenziell und wertvoll rechtzeitige und zutreffende Informationen für Entscheidungsprozesse sind. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in einem Urteil vom Mai 2020 die Bedeutung des BND für die Sicherheit Deutschlands betont.

    Sie haben viele Kapitel spannend und farbig geschrieben. Wollten Sie so verhindern, dass nur Fachleute Ihr Werk zur Hand nehmen?

    Conrad: So ist es. Das entspricht ja zum einen auch dem Konzept des Verlags, der mir ja dankenswerterweise mit Martin Specht einen wunderbaren Co-Autoren an die Seite gestellt hat, um mich von allzu argen Fachsimpeleien und Beamtendeutsch abzuhalten. Mir war es wichtig, möglichst anschaulich zu verdeutlichen, dass Nachrichtendienst ebenso intellektuell und fachlich anspruchsvoll wie psychisch und physisch fordernd ist, und dies ganz ohne Mord und Totschlag.

    Klischees vom eiskalten Agenten, der sich – wenn nötig – den Weg freischießt, brechen Sie ja schon in Ihrem Buchtitel. Wie gefährlich war Ihre Arbeit?

    Conrad: Sie haben ein höheres allgemeines Risiko in Kriegs- und Konfliktgebieten, so wie alle, die sich dorthin begeben. Dies gilt insbesondere, wenn Sie sich zu Konfliktparteien begeben, deren Fähigkeit zur Eigensicherung immer wieder herausgefordert wird. Wenn Sie da zwischen die Fronten zweier Gruppierungen geraten, sieht es im Zweifel nicht gut für Sie aus. Auch Bombenanschläge können Sie erwischen. Ich hatte generell Glück mit meinen Gastgebern, die gut auf mich aufgepasst haben.

    Sind manche Zuhörer enttäuscht, wenn sie erfahren, dass Sie in Ihrer Zeit beim BND nie einen Schuss abgefeuert haben, ja gar keine Ausbildung an der Waffe absolviert haben?

    Conrad: Bisher habe ich diese Erfahrung nicht gemacht; vielleicht waren alle auch nur zu höflich? Auf der anderen Seite ist es ja gerade auch wichtig, dass die Erwartungshaltungen gegenüber einem Bundesnachrichtendienst korrigiert werden: Der Dienst ist eben kein Mantel- und Degen-Stück. Er fordert vielmehr ein hohes Maß an Disziplin, Klugheit, fachlicher wie methodischer Professionalität, Entscheidungs- und Tatkraft. Das kann viel aufregender sein als Blitz und Donner auf dem Gefechtsfeld.

    Gerhard Conrad arbeitete 30 Jahre für den Bundesnachrichtendienst. Jetzt hat er ein Buch über seine Zeit geschrieben.
    Gerhard Conrad arbeitete 30 Jahre für den Bundesnachrichtendienst. Jetzt hat er ein Buch über seine Zeit geschrieben. Foto: Soeren Stache, dpa (Archiv)

    In den Verhandlungen mit der palästinensischen Hamas oder den Israelis war viel Psychologie gefragt. Wie haben Sie Ihre spektakulären Erfolge erzielt?

    Conrad: Ich habe versucht, die Belange aller Seiten so gut und gründlich wie möglich zu verstehen und auf dieser Basis dann Kompromisse zu entwickeln und vorzuschlagen, und dies unter konsequenter Geheimhaltung gegenüber Dritten. Wenn Sie das kontinuierlich tun, haben Sie die Chance, ein belastbares Vertrauensverhältnis zu den jeweiligen Konfliktparteien aufzubauen. Am Schluss gehört dann eine gehörige Portion Glück dazu, also ein politischer Handlungswille beider Konfliktparteien, auf den Sie dann letztlich keinen oder nur einen kleinen Einfluss haben.

    Das Image des BND könnte sicher besser sein. Früher hieß es, der Dienst sei schwer zu kontrollieren. Heute hört man, er sei für die Gefahrenabwehr im digitalen Zeitalter schlecht gewappnet. Ist da etwas dran?

    Conrad: Am Image des BND haben leider viele Beteiligte in Politik und Medien mitgewirkt. Der Dienst hat es ihnen in einigen Fällen auch leicht gemacht, sei es durch Missgriffe, sei es durch freiwillige oder aufoktroyierte Geheimnistuerei oder Öffentlichkeitsscheu. Ein Dienst, dessen rechtlich verfasste Aufgaben von politischer Seite nicht allseits klar und überzeugend vertreten und erläutert werden, der lieber totgeschwiegen wird, wird zwangsläufig nur dann ans Tageslicht gezerrt, wenn etwas schiefgegangen ist. Dass es auch anders geht, zeigt der angloamerikanische Raum. Auch dort besteht kein Mangel an Kritik; zugleich jedoch sind sich alle Seiten darüber im Klaren, dass leistungsfähige Dienste von elementarer Bedeutung sind.

    Was muss sich ändern?

    Conrad: Die Kontrolle des Dienstes muss politisch gewollt und administrativ adäquat umgesetzt werden. Damit ist aber auch verbunden, dass eine den Bedrohungen und Herausforderungen angemessene Handlungsfähigkeit des Dienstes erklärtes, gemeinsames Anliegen von Dienst, Politik und Aufsichtsbehörden sein sollte. Und das muss auch öffentlich so kommuniziert werden. Wer die früheren parlamentarischen Gremien kennt, weiß, dass dies von vornherein unrealistisch war. Das zeugte von mangelndem Interesse, mangelndem Willen und kann kaum als Grundlage für Vorwürfe an den Dienst herangezogen werden. Hier hat sich inzwischen immerhin einiges verbessert.

    War die Finanzierung des BND unzureichend?

    Conrad: Ausweislich der Zahlen im Bundeshaushalt ist der Dienst – ebenso wie ja auch die Bundeswehr – nach dem Ende des Kalten Krieges über Jahre hinweg strukturell unterfinanziert worden. Man meinte ja, keinen Herausforderungen mehr gegenüberzustehen, vor deren Auswirkungen versierte Dienste unser Land schützen müssten. Diese verfehlte Vorstellung gehört zu den heute viel beklagten Lebenslügen, denen man in den vergangenen Jahrzehnten erlegen ist. Einen Investitionsstau muss man abarbeiten. Doch das erfordert Zeit, manchmal zu viel Zeit, die man eigentlich gar nicht mehr hat.

    Der neue Chef-Kontrolleur der Geheimdienste, Konstantin von Notz (Grüne), bekennt sich zum BND, will dem Dienst aber stärker auf die Finger schauen. Hat er recht?

    Conrad: In erster Linie wird erst einmal der jeweiligen Bundesregierung auf die Finger zu schauen sein, denn es ist diese, die Dienst- und Fachaufsicht über den BND, seine Leistungsfähigkeit und rechtliche Einbindung in angemessener Weise auszuüben und politisch zu verantworten hat. Ansprechpartner für das Parlamentarische Kontrollgremium für die Geheimdienste – kurz PKGr – ist also das Bundeskanzleramt. Es gehört zu den traditionellen Unarten des politischen Diskurses, dass man stets auf die Dienste als die unartigen, sich der Kontrolle entziehenden Buben fokussiert. Gefragt sind hier Wahrheit und Klarheit zwischen Dienst und Kanzleramt.

    Wie sollte – kurz skizziert – Ihrer Ansicht ein moderner, effektiver BND in Zukunft aussehen?

    Conrad: Im Zentrum müssen exzellent ausgebildete Fachleute und eine moderne Ausstattung stehen. Hieraus leiten sich die personellen Anforderungen wie die wissenschaftlich-technischen Mittel in allen Bereichen der Beschaffung ab. Sei es mit menschlichen Quellen – analog, aber auch im Cyberraum –, sei es mit technischen Mitteln im Bereich von Kommunikation und Cyberstrukturen, wie auch mit weltraum- oder luftgestützter Sensorik – wie zum Beispiel Satelliten- oder Drohnenaufklärung. Der Dienst muss über eine eigenständige, hochkompetente Lagefeststellungs- und Lagebeurteilungskompetenz verfügen, mit einer etablierten Stellung in den politischen und militärischen Entscheidungsprozessen.

    Zur Person: Fast 30 Jahre lang war Gerhard Conrad beim BND mit geheimen Missionen betraut. Er verhandelte mit Terroristen, war persönlicher Beauftragter der UN-Generalsekretäre Kofi Annan und Ban Ki-moon. Der Islamwissenschaftler und Experte für den Nahen Osten verhandelte etwa mit Terrororganisationen und Regierungen den Austausch von Gefangenen. Conrad, Jahrgang 1954, war federführend beteiligt an den indirekt geführten Gesprächen zwischen Israel und der libanesischen Organisation Hisbollah. Ergebnis der äußerst brisanten Verhandlungen war ein Gefangenenaustausch. Außerdem schaltete sich Conrad in die Verhandlungen zur Freilassung von Deutschen ein, die im Nahen Osten festgehalten wurden. Er gilt als verantwortlich dafür, dass Daniel Scharon, ein Deutsch-Israeli, 2007 aus libanesischer Untersuchungshaft entlassen wurde. Zuletzt war er als erster Deutscher Direktor am EU Intelligence Analysis Centre in Brüssel und ranghöchster ziviler Nachrichtendienstmitarbeiter auf europäischer Ebene. Gerhard Conrad erhielt für seine Arbeit mehrere Auszeichnungen, darunter das Bundesverdienstkreuz. Sein aktuelles Buch „Keine Lizenz zum Töten“ ist im Econ Verlag erschienen.

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