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Gefangenenaustausch: Berlins heikler Deal mit Russland

Gefangenenaustausch

Berlins heikler Deal mit Russland

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    Flugzeuge, die vermutlich aus Russland kommende Gefangene transportieren, bei ihrer Ankunft auf dem Flughafen in Ankara.
    Flugzeuge, die vermutlich aus Russland kommende Gefangene transportieren, bei ihrer Ankunft auf dem Flughafen in Ankara. Foto: dpa

    Es ist ein spektakulärer Deal, wie ihn die deutsche Politik nur selten erlebt. Bundeskanzler Olaf Scholz wollte eigentlich ein paar Tage Urlaub machen, ausspannen, doch irgendwann überschlugen sich die Ereignisse an diesem Donnerstag regelrecht. Am Abend empfing er auf dem Flughafen in Köln eine Gruppe Menschen, von denen viele mit ihrem normalen Leben, mit ihrem Alltag schon abgeschlossen haben dürften: Die Bundesregierung ging einen Gefangenenaustausch mit Russland ein. Nicht nur der in Belarus erst zum Tod verurteilte und dann begnadigte deutsche Staatsbürger Rico K. kam frei, sondern auch der amerikanische Journalist Evan Gershkovic sowie mehrere russische Kreml-Kritiker. Der amerikanische Präsident Joe Biden sprach von einer „Meisterleistung der Diplomatie“.

    Der Preis, den der Westen dafür zahlte, war hoch: Der so genannte Tiergartenmörder Vadim Krassikow ist ab sofort ebenfalls ein freier Mann. Der Russe hatte in einer Parkanlage in Berlin einen Georgier getötet, der in Deutschland Schutz gesucht hatte. Der russische Präsident Wladimir Putin nahm den Mörder öffentlich in Schutz, weil er aus seiner Sicht einen Staatsfeind beseitigt hatte. Das Opfer nannte Putin einen „Banditen“, „Mörder“ und „blutrünstigen Menschen“. Das deutsche Gericht hingegen wertete die Exekution im Kleinen Tiergarten in Berlin als „Staatsterrorismus“.

    Generalbundesanwaltschaft ist nicht begeistert von dem Deal

    Getroffen wurde die Entscheidung, den Mörder freizulassen, im Justizministerium. Minister Marco Buschmann habe die Generalbundesanwaltschaft schriftlich angewiesen, die Vollstreckung auszusetzen und so den Austausch zu ermöglichen. Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung schreibt, war man in Karlsruhe alles andere als begeistert von dem Deal. „Aus der Behörde war am Donnerstag zu hören, dass ,Ernüchterung‘ darüber herrsche, wie sie ausgefallen ist“, schreibt die Zeitung. Die Anweisung des Ministers sei zwar rechtmäßig, das Verständnis trotzdem „gering“. „Ausgerechnet in einem Fall, in dem es um einen verurteilten Mörder gehe, nicht um Spione, habe sich ,die Macht‘ durchgesetzt“, so die Einschätzung. Die Entscheidung verliere die Angehörigen des Ermordeten aus dem Blick.

    Doch bei der Bundesregierung überwogen offenbar humanitäre Interessen – und die Solidarität mit den Vereinigten Staaten. „Unsere Schutzverpflichtung gegenüber deutschen Staatsangehörigen sowie die Solidarität mit den USA waren wichtige Beweggründe“, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Denn klar ist, dass die USA, ein wichtiger Partner Deutschlands, hier vorankommen wollten – und das am besten noch vor der Präsidentschaftswahl. Die Vorbereitungen für einen Gefangenenaustausch, vor allem in dieser Größenordnung, sind aufwendig und langwierig. Monatelange Geheimgespräche gingen voraus. Washington, aber auch Putin dürften kein Interesse daran gehabt haben, die dabei erzielten Fortschritte aufs Spiel zu setzen für den Fall, dass der Republikaner Donald Trump zurück an die Macht kommen könnte. Trump wird zwar einige Nähe zu Putin nachgesagt, der 78-Jährige ist aber extrem unberechenbar und sprunghaft. Und er hat bislang getönt, er würde rein gar nichts anbieten im Gegenzug für eine Freilassung inhaftierter Amerikaner.

    Abkommen sollte noch vor der US-Wahl stehen

    Als politischer Gewinner des Gefangenenaustausches gilt aber vor allem der russische Präsident. Als ehemaliger Geheimdienstchef will der vor allem zeigen, dass Russen, die im Ausland im Interesse Moskaus arbeiten, mit dem Gesetz in Konflikt kommen und in Haft landen, nicht vergessen werden. „Wir lassen unsere Leute nicht im Stich“, lautet ein russischer Spruch. Experten kritisieren, dass Putin seit Jahren immer wieder gezielt politische Gefangene nimmt, um den Westen damit unter Druck zu setzen.

    Eine wichtige Rolle in der Abstimmung zwischen dem Westen und Russland übernahm der türkische Präsident Tayyip Erdogan. In einem Sternflug aus Europa, Amerika und Russland flogen am Donnerstagnachmittag sieben Passagiermaschinen in die türkische Hauptstadt Ankara. Türkische Fernsehsender zeigten die gelandeten Flugzeuge auf abgesicherten Teilen des Airports Esenboga. Die vielen Flugzeuge waren nötig, um die Gefangenen nach Ankara und dann in ihre jeweiligen Heimatländer zu bringen. Nach Angaben der türkischen Regierung wurden die Freigelassenen aus Gefängnissen in Deutschland, den USA, Russland, Weißrussland, Norwegen, Polen und Slowenien nach Ankara gebracht.

    Die Männer und Frauen wurden von Agenten des türkischen Geheimdienstes MIT in einen abgesicherten Teil des Flughafens gebracht, wie die türkische Regierung mitteilte. Dort wurden sie medizinisch untersucht, während der MIT und Vertreter der beteiligten Staaten die Dokumente für den Austausch prüften. Anschließend wurden die Ex-Gefangenen wieder zu den Maschinen geführt. Zwölf Gefangene flogen nach Deutschland, zehn - darunter zwei Minderjährige – reisten nach Russland, und vier weitere flogen in die USA.

    Türkei sieht sich als Gewinnerin der Diplomatie

    MIT-Chef Ibrahim Kalin und seine Agenten hatten wochenlang an dem Austausch gearbeitet. Kalin hatte vorige Woche den russischen Auslandsgeheimdienstchef Sergej Narischkin in Ankara empfangen. Der türkische Geheimdienst habe Gesprächskanäle zwischen den beteiligten Ländern geöffnet und als Vermittler gedient, teilte das türkische Presseamt mit. Die Türkei habe außerdem „Sicherheitsmaßnahmen, Logistik und die Vorkehrungen für den Austausch“ gewährleistet.

    Der erfolgreiche Austausch ist ein Triumph für die Türkei, die in jüngster Zeit wegen ihrer Kritik an Israel im Gaza-Krieg, ihrer engen Kontakte zur russischen Regierung und der Weigerung, sich an den westlichen Sanktionen gegen Moskau wegen des Ukraine-Krieges zu beteiligen, in Europa und den USA scharf kritisiert worden war. Nun könne sich die Türkei in ihrer Haltung bestätigt sehen, sagt der regierungskritische Sicherheitsexperte Yörük Isik unserer Redaktion: „Der Austausch stärkt das Argument der Türkei und der türkischen Diplomatie, wonach die Türkei ein einzigartiges Land ist, das mit allen Konfliktparteien sprechen kann.“

    Auch der aus Russland geflohene Oppositionelle Dmitri Gudkow lenkt den Blick in Richtung Ukraine. Der Austausch sei ein erster Schritt hin zu Verhandlungen auch über einen Frieden in der Ukraine gewesen, glaubt er. Beide Seiten hätten den Krieg inzwischen satt. Sie hätten einander durch die Ruhe des Verhandlungsprozesses und das Dichthalten gezeigt, dass sie sich an Vereinbarungen hielten. Das sei ein wichtiger Vertrauenstest. (mit dpa)

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    9 Kommentare
    Franz Wildegger

    Obwohl ich es einigermaßen verstehen kann, dass man "unschuldig einsitzende Gefangene" aus Russland nach Deutschland, oder den USA zurück holt, oder gar in Belarusus einen Deutschen von dem Regime, sogar hätte ermorden lassen müssen, hängt dem Ganzen doch ein "sehr fader Beigeschmack" an, dass sich die ganze Welt von "diesem Mörder Putin" erpressen lassen muss, fast unglaublich, aber leider wahr!

    Franz Xanter

    Als größte Farce muss man es jedoch ansehen, dass Putin westliche Staaten, einschl. deren Staatsvertreter, vorgeführt hat. Politisch Gefangene, willkürlich festgesetzt, verhaftet und abgeurteilt, einzig zu dem Zwecke, sei es über kurz oder lang, gegen im Westen in Haft sitzende Straftäter ausgetauscht zu werden. Entscheidend ist hierbei, willkürlich verhaftete und verurteilte politische Gefangene in Russland. Wer hier nicht von vorgeführt spricht, hat das Ganze nicht verstanden.

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    Gerold Rainer

    Das anders herum vorführen funktioniert auch gut. Man muss nur eine Ausreiseempfehlung für Russland aussprechen. Damit übernimmt jeder, der sich freiwillig in diesem Land aufhält, die volle Verantwortung für das Risiko. Es würden nicht nur Menschen, sondern auch Kapital abwandern. Für Putin ist Deeskalation ein Zeichen der Schwäche.

    Wolfgang Boeldt

    1. Der russische Tiergartenmörder hat nach russischer Sicht einen Staatsfeind beseitigt. Gut - Mord ist Mord. Israel beseitigt Staatsfeinde am laufenden Band. Auch gut - Mord ist in diesen Fällen eben nicht Mord. 2. Es ist zu lesen: der Preis ist hoch. Mag sein. Aber anscheinend noch nicht hoch genug, sonst hätte man diesen Deal wohl nicht durchgeführt.

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    Franz Xanter

    " ... Israel beseitigt Staatsfeinde am laufenden Band. Auch gut - Mord ist in diesen Fällen eben nicht Mord." Dies bezeichnet man als Selbstverteidigung!

    Wolfgang Boeldt

    Wikipedia hilft für eine sachgerechte Beurteilung des Ermordeten im Tierpark weiter. Es gibt keinen faktischen Unterschied zwiischen ihm und z.B. einem Hisbollah-Mitglied. Der eine hat Russland bekampft, der/die andere/n eben Israel. Mit der richtigen(neutralen) Brille sieht man klarer.

    Gerold Rainer

    Der fade Beigeschmack besteht in der Beliebigkeit eines Rechtssystems, wenn andere für weitaus geringere Vergehen ihre Haftstrafen bis zum Ende absitzen dürfen. Ich erinnere mich an die Bedingungen, die Schweden erfüllen musste, dass die Türkei einem NATO- Beitritt zugestimmt hat.

    Franz Wagner

    Das hätt ich anderst gelöst... Auf diese Art und Weise darf man sich nicht erpressen lassen!

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    Walter Koenig

    Und wie hätten Sie das anders gelöst, Herr Wagner?

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