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Friedrich Merz unter Druck: In der CDU rumort es

Koalitionsverhandlungen

„Marionette der SPD“? Merz muss sich vor seiner Partei beweisen

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    Friedrich Merz muss viele Zugeständnisse machen, um die SPD als Koalitionspartner zu gewinnen. Das kommt in den eigenen Reihen nicht gut an.
    Friedrich Merz muss viele Zugeständnisse machen, um die SPD als Koalitionspartner zu gewinnen. Das kommt in den eigenen Reihen nicht gut an. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Friedrich Merz redet noch keine zehn Sekunden, als er das erste Mal beleidigt wird. Der Kanzler in spe ist kaum ans Pult getreten, da ruft ihm der AfD-Abgeordnete Stephan Brandner in der Bundestagsdebatte über das Billionenpaket schon ein „Pinocchio Fritze“ zu. Ein kurzer, irritierter Blick von Merz, ein Ordnungsruf der Parlamentspräsidentin, dann spricht der CDU-Chef unbeeindruckt weiter. Nur nicht aus der Fassung bringen lassen.

    Dass ihm ausgerechnet die AfD vorhält, das Land zu belügen wie der Hampelmann Pinocchio, dessen Nase mit jeder Lüge länger wird, ist Merz gewohnt. Aber die Rechtspopulisten sind ja nicht die einzigen. In einigen Medien, sagt er selbst, sei gar von Verrat die Rede. Das trifft den CDU-Vorsitzenden sichtlich härter.

    Billionenschulden statt solider Staatsfinanzen? Grüne, die in die Opposition geschickt worden sind, aber doch noch mitregieren? Vor allem in seiner eigenen Partei rumort es. Das Unbehagen dort artikuliert sich nicht nur in höheren Austrittszahlen und auf den Plattformen der CDU im Internet, wo Merz als „Marionette der SPD“ oder „Fähnchen im Wind“ verhöhnt wird. Der Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Willsch entschuldigte sich nach der Abstimmung über das Schuldenpaket öffentlich bei seinen Kindern und Enkeln für die Last, die er ihnen damit auferlege. Der frühere Generalsekretär Mario Czaja stimmte sogar demonstrativ mit Nein und berief sich dabei ausgerechnet auf Merz‘ väterlichen Freund, den verstorbenen Wolfgang Schäuble: „Er warnte vor finanzieller Blasenbildung: höhere Schulden = wachsende Zinsbelastungen = höhere Inflation = Taschendieb der kleinen Leute.“

    Nicht der Merkel-Flügel begehrt auf, sondern der Merz-Flügel

    An der Basis herrsche teils Unverständnis über den Kurswechsel, sagt ein Abgeordneter. Und bei manchen Christdemokraten wächst der Unmut, weil sie es sind, die ihren Wählerinnen und Wählern draußen, im Land, die Merz'sche Kehrtwende erklären müssen. Das Interessante dabei: Es sind nicht etwa die Merz-Gegner in der Union, die jetzt aufbegehren. Nicht der ehemalige Merkel-Flügel, für den Friedrich Merz immer schon ein schlechter Verlierer und ein viel zu konservativer Knochen war. Im Gegenteil. Es sind die Merz-Verbündeten: der Wirtschaftsrat etwa oder die Mittelstandsunion. „Die Union gewinnt die Wahlen, die SPD bestimmt den Kurs der Verhandlungen“, heißt es da. Ein Mitglied des Wirtschaftsflügels spricht von „starker Ernüchterung“, bestätigt einige Austritte und erzählt von teilweise sehr aggressiven Mails aus der Partei. In Baden-Württemberg trat gar der ehemalige Landesvorsitzende der Mittelstandsunion aus der CDU aus.

    Die wichtigen vier (von links): Markus Söder, Friedrich Merz, Lars Klingbeil und Saskia Esken.
    Die wichtigen vier (von links): Markus Söder, Friedrich Merz, Lars Klingbeil und Saskia Esken. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Dabei könnte sich Merz eigentlich feiern lassen. Er hat binnen eines Monats zustande gebracht, woran Olaf Scholz gescheitert ist – ein gigantisches Investitionspaket für die Infrastruktur, den Klimaschutz und die nationale Sicherheit. Und das noch bevor seine Kanzlerschaft überhaupt begonnen hat. In den vergangenen Wochen hat er – wenn auch stolpernd – eine Allianz geschmiedet, die von den Grünen in Berlin bis zu den Freien Wählern in Bayern reichte. Von Katharina Dröge bis Hubert Aiwanger. Für einen Mann, dessen Verhandlungsgeschick immerzu infrage gestellt wird, sollte sich das doch sehen lassen können. Sollte man jedenfalls meinen.

    Trotzdem sinken die Umfragewerte, der CDU-Chef ist im Verteidigungsmodus. Den Vorwurf der Wählertäuschung nehme er ernst, sagt Friedrich Merz. „Aber ich halte ihn für nicht gerechtfertigt.“ Die Bürger sehen das anders. Wie das ZDF-Politbarometer zeigt, halten fast drei Viertel der Befragten den Vorwurf der Wählertäuschung angesichts des Billionenpakets für berechtigt. Gleichzeitig ist die Zustimmung zu den Maßnahmen hoch, insbesondere zur Lockerung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben. Fast zwei Drittel der Deutschen befürworten diesen Schritt. Der Rest ist Skepsis, Unverständnis, Wut teilweise auch. Und dagegen helfe jetzt nur noch eines, sagt ein CSU-Abgeordneter: „Wir müssen diese Zweifel wegregieren.“

    Wie aber hat Merz das Vertrauen in ihn verspielt? Und sind die Vorwürfe berechtigt?

    Er wird es nicht gerne hören, aber ein wenig erinnert der um seine Koalition ringende CDU-Chef gerade an die Angela Merkel des Jahres 2005. Auch ihr Wahlergebnis war damals eher durchwachsen, auch ihre beherzten Reformpläne schredderte die SPD in den Koalitionsverhandlungen – und auch sie kannte keine Skrupel, als plötzlich an jeder Ecke Geld fehlte. Deshalb hob ihre neue Regierung die Mehrwertsteuer nicht, wie ursprünglich geplant, um zwei, sondern gleich um satte drei Prozentpunkte an – die größte Steuererhöhung in der Geschichte des Landes, die dem Staat innerhalb von zehn Jahren zu Mehreinnahmen von 275 Milliarden Euro verhalf.

    Der CDU-Chef ist auf die SPD angewiesen – er hat keine Alternative

    Merz war damals einer ihrer schärfsten Kritiker. Heute gibt er wie die späte Merkel den Gelassenen. Entweder lächelt er die Kritik milde weg, oder er rechtfertigt die geplanten Billionenschulden bedeutungsschwanger mit der Sicherheit Deutschlands, Europas und der Nato. „Für eine solche Verschuldung lässt sich nur unter ganz bestimmten Umständen und unter ganz bestimmten Bedingungen überhaupt eine Rechtfertigung finden“, sagt er dann, als wolle er das Ganze eigentlich gar nicht und folge bloß einer höheren Macht. Und wenn es nicht klappt mit der Koalition? Dann, sagt Merz am Freitag in Frankfurt, „ist meine Karriere eh beendet“.

    Der Verhandlungsspielraum des CDU-Vorsitzenden ist gering, weil er auf die SPD angewiesen ist – und auch an seinem Verhandlungsgeschick gibt es anhaltende Zweifel. Warum nur hat er den Grünen den Triumph gegönnt, das Jahr 2045 mit einem Eintrag im Grundgesetz als neue Richtschnur für die Klimaneutralität zu fixieren, wenn nicht gar als verbindliches Staatsziel? Die Juristen sind sich da nicht einig. Für einen, der im Wahlkampf noch über „Grüne und linke Spinner“ geätzt hatte, die sich immer weiter von dem entfernten, was die Union für richtig erachte, ist er der Öko-Partei jedenfalls bemerkenswert weit entgegengekommen.

    Seiner Partei und den Menschen, die die Union gewählt haben, mutet der designierte Kanzler damit einiges zu. Vor der Wahl hatte Merz noch für einen bürgerlich-konservativen Politikwechsel und eine solide Buchführung geworben. In den Koalitionsverhandlungen aber gab er dann früh seinen Widerstand gegen das Billionenpaket auf und hat auch sonst noch nicht allzu viel vorzuweisen. Dabei wollte er doch ursprünglich „all in“ gehen, also aufs Ganze, wie es beim Pokern heißt. Doch während es aus der SPD ständig neue Forderungen hagelt wie zuletzt die nach einer Abschaffung des Abtreibungsparagrafen 218, kommt die Union nicht aus der Defensive.

    Oder verhandelt sie über ihr wichtige Themen wie die Asyl- und die Konjunkturwende nur so diskret und geschickt, dass alle sich noch wundern werden, was Merz den Sozialdemokraten abringen wird? Mit „intensiv“, sagt einer, der für die CSU mit am Tisch sitzt, seien diese Gespräche noch freundlich umschrieben. Ausgang ungewiss. „Bitte haben Sie Verständnis“, schreibt ein anderer Unionsmann, „dass ich mich während der Verhandlungen nicht äußere.“ Nicht zur Sache und auch nicht zu Merz.

    Bei der SPD sind sie da weniger zimperlich, die einen wollen ausreisepflichtige Flüchtlinge nun doch nicht mehr ausweisen, andere warnen den CDU-Chef wie der Parteilinke Ralf Stegner vor einem „Schäbigkeitswettbewerb“ im Umgang mit Flüchtlingen. Das erhöht, natürlich, den Druck auf den Kanzlerkandidaten, der sich eigentlich am 23. April zum Kanzler wählen lassen will, dem Vernehmen nach aber nicht mehr an diesem Termin klebt. Gründlichkeit, soll er im Parteivorstand gesagt haben, gehe vor Schnelligkeit.

    Bis Ostern soll die neue Koalition stehen

    Bis Ostern, so der ursprüngliche Zeitplan, sollte die Koalition stehen. Da passt es gut, dass am Ostermontag einer der wichtigsten politischen Denker der Moderne Geburtstag gehabt hätte. Einer, der viel nachgedacht hat über das Dilemma, in dem Friedrich Merz mehr als ein Jahrhundert später steckt, nämlich Max Weber. Der unterscheidet in seiner Analyse „Politik als Beruf“ ganz grundsätzlich zwischen zwei Formen ethischen Handelns: die Gesinnungsethik auf der einen Seite, die Verantwortungsethik auf der anderen. Der Gesinnungsethiker handelt aus Überzeugung, das ist sein einziger Maßstab. Er kann auch unrealistische Forderungen stellen, kann zuspitzen und übertreiben. Der Verantwortungsethiker fragt, ob die Folgen seines Handelns vertretbar sind. Er denkt die Dinge eher vom Ende her, Überzeugungen oder gar Ideologie sind für ihn erst einmal zweitrangig.

    War es also richtig, die eigenen Wahlversprechen zu kassieren? Der Verantwortungsethiker würde vermutlich sagen: Ja. Der Gesinnungsethiker: Nein. Das alles ist nicht neu. Wahlversprechen kassiert haben Olaf Scholz und Angela Merkel auch. Was Merz von ihnen unterscheidet, ist der harte Bruch. Das unverrückbare Bekenntnis zur Schuldenbremse noch wenige Wochen vor der Wahl, und nun eine gigantische Schuldenwirtschaft. Die Wandlung vom absoluten Gesinnungsethiker zum bekehrten Verantwortungsethiker – sie kam plötzlich. Sehr plötzlich. Und das ist das Gegenteil von dem, was Max Weber empfiehlt: Gesinnungsethik und Verantwortungsethik seien nicht absolute Gegensätze, schreibt er, „sondern Ergänzungen, die zusammen erst den echten Menschen ausmachen, den, der den Beruf zur Politik haben kann“.

    Die politische Theorie aber ist das eine, der Zwang, sich zu einigen, etwas ganz anderes. Friedrich Merz ist zum Erfolg verdammt. Eine Minderheitsregierung nach skandinavischem Vorbild schließt er aus guten Gründen aus – bleibt also nur die SPD, die dabei ist, aus einem mageren Wahlergebnis ein mächtiges Verhandlungsergebnis zu machen.

    Und Merz? Hat buchstäblich keine Wahl mehr. Angela Merkel hat für solche Situationen das Unwort des Jahres 2010 geprägt: alternativlos.

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    6 Kommentare
    Wolfgang Boeldt

    Das Hauptfazit, das man zu jetztigen Zeitpunkt fällen kann - unter der Voraussetzung daß BP Steinmeiner unterschreibt und danach die neuen finanziellen Spielräume voll ausgeschöpft werden - ist: eine solide Finanzpolitik sieht ganz anders aus.

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    Martin Goller

    Genau, solide Finanzpolitik bedeutet die Infrastruktur runterkommen zu lassen, notwendige Investitionen zu verschlafen, jegliche Veränderung ignorieren. So zumindest in 16 Jahren Merkel geschehen. Man hätte inzwischen fast 20 Jahre lang investieren, reformieren und modernisieren können. Am Dach haben ein paar Ziegel gefehlt - nun muss das Dach generalsaniert werden - sonst sind alle nass. Solide Finanzpolitik müsste auch endlich mal die steuerlichen Missstände (verschleudern von Rentengeldern für Wahlgeschenke an die Alten, massive Belastung des Mittelstands bei Päppelung der Großverdiener, etc.) aufräumen. Aber da tritt der Deutsche Michel lieber nach Unten auf die Leute bei denen die Transferleistungen sowieso zu 100% in die Wirtschaft zurückfließen anstatt in dividendebringende Aktien zu gehen.

    Wolfgang Schwank

    Das konservative Klientel begehrt also auf und mit ihnen die sie begleitenden Medien. Da erleben wir gerade die Zeit des Jammerns. Nicht wegen der gigantischen Schulden für die Rüstung, nein nur der anderen Dinge wegen. Bei dieser Rüstung, bei dieser die Gesellschaft durchdringende Militarisierung von Verantwortungethik zu sprechen - da fällt mir echt nichts mehr ein!

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    Franz Wildegger

    Ehrlich wäre da von Merz und allen Unterstützern nur, den Bettel hinzuschmeißen und sich "nicht" von der doppelt so kleinen SPD zum Hampelmann machen zu lassen. Und dann "unverbrauchte Leute" ans Ruder zu lassen, das geht jedoch nur über Neuwahlen! Dann kann sich das Deutsche Volk (Der Wähler) aussuchen und das ohne Rücksicht auf Verluste, von wem es denn künftig regiert werden will. Dann schaumermol was dabei herauskommt, denn schlimmer wie jetzt, kann es ja fast nicht mehr kommen, oder?

    Inge Brenner

    Karl Brenner Man sollte jetzt erst abwarten, was in den Koalitionsverhandlungen herauskommt. Vielleicht würde man die Verhandlungsposition von Herrn Merz gegenüber der SPD stärken, wenn die eigenen Reihen einfach mal stillhalten und Kritik hinter verschlossenen Türen geäußert wird. Wieso wird Herr Merz schon zerlegt, bevor er, wo er doch noch gar nicht vom Bundestag zum Kanzler gewählt ist, überhaupt einen Cent Schulden gemacht hat? Es stärkt die Position der SPD und lässt wieder einmal die AfD-Vertreter in ihrer unvergleichlich hämischen Art jubilieren. Schlimm genug, dass ich, der nicht dem CDU/CSU-Lager zuzuordnen ist, das jetzt sagen muss.

    Thomas Bauer

    Es wäre hilfreich, wenn er ein Einsehen hätte und Platz macht für jemanden, der es kann und dem man vertrauen kann. Das geht auch ohne erneute Neuwahlen.

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