Es war die letzte Chance von Marine Le Pen und ihrem Anwalt Rodolphe Bosselut, das Gericht wenn schon nicht von ihrer totalen Unschuld, so zumindest von der fehlenden Betrugsabsicht zu überzeugen. Am gestrigen Mittwoch, dem letzten Tag im Prozess gegen mehrere Führungspersönlichkeiten, Mitarbeiter, aktuelle und ehemalige EU-Abgeordnete des rechtsextremen Rassemblement National (RN), hatte die Verteidigung der 55-Jährigen nochmals das Wort, um den Vorwurf zu widerlegen, die Partei habe jahrelang Gelder des Europäischen Parlaments veruntreut, indem sie Mitarbeiter von diesem bezahlen ließ. Die Betroffenen waren zwar als Assistenten von EU-Abgeordneten deklariert, arbeiteten aber nicht für sie, kannten sie teils nicht einmal persönlich.
Der Schaden für das EU-Parlament betrug schätzungsweise 4,5 Millionen Euro, davon wurden 3,4 Millionen noch nicht zurückgezahlt. Und doch versicherte Anwalt Bosselut in seinem Schlussplädoyer, es habe sich um eine „banale, da von allen europäischen Parteien angewandte Praxis“ gehandelt, die „als erlaubt angesehen wurde“. Er forderte einen Freispruch.
Staatsanwalt fordert Geldbuße und Verlust des passiven Wahlrechts
Für Le Pen steht viel auf dem Spiel: Die Staatsanwaltschaft hatte nicht nur eine fünfjährige Gefängnisstrafe, davon drei auf Bewährung, und eine Geldbuße von 300.000 Euro gefordert, sondern auch den Verlust des passiven Wahlrechts mit sofortiger Wirkung. Das hieße, sie könnte bei den nächsten Präsidentschaftswahlen 2027 nicht antreten. Dem RN-Vize Louis Aliot, Le Pens früherem Lebensgefährten, droht dieselbe Strafe – und der Verlust seines Amts als Bürgermeister von Perpignan. Bosselut zufolge wäre ein sofortiges Politik-Verbot eine „Massenzerstörungswaffe des demokratischen Spiels“. Es würde ihm zufolge die Unschuldsvermutung verletzen, da es noch vor einem Berufungsprozess einträte.
Erschien Le Pen bis zuletzt kämpferisch, so hat sie doch viel von der demonstrativen Zuversicht verloren, die sie bei Prozessbeginn Ende September noch an den Tag legte. „Wir haben sehr viele Argumente, um zu verteidigen, was mir die parlamentarische Freiheit zu sein scheint“, versicherte sie damals ruhig. Doch im Laufe der Debatten, bei denen sie trotz ihrer Aufgabe als RN-Fraktionschefin der Nationalversammlung häufig persönlich erschien, kam es zu Spannungen mit der Vorsitzenden Richterin, Bénédicte de Perthuis, die Le Pen vorwarf, lange Monologe zu halten, ohne auf die konkreten Vorwürfe einzugehen. „Politik ist die Kunst der Wiederholung“, sagte Le Pen. „Wir sind hier nicht in der Welt der Politik und die reine Wiederholung von Argumenten wird uns nicht überzeugen“, erwiderte de Perthuis.
In den Umfragen legt Le Pen zu
Tatsächlich setzte Le Pen auf eine sehr politische Verteidigung: Als Assistenten von EU-Parlamentariern hätten die Betroffenen zugleich auch immer eine Rolle für die Partei zu spielen, eine klare Trennlinie sei nicht zu ziehen. Etliche Mails brachte die Anklage als Belege dafür vor, dass Le Pen bewusst ein System aufgebaut habe, um die Finanzen der damals hoch verschuldeten Partei zu schonen, so wie das zuvor ihr Vater Jean-Marie Le Pen getan hatte. Der 96 Jahre alte Ex-Präsident des Front National (FN), den seine Tochter und Nachfolgerin später in RN umbenannte, blieb der Verhandlung aus gesundheitlichen Gründen fern.
In den Umfragen scheint der Prozess der Partei nicht geschadet zu haben. Einer neuen Erhebung des Meinungsforschungsinstitutes Verian zufolge gab gerade erstmals eine Mehrheit der Menschen an, der RN stelle keine Gefahr für die Demokratie dar. Das Image von Marine Le Pen verbessert sich seit Jahren stetig, sie gehört zu den beliebtesten politischen Persönlichkeiten Frankreichs.
Urteil soll Anfang 2025 fallen
Umso bedrohlicher wäre für sie eine Verurteilung, die sie ihrer mittelfristigen politischen Zukunft berauben würde. Der junge Parteichef Jordan Bardella sagte im Fernsehen, bei Wahlen sollten nur juristisch unbescholtene Kandidaten antreten. Tatsächlich ist in Frankreich die fünfjährige „Nichtwählbarkeit“ als Strafe für Politiker bei einer Verurteilung wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder vorgesehen. Le Pen hat dies nie in Frage gestellt – das tut sie nur jetzt in ihrem eigenen Fall. Das Urteil soll erst Anfang 2025 fallen.
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