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Europawahl: Warum der Wahlkampf zur Europawahl kaum in Schwung kommt

Europawahl

Warum der Wahlkampf zur Europawahl kaum in Schwung kommt

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    Die Bürger sind am 9. Juni zur Europawahl aufgerufen. Doch das Interesse ist überschaubar.
    Die Bürger sind am 9. Juni zur Europawahl aufgerufen. Doch das Interesse ist überschaubar. Foto: Georg Moritz, dpa

    Danke. Schritt beschleunigen. Nein danke. Kurz stehen bleiben, vielleicht, zwei, drei Sätze. Weitergehen. Danke für das Prospekt. Muss los. Vielen Dank, hab' schon gewählt. Dann, als nächster, einer dieser Typen. Er spricht laut, wirkt übergriffig. Sagt, er glaube, dass dann bald einer hier vorbeikäme, der "euch" ins Gesicht schlägt. Weil: „So ne scheiß Partei". Er trollt sich, verschwindet in Richtung Discounter. Danach tröpfeln die Passanten wieder vorbei. Was sich hier, unter mal weiß-blauem, mal grauem Himmel abspielt, nennt sich Europa-Wahlkampf. Hallo? Hätten Sie kurz Zeit? Vielleicht doch einen Flyer? 

    Pfingstsamstag, München-Allach, zwischen Sport Bittl und Aldi sollte an einem Vormittag eigentlich einiges los sein. Trotz der Ferien, die gerade begonnen haben. Es ist auch nicht so, dass nichts los wäre. Halt nur nicht bei denen, die darauf warten. Der Ortsverband der Grünen hat seinen Wahlkampfstand aufgebaut. Und wer bei Diana Brand und ihren Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfern vorbeischaut, bekommt die Zahlen des BR-Bayerntrends vorgeführt: 43 Prozent sind stark an der Europawahl interessiert, 14 sogar sehr stark. Mit insgesamt 57 Prozent bleibt das Interesse im Freistaat allerdings deutlich hinter dem vor fünf Jahren (66 Prozent) zurück. Robert Menasse, Europäer mit Wohnsitz in Wien, Bestsellerautor des Brüssel-Romans "Die Hauptstadt" sagt es im Gespräch mit unserer Redaktion so: „Die bayerische Selbstgenügsamkeit ist so schwierig zu verletzen, wie man eine Lederhose mit einer Feile durchstoßen kann." 

    Europawahl: Kaum einer kennt die Spitzenkandidaten

    Europa – war da was? Sterblich sei der Kontinent, sagt der französische Präsident Emmanuel Macron. Russland will die Europäische Union zerstören, mit der Ukraine hat Wladimir Putin bereits begonnen. Man könnte meinen: Wenn es jemals einen Moment gab, sich für die politischen Geschicke dieses Kontinents zu interessieren, dann wäre das jetzt. Das Marktforschungsinstitut Forsa bringt es so auf den Punkt: "Die Europawahl hat für die Wahlberechtigten von den Wahlen auf den verschiedenen Politikebenen immer noch die geringste Bedeutung. Und dort, wo gleichzeitig Kommunalwahlen stattfinden, ist die Wahl der lokalen Vertretungen für die Wähler wie die Parteien vor Ort wichtiger als die Wahl zum Europäischen Parlament, deren Vertreter und Spitzenkandidaten zudem nur wenigen bekannt sind." 

    Apropos Spitzenkandidaten. So wirklich ziehen die nicht. Die SPD hat neben ihrer Frontfrau Katarina Barley sicherheitshalber auch Bundeskanzler Olaf Scholz plakatiert. Die BSW geht ähnlich vor und hievt Sahra Wagenknecht in den Mittelpunkt – dabei kann man die am 9. Juni gar nicht wählen. In der AfD hat man es besonders schwer: Spitzenkandidat Maximilian Krah hat ein Auftrittsverbot, der Kandidat selbst wird zum Risiko für die eigene Partei. Und sonst? Die Spitzenkandidatin der Grünen ist die EU-Parlamentarierin Terry Reintke – ihr Name dürfte den wenigsten Wählerinnen und Wählern etwas sagen. Die FDP versucht es mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Die CSU plakatiert den EVP-Vorsitzenden Manfred Weber. 

    Auch in Brüssel bleibt der Wahlkampf zäh

    Ortswechsel. Brüssel. Zu den überraschenden Erkenntnissen an diesem Donnerstag gehört, als Ursula von der Leyen versichert, Wahlkampf zu machen, sei „eines der besten Dinge, die mir jemals passiert sind“. Die amtierende EU-Kommissionspräsidentin setzt also ihr Knopfdruck-Lächeln auf und spult ihr Routineprogramm herunter. An diesem Nachmittag findet die einzige offizielle Debatte der Spitzenkandidaten auf EU-Ebene statt, doch die Zuschauer erleben weniger einen Schlagabtausch entlang von Inhalten als ein Fest der Floskeln. Liegt es an der fehlenden Streitlust, dass die Kampagnen auch zwei Wochen vor den Europawahlen Anfang Juni so zäh wirken? Die heiße Wahlkampfphase trete doch immer erst in den letzten 14 Tagen ein, heißt es in Brüssel hinter den Kulissen. Doch der Eindruck bleibt. Das Interesse der Bürger ist gering – und der Raum für Kontroversen eng. 

    Liegt es am umstrittenen Spitzenkandidatenprinzip, dieser deutschen Erfindung? Die Wähler sollen demnach nicht nur die Möglichkeit haben, über die Zusammensetzung des EU-Parlaments zu entscheiden, sondern auch die Spitze der Brüsseler Kommission mitbestimmen. Ein Versuch der Demokratisierung, der einmal – 2014 – gelang, einmal – 2019 – scheiterte. Und weiterhin Fragen aufwirft. Nicht nur steht die amtierende Behördenchefin Ursula von der Leyen nicht einmal auf einem Stimmzettel. Die anderen vier Politiker, die am Donnerstag auf der Bühne des Brüsseler Plenarsaals stehen und sich offiziell um die Präsidentschaft der EU-Kommission bewerben, haben praktisch keine Chance auf das mächtige Amt. Für die Rolle nominieren die 27 Staats- und Regierungschefs nach der Abstimmung eine Person. Böse Zungen würden sagen, dass das Parlament lediglich deren Wahl abnicken darf. Was soll das also? 

    Nationale Themen dominieren im Wahlkampf

    Es gibt keine einheitliche europäische Öffentlichkeit. Dementsprechend geht es in den Kampagnen um zahlreiche Themen, aber selten um Europa. Zu sehr unterscheiden sich die aktuellen Sorgen der Bürger. In Frankreich beispielsweise appelliert der Spitzenkandidat des rechtsextremen Rassemblement National (RN), Jordan Bardella, an die Wähler, ihre Stimme als Votum für oder gegen die Politik von Präsident Emmanuel Macron zu nutzen. Er kündigte an, die Auflösung der Nationalversammlung zu fordern, sollte seine Partei gewinnen. Letzteres ist wahrscheinlich, liegt der RN doch in Umfragen mit mehr als 30 Prozent der Stimmen weit vor allen anderen Parteien, auch jener Macrons. Bardellas Stärke ist die Schwäche der anderen. Auf diese Weise lenkt der Parteichef und EU-Abgeordnete geschickt davon ab, dass er in den vergangenen fünf Jahren überaus selten im EU-Parlament auftauchte und dort auf konstruktive Politik weitgehend verzichtete. Europa-Themen kommen kaum vor, was in seinem Sinne ist. 

    Vor fünf Jahren präsentierten sich der Spitzenkandidat der christdemokratischen EVP-Fraktion, Manfred Weber, und der niederländische Sozialdemokrat Frans Timmermans streitlustig. Die damaligen Kontrahenten warben in TV-Debatten und auf Marktplätzen für ihre offenkundig unterschiedlichen Positionen. Heute reist eine siegessichere von der Leyen zwar durch alle Mitgliedstaaten, aber Kontakt zu Bürgern hat die unnahbare Politikerin in ihrem präsidentiellen Wahlkampf kaum. Trotzdem hoffen die EU-Vertreter auf einen heißen Endspurt. „Wir haben ermutigende Umfragen, dass die Wahl ernst genommen wird“, sagt Weber unserer Redaktion. „Es liegt an uns zu mobilisieren.“ Gleichwohl erlebe der CSU-Politiker „einen nachdenklichen Wahlkampf“. Die Menschen seien sich der Probleme und Herausforderungen für Wohlstand und Frieden bewusst und wollten „Antworten in der Sache“. Offen bleibt, ob sie diese von den Spitzenkandidaten bekommen werden. 

    Beim Aldi in Allach haben die Grünen ein Glücksrad aufgestellt. Die Parteifreunde wechseln sich am Stand ab. Je länger der Vormittag dauert, desto mehr Leute kommen. Die Einkäufe sind erledigt, für die Kinder gibt es Bonbons und kleine Geschenke. Je näher die Wahl rückt, desto größer wird das Interesse werden, hofft man. Das Zwischenfazit zieht Diana Brand allerdings sehr sachlich so: "Der Infostand weckte genauso wenig Emotionen wie die Europapolitik."

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