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Europäische Union: Wird Viktor Orbán nun EU-Ratspräsident?

Europäische Union

Wird Viktor Orbán nun EU-Ratspräsident?

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    Amtsinhaber und Nachfolger? Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán könnte Ratspräsident Charles Michel zumindest vorübergehend beerben.
    Amtsinhaber und Nachfolger? Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán könnte Ratspräsident Charles Michel zumindest vorübergehend beerben. Foto: Kay Nietfeld, dpa (Archivbild)

    Es scheint das Schicksal des Charles Michel zu sein. Obwohl der Präsident des Europäischen Rates, also des Gremiums der 27 Mitgliedstaaten, am Wochenende überraschend ankündigte, bei der Europawahl zu kandidieren und im Falle eines Einzugs ins EU-Parlament mehrere Monate vor dem Ende seines Mandats zurücktreten will, redeten in Brüssel zum Wochenbeginn alle über einen anderen Mann: Viktor Orbán. Denn ausgerechnet der ungarische Ministerpräsident könnte den Posten des Belgiers Michel übernehmen – zumindest übergangsweise. So jedenfalls schreiben es die aktuellen EU-Vorschriften vor. 

    Sollte nämlich bis zu Michels Ausscheiden aus dem Amt Mitte Juli noch kein Nachfolger bestimmt sein, werden die Befugnisse dem Staatsoberhaupt des Landes übertragen, das den rotierenden Ratsvorsitz innehat. Das ist der rechtspopulistische Europaskeptiker Orbán. Allein die Vorstellung dürfte für Widerstand sorgen. Immerhin fordern hinter den Kulissen seit Monaten immer mehr Akteure, Ungarn den Ratsvorsitz gänzlich zu entziehen, da Orbán mit seinem Blockadekurs den europäischen Betrieb aufhält. 

    Kritiker nennen Michels verhalten "verantwortungslos"

    Um die Gemüter zu beruhigen, betonte Michel, dass die Interimsregelung mit einfacher Mehrheit geändert werden könne. Doch während die einen schimpfen, er verhalte sich egoistisch, monieren die anderen, er agiere „verantwortungslos“. Tatsächlich setzt er mit seinem frühzeitigen Abgang die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten unter massiven Zeitdruck. Ein besonders optimistischer Diplomat sagte zwar, die nun geltende Frist könnte das Prozedere tatsächlich beschleunigen. Aber auch wenn die Staatenlenker bis Ende Juni oder Anfang Juli einen Nachfolger für Michel vorschlagen können, wie der Belgier selbst anführte – wie wahrscheinlich ist eine Einigung bis dahin? 

    Die Spitzenämter in Brüssel werden in der Regel als Paket vereinbart, es handelt sich um einen parteipolitischen Kuhhandel. Wenn demnach jetzt der Job von Michel, der als Spitzenkandidat für die wallonischen Liberalen antreten wird, frei wird, bedeutet das, dass alle Posten auf dem Spiel stehen. In Brüssel wird erwartet, dass Ursula von der Leyen sich für die christlich-demokratische Europäische Volkspartei (EVP) um eine weitere Amtszeit als Chefin der EU-Kommission bewirbt und die Sozialdemokraten nach der Wahl Anspruch auf den Posten des Ratspräsidenten erheben. Wer also könnte in der nächsten Legislaturperiode auf Michel folgen? Genannt werden die dänische Premierministerin Mette Frederiksen, der spanische Premierminister Pedro Sánchez, der niederländische Sozialistenchef Frans Timmermans und der ehemalige italienische Premier Mario Draghi. 

    Die Organisation des Gipfels ist die Kernkompetenz des Ratspräsidenten

    Michels Mandat läuft eigentlich noch bis Ende November. Beobachter rätselten jedoch schon lange über seine Pläne. Der 48-jährige Ex-Premierminister Belgiens gilt als ehrgeizig und schien sich in seiner aktuellen Rolle nie ganz wohlzufühlen. Immer wieder gab es Kompetenzstreitigkeiten zwischen ihm und Ursula von der Leyen. Während die Behörde in der EU-Gesetzgebung über das Initiativrecht verfügt, gibt das Gremium der 27 Staats- und Regierungschefs die Leitlinien in der Politik der Gemeinschaft vor. Die Organisation des Gipfels ist seine Kernaufgabe. Michels Vorgänger Donald Tusk sagte zum Ende seiner Amtszeit, er habe es satt, „Europas Chefbürokrat zu sein“. Genau diese Rolle wollte Michel nie akzeptieren. Er löste mit seinem Drang ins Rampenlicht insbesondere in der Kommission Ärger aus – und schwächte die Gemeinschaft auf der internationalen Bühne.

    Eskaliert ist der Machtkampf zwischen ihm und von der Leyen vor zwei Jahren in Ankara, als bei einem von Michels Team vorbereiteten Treffen mit Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan nur zwei Stühle im Rampenlicht bereitstanden. Auf einen steuerte Michel zielstrebig zu. Von der Leyen nahm nach kurzer Irritation auf einer Couch mit Abstand zu den beiden Männern Platz und beschwerte sich im Anschluss öffentlichkeitswirksam. Hängen blieb von der Affäre „Sofagate“, dass sich die EU und ihre Repräsentanten nach außen schwach und zerstritten präsentieren. Im Fokus der Kritik stand vor allem Michel und seine „glanzlose Leistung“ als EU-Ratspräsident, wie es ein Diplomat ausdrückte.

    Nun ist Michel der erste amtierende Ratspräsident, der bei der EU-Wahl kandidiert. Europa, so hieß es von seiner Seite, brauche „politische Führung in einer immer komplexeren Welt“. Er werde keine Energie scheuen, „um zuzuhören, zu verstehen und Maßnahmen zu ergreifen“ für ein starkes und unabhängiges sowie autonomes Europa, das die Bürger verdienen. Doch die liberale Europaabgeordnete Sophie in't Veld aus den Niederlanden schimpfte auf dem Kurznachrichtendienst X, der Kapitän verlasse das Schiff inmitten eines Sturms. „Wenn Sie sich so wenig für das Schicksal der Europäischen Union engagieren, wie glaubwürdig sind Sie dann als Kandidat?“

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