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Europäische Union: Deutsches Verfassungsgericht stellt sich gegen den EuGH

Europäische Union

Deutsches Verfassungsgericht stellt sich gegen den EuGH

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    Die EZB steht nach dem Urteil des Verfassungsgerichts unter Druck.
    Die EZB steht nach dem Urteil des Verfassungsgerichts unter Druck. Foto: Arne Dedert, dpa

    Dieser Fall ist einmalig: Nur wenige Tage nach dem Urteilsspruch des Bundesverfassungsgerichtes zum Staatsanleihen-Aufkauf der Europäischen Zentralbank (EZB) rüffelte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Karlsruher Entscheidung. „Das letzte Wort zum EU-Recht hat immer der Europäische Gerichtshof in Luxemburg“, schrieb sie in einer Mitteilung ihres Hauses und kündigte an, gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten. Die Heftigkeit ihrer Reaktion und die plötzliche Stille seither zeigen nach Ansicht eines hohen Brüsseler EU-Diplomaten: „Ein paar Tage hat es gedauert, bis alle verstanden haben, welche Sprengkraft in dem Richterspruch steckt.“

    Es geht um den Fortbestand des Euro-Raums

    Es gehe um den Fortbestand des Euro-Raums, möglicherweise sogar der gesamten Europäischen Union. Das beginnt schon bei der Aufforderung des Karlsruher Gerichtes, die Anleihekäufe der EZB „nachvollziehbar“ zu begründen. Aus dem 110 Seiten umfassenden Urteil geht hervor, was damit gemeint ist: So habe die EZB nicht genug geprüft, welche unerwünschten Nebenwirkungen wie sinkende Sparzinsen, steigende Wohnungspreise oder Verluste bei Altersvorsorge-Versicherungen ihre Aktion habe. Außerdem fehle eine Ausstiegsstrategie. Mit anderen Worten: Die Frankfurter Bank hätte aufzeigen müssen, wie man langfristig wieder die Bestände an Staatsanleihen zurückführt. Das klingt machbar, einige glaubten schon, die Zentralbank brauche höchstens fünf Minuten, um die entsprechenden Ausführungen ins Internet zu stellen. Doch so einfach wird es nicht.

    Vorgabe berührt Unabhängigkeit der EZB

    Denn diese Vorgabe berührt die Unabhängigkeit der EZB, die in den Verträgen festgelegt ist. Lediglich die Begründung für das Programm zu veröffentlichen reicht nicht, sie muss ja auch geprüft werden. Doch wer soll das tun: Bundesregierung und Bundesbank? Allein die Vorstellung, die

    Die Europäische Zentralbank untersteht allein dem EuGH

    Das Kernproblem sehen die Kritiker Karlsruhes aber in der offensichtlichen Rüge für den Europäischen Gerichtshof. Die EZB untersteht nämlich nicht den nationalen Verfassungsgerichten, sondern allein dem EuGH. Der hatte die Aufkäufe der Staatspapiere in einem eigenen Spruch als durch das Mandat der EZB gedeckt beurteilt. Karlsruhe nannte die Entscheidung jetzt rüde „willkürlich“. Im Urteil findet sich dafür der für Juristen zentrale Begriff „ultra vires“. EuGH und Euro-Bank hätten „außerhalb ihrer Zuständigkeit“ gehandelt. Es gehe um eine „besonders gravierende Kompetenzverletzung der europäischen Institutionen“, verteidigte Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle, dessen Amtszeit am Freitag auslief, die Entscheidung seines Senats. Dahinter steckt die Auffassung, die Europäische Union sei eben kein Staat und deshalb dürften die EU und ihre Organe nur tun, wozu sie von den Mitgliedstaaten ermächtigt wurden. Voßkuhle hatte diese Sicht von der EU bereits in mehreren Urteilen zum Grundsatz gemacht.

    Zündstoff für die EU

    Spätestens an diesem Punkt witterte EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen zu Recht Zündstoff für die Gemeinschaft. Denn die ohnehin wegen ihrer Verstöße gegen Rechtsstaatlichkeit und demokratische Werte umstrittenen Staaten Polen und Ungarn können damit ihren Ungehorsam gegen Urteile aus Luxemburg begründen. „Dass sich Karlsruhe gegen den EuGH stellt und die Autorität des Europarechts untergräbt, ist langfristig ein schwerer Fehler“, sagt der CSU-Politiker und Fraktionschef der Christdemokraten im EU-Parlament, Manfred Weber.

    Wie richtig er liegt, zeigte ein Zitat des polnischen Vize-Außenministers Sebastian Kaleta: „Das deutsche Verfassungsgericht hat nichts anderes gesagt, als dass die EU so viel darf, wie ihr die Mitgliedstaaten gestatten.“ Für Warschau, Budapest und andere wäre diese Rechtsauffassung ein Freibrief, EuGH-Entscheidungen noch mehr als bisher zu ignorieren.

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