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EU-Ratspräsidentschaft: Europapolitiker Link: "Seehofer hat schlicht gar nichts erreicht"

EU-Ratspräsidentschaft

Europapolitiker Link: "Seehofer hat schlicht gar nichts erreicht"

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    Bundesinnenminister Horst Seehofer bei einem virtuellen Treffen mit den europäischen Justiz- und Innenministern.
    Bundesinnenminister Horst Seehofer bei einem virtuellen Treffen mit den europäischen Justiz- und Innenministern. Foto: Fabrizio Bensch, dpa

    Herr Link, versuchen wir es zunächst einmal mit etwas Positivem. Was hat Kanzlerin Angela Merkel während der EU-Ratspräsidentschaft gut hinbekommen?

    Michael Link: Der EU-Haushalt wurde rechtzeitig beschlossen, das ist sicherlich wichtig. Aber dabei ist die Kanzlerin inhaltlich und finanziell zu starke Kompromisse eingegangen. Sie stand unter dem ungeheuren Druck, in der deutschen EU-Ratspräsidentschaft etwas zum Abschluss zu bringen; das machte ihre Verhandlungsposition nicht einfacher. Genau das erkannte der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán, und so gelang es ihm erneut, durchs Nadelöhr zu schlüpfen und die Situation geschickt für sich auszunutzen. Die gerade noch rechtzeitige Einigung beim Haushalt hatte einen Preis, nämlich ein weiteres Verwässern der geplanten EU-weiten Regeln zur Rechtsstaatlichkeit.

    Link: "Im Bereich Migration wurde zu wenig erreicht"

    Ungarn und ja auch Polen könnten das Spiel an anderer Stelle wiederholen.

    Link: Sie werden es wieder tun, und meine Befürchtung ist, dass es Nachahmer geben wird. Bulgarien etwa, bei dem es zum Beispiel in puncto Korruptionsbekämpfung ebenfalls Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit gibt. Oder nehmen wir Slowenien, dessen Ministerpräsident Janez Jansa ein großer Fan von Orbán ist.

    Michael Link, 57, ist Sprecher für Europapolitik der FDP-Fraktion im Bundestag.
    Michael Link, 57, ist Sprecher für Europapolitik der FDP-Fraktion im Bundestag. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Wo wurden aus Ihrer Sicht Chancen vertan?

    Link: Im Bereich Migration und gemeinsame Asylregelungen wurde eindeutig zu wenig erreicht. Das ist schon fast ein Offenbarungseid für die EU. Sie hat hier bisher dabei versagt, einen neuen Verteilungsschlüssel und eine Lösung zu erreichen, die einerseits die Außengrenzen besser schützt und andererseits die humane Behandlung der Flüchtlinge sicherstellt. Zwar kommen momentan weniger Flüchtlinge ins Land, aber an den Außengrenzen der EU ist die Lage katastrophal. Und der Druck wird im Frühling wetterbedingt weiter steigen. Dass Bundesinnenminister Horst Seehofer, der in diesem Bereich für die Verhandlungen verantwortlich war, keine Fortschritte gelungen sind, ist eine große Enttäuschung. Niemand hatte von ihm erwartet, dass er ein neues Abkommen bereits bis zum Abschluss führt. Aber es ist schlicht gar nichts erreicht worden. Der Stab der Präsidentschaft geht jetzt an die Portugiesen. Die werden es wacker versuchen, stehen aber vor einer schier unlösbaren Aufgabe, denn Deutschland übergibt ihnen den Staffelstab nach einem Stolperstart.

    Michael Link: "Hätte mir von Ursula von der Leyen einen entschiedenen Einsatz für mehr Handelsabkommen gewünscht"

    EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist seit einem Jahr im Amt. Wie sehen Sie ihre Arbeit?

    Link: Bei den Brexit-Verhandlungen hat sie sich zuletzt verstärkt eingeschaltet. Die eigentliche Arbeit hat jedoch EU-Chefunterhändler Michel Barnier geleistet. Seinem Verhandlungsgeschick ist es zu verdanken, dass die EU-Mitglieder in diesen Verhandlungen geeint aufgetreten sind. Von der Leyen hat vor allem bei der Stärkung des EU-Binnenmarktes enttäuscht. Dabei ist der doch das Markenzeichen und das Powerhouse der EU. Ich hätte mir von ihr einen entschiedenen Einsatz für mehr Handelsabkommen gewünscht.

    Und wie sieht es beim Vorzeigeprojekt aus, beim Klimaprojekt Green Deal?

    Link: Beim Green Deal und der geplanten Euro-7-Abgasnorm setzt sie sehr einseitig auf Batterieantriebe und nicht auf Technologieoffenheit. Das Ziel müsste vielmehr sein, schnell von fossilen Energieträgern wegzukommen – und dazu braucht man außer der Batterie auch synthetische Kraftstoffe. Deshalb sollte man, anders als von der Leyen, keinen Krieg gegen den Verbrennungsmotor führen. Moderne Verbrenner werden auch in Zukunft gebraucht, wenn wir sie fossil-frei mit synthetischen Kraftstoffen betreiben. So erhält man Arbeitsplätze und schützt gleichzeitig die Umwelt. Auch bei der Brennstoffzelle tritt sie zu zögerlich auf und setzt einseitig auf Batterieantriebe. Nicht nur in diesem Bereich geht sie offenbar sehr abgehoben und entrückt ihrer Arbeit nach.

    Zur Person: Michael Link, 57, ist Sprecher für Europapolitik der FDP-Fraktion im Bundestag.

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