Wie will die EU künftig mit neu ankommenden Geflüchteten verfahren?
Kern des Reformvorhabens ist ein deutlich verbesserter Schutz der EU-Außengrenzen. Ausnahmslos jeder Nicht-EU-Bürger, der ohne Einreisegenehmigung in die Union kommt, muss bereits an der Außengrenze eine Kontrolle durchlaufen, bei der die Identität geprüft und mögliche Sicherheitsrisiken abgeklärt werden. Dabei erfasste biometrische Daten wie Fingerabdrücke werden in die EU-einheitliche Datenbank Eurodac eingespeist. So kann etwa festgestellt werden, ob Bewerber schon früher einen Asylantrag gestellt haben. Gemäß der Einigung, um die die EU seit der Flüchtlingskrise in den Jahren 2015 und 2016 ringt, soll direkt an der Grenze unterschieden werden zwischen Migranten mit hoher Bleibeperspektive und solchen, die nur geringe Aussichten auf Asyl haben.
Nach welchen Kriterien wird entschieden und was hat das für Folgen?
Migranten aus Staaten mit einer niedrigen Anerkennungsquote (weniger als 20 Prozent), dazu zählen etwa Nigeria, Marokko oder die Türkei, müssen ein Eilverfahren durchlaufen. Innerhalb von zwölf Wochen soll geprüft werden, ob ihr Antrag eine Chance hat. Währenddessen können sie in den geplanten Asylzentren in der Nähe der EU-Außengrenzen festgehalten werden - unter haftähnlichen Bedingungen. Rechtlich werden sie dabei so behandelt, als wären sie noch gar nicht in die Union eingereist - ähnlich, wie es auf Flughäfen im Bereich vor der Einreisekontrolle gilt. Betroffene, deren Asylgesuch abgelehnt wird, oder die aus einem als sicher geltenden Drittstaat eingereist sind, können so einfacher abgeschoben werden. Das soll innerhalb von drei Monaten geschehen. In der Praxis scheitern Rückführungen bislang häufig an der mangelnden Kooperation der Herkunftsländer.
Was erwartet Flüchtlinge mit Bleibeperspektive?
Geflüchtete aus Ländern mit hohen Anerkennungsquoten wie Syrien und Afghanistan oder Angehörige besonders gefährdeter Gruppen kommen gleich ins eigentliche Asylverfahren, das im Ankunftsland oder einem anderen EU-Staat stattfinden kann. Grundsätzlich bleibt es beim Prinzip, dass der Ersteinreisestaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist (Dublin-Regel). In der Praxis hatte dies aber längst nicht mehr funktioniert, denn betroffen waren vor allem Staaten an den Außengrenzen, die Migranten oft ohne Registrierung passieren ließen. Künftig sollen die anderen EU-Staaten die Erstaufnahmeländer nach einem Verteilungsschlüssel entlasten.
Machen alle EU-Staaten bei der Flüchtlingsverteilung mit?
Nein. Denn ein verbindlicher Verteilmechanismus, den die Südeuropäer gefordert hatten, kommt nicht. So bleibt die innereuropäische Umverteilung freiwillig, es soll dabei zunächst um lediglich 30.000 Menschen jährlich gehen. Einige Länder in Osteuropa, allen voran Ungarn, weigern sich, Flüchtlinge aufzunehmen. Um trotzdem eine Einigung zu erreichen, wurde die Möglichkeit geschaffen, dass sich Länder von ihren Verpflichtungen mit einer Einmalzahlung von 20.000 Euro pro Migrant freikaufen. Mit dem Geld sollen dann etwa Grenzschutzanlagen bezahlt werden. Ungarn will aber auch nicht zahlen. Nicht nur in Osteuropa, sondern auch Ländern wie Dänemark, den Niederlanden, Schweden oder Frankreich wachsen die Vorbehalte gegen Asylzuwanderung. Hinter dem Verteilmechanismus stehen also dicke Fragezeichen.
Kommen durch die Reform weniger Flüchtlinge nach Deutschland?
Kurzfristig ändert sich wohl wenig. Experten gehen davon aus, dass es jetzt erst einmal rund drei Jahre dauern wird, bis die Infrastruktur für die beschlossenen Grenzverfahren aufgebaut ist. Eine langfristige Prognose ist schwierig. Einerseits dürfte der neue EU-Asylkurs generell ein abschreckendes Signal an Menschen ohne Bleibeperspektive senden. Länder wie Deutschland gehen mit der Reform aber auch die Verpflichtung ein, Flüchtlinge aus Staaten an den EU-Außengrenzen wie Italien oder Griechenland zu übernehmen. Wie viele Menschen sich künftig durch zuspitzende Konflikte oder die Folgen des Klimawandels auf die Flucht machen, ist schwer vorherzusagen - weniger dürften es kaum werden.
Welche Reaktionen gibt es?
Bundesaußenministern Annalena Baerbock (Grüne) nannte die Einigung "dringend notwendig und längst überfällig". Bei Grünen und SPD hatte es zuvor allerdings an den Schnellverfahren massive Kritik gegeben. SPD-Innenministerin Nancy Faeser und Baerbock versuchten zuletzt noch zu verhindern, dass auch Minderjährige in den Asylzentren untergebracht werden - vergeblich. Für Cornelia Ernst, Linken-Abgeordnete im EU-Parlament, ist der Kompromiss ein „historischer Kniefall vor den Rechtspopulisten in Europa“. Und ein Bündnis von europäischen Seenotrettern spricht von der "eklatantesten Missachtung der Menschenrechte und des Leids an den europäischen Grenzen".