So richtig greifbar wird die Menge für viele Menschen erst, wenn sie das, was auf dem Etikett der Cola-Flasche steht, vor sich auftürmen: 35 Stück Würfelzucker stecken in einer Flasche des Softdrinks, auf einen Liter kommen rund 106 Gramm Zucker. Ernährungsexperten empfehlen, pro Tag nicht mehr als 50 Gramm Zucker zu sich zu nehmen – Kinder eher noch weniger. Das Konsumverhalten nur mit Appellen zu ändern, erscheint schwierig. Mehrere Länder haben sich deshalb schon vor Jahren dazu entschlossen, eine Zuckersteuer einzuführen. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt eine Sondersteuer von mindestens 20 Prozent auf zuckerhaltige Getränke. Auch in Deutschland wird die Debatte längst geführt, doch die Politik setzt auf eine freiwillige Selbstverpflichtung der Hersteller – mit mäßigem Erfolg. Aber wäre eine Zuckersteuer überhaupt sinnvoll? Kann sie den Konsum drosseln und damit einen Beitrag leisten im Kampf gegen die steigende Zahl an Übergewichtigen?
Experten sagen: Definitiv. Und verweisen vor allem auf Großbritannien. Dort wird seit 2018 die sogenannte „Soft Drinks Industry Levy“ erhoben. Ab fünf Gramm Zucker pro 100 Millilitern müssen 18 Pence (umgerechnet 21 Cent) pro Liter gezahlt werden, ab acht Gramm Zucker 24 Pence. Die Folge war: Hersteller haben die Zuckermenge in ihren Produkten reduziert. Einen ähnlichen Weg geht Mexiko: Seit 2014 werden zuckergesüßte Getränke mit circa zehn Prozent besteuert. Der Verkauf zuckerhaltiger Getränke ging seither zurück. Eine neue Studie der Universität München zeigt: Auch in Deutschland könnte dieser Schritt nicht nur Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen haben – sondern auch auf die Volkswirtschaft. Allein innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte können bis zu 16 Milliarden Euro eingespart werden. Die Kosten, die durch Krankheitstage und Arbeitsunfähigkeit entstehen, würden rapide abnehmen.
Viele Fälle von Typ-2-Diabetes könnten verhindert werden
Die Forscher arbeiteten mit zwei Szenarien: Entweder würden gesüßte Getränke mit 20 Prozent besteuert oder der Staat führt eine gestaffelte Steuer ein, wie dies in England der Fall ist. Die Prognose: Bei der Besteuerung der Getränke würden erwachsene Personen innerhalb der nächsten 20 Jahre ein Gramm Zucker pro Tag weniger einnehmen. Die Folge: Über 132.000 Typ-2-Diabetes-Fälle würden verhindert und etwa 9,6 Milliarden Euro im Gesundheits- und Sozialwesen gespart. Bei der gestaffelten Steuer würden sogar 2,34 Gramm weniger Zucker pro Tag eingenommen werden, über 244.000 Typ-2-Diabetes-Fälle verhindert und rund 16 Milliarden Euro eingespart werden. Allerdings wurde die Studie nur an Menschen über 30 Jahren durchgeführt. Kinder konsumieren deutlich mehr Zucker. „Diese Personen trinken täglich 300 bis 700 Milliliter zuckergesüßte Getränke pro Kopf, was ungefähr dem fünf- bis zehnfachen des Konsums von Menschen im Alter über 30 Jahren entspricht“, sagt Hans Hauner, Direktor des Else-Kröner-Fresenius-Zentrums für Ernährungsmedizin in München. Würde man Kinder und Jugendliche einrechnen, wären die Effekte also sogar noch größer.
Dass selbst Cent-Beträge einen Effekt auf das Ernährungsverhalten haben, hat laut Hauner einen einfachen Grund: „Der Konsum zuckergesüßter Getränke liegt in der niedrigen Sozialschicht etwa vierfach höher als in der oberen Sozialschicht.“
Experten plädieren für Werbeverbot
Und doch, so warnen Experten, könne eine Zuckersteuer auf Getränke nur ein Puzzleteil sein im Kampf gegen Übergewicht und die Folgeerkrankungen. „Eine isolierte Besteuerung zuckerhaltiger Getränke könnte mittelfristig zu einem verstärkten Konsum zuckerhaltiger Snacks und anderer nicht-flüssiger zuckerhaltiger Lebensmittel führen“, warnt Michael Stolpe, Leiter des Projektbereichs Globale Gesundheitsökonomie am Institut für Weltwirtschaft (IfW). Trotzdem sagt auch er: „Die Einführung einer Zuckersteuer ist wirksam und der deutschen Politik zu empfehlen. Auch Werbeverbote, wie sie für Zigaretten eingeführt wurden, könnten helfen, den Zuckerkonsum zu verringern.“ Eine Besteuerung sollte außerdem durch verstärkte Aufklärung unter Kindern und Jugendlichen ergänzt werden.
Doch gerade das Thema Werbeverbot ist in Deutschland politisch umkämpft. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hatte jüngst angekündigt, an Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt in Sendungen und Onlineformaten für unter 14-Jährige untersagen zu wollen. Sowohl die Wirtschaft als auch die Opposition stemmen sich dagegen, genauso die FDP.
Zuckrige Getränke gelten als wesentliche Treiber für Adipositas und damit verbundene Krankheiten wie Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. In Deutschland leiden inzwischen 8,7 Millionen Menschen an Typ-2-Diabetes. 2015 lag die Zahl noch bei 7,5 Millionen. Früher galt die Krankheit als Alterserscheinung, inzwischen leiden auch immer mehr jüngere Menschen daran.
Hören Sie sich dazu auch unseren Podcast mit der Lipödem-Betroffenen Caroline Sprott an: