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Diplomatie-Krise: Darf der Sohn eines Hitler-Helfers Botschafter in Polen werden?

Diplomatie-Krise

Darf der Sohn eines Hitler-Helfers Botschafter in Polen werden?

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    Arndt Freiherr Freytag von Loringhoven gilt als Topdiplomat.
    Arndt Freiherr Freytag von Loringhoven gilt als Topdiplomat. Foto: Kamaryt Michal , dpa

    Vielleicht sollte man zunächst an Richard Grenell erinnern. US-Präsident Donald Trump schickte den angriffslustigen TV-Kommentator 2018 als Botschafter nach Berlin. Dort machte er einfach so weiter wie im Fernsehen. Er polterte, pöbelte und handelte sich in seinem Gastland bald den Ruf ein, wie ein "Besatzungsoffizier" aufzutreten. Von konstruktiver Diplomatie keine Spur.

    Den deutschen Topdiplomaten Arndt Freiherr Freytag von Loringhoven trennen Welten von einem Mann wie Grenell. Berlins designierter Botschafter in Polen gilt als absolutes Schwergewicht. "Allererste Liga", heißt es über ihn. Loringhoven studierte Chemie, Philosophie und Geschichte. Ein Oxford-Schüler, der früh in den auswärtigen Dienst wechselte und Texte mit Titeln wie "Nachdenken über die Zukunft Europas in der Krise" schrieb.

    Die Personalie von Loringhoven führt zum Sturm hinter den deutsch-polnischen Kulissen

    Ein hoch gebildeter Diplomat alter Schule, der in Paris, Moskau und Prag diente und Geheimdienstkoordinator bei der Nato in Brüssel war. Nun also Warschau, mit 63 Jahren, zum krönenden Abschluss. Ein Ausdruck hohen Respekts für das Gastland. Das Dumme ist nur: In Kreisen der rechtsnationalen polnischen PiS-Regierung sieht man in dem Freiherrn von Loringhoven einen potenziellen "Besatzungsoffizier". Amtlich sagt das zwar niemand in Warschau. Viel zu sensibel ist die ganze Sache. Hinter den deutsch-polnischen Kulissen jedoch stehen die Zeichen auf Sturm.

    Seit zwei Monaten verzögert das Außenministerium in Warschau schon die Akkreditierung des Botschafters. Das ist in solchen Verfahren absolut unüblich. Mittlerweile will in Berlin auch niemand mehr an die Begründung glauben, es gebe wegen der Corona-Pandemie "Verwaltungsprobleme". Nein, allen Beteiligten ist längst klar, dass es um die Familiengeschichte des Freiherrn von Loringhoven geht und womöglich um eine antideutsche Neuausrichtung der polnischen Außenpolitik.

    Der Vater Bernd Freytag von Loringhoven war Adjutant des Generalstabs im Führerbunker

    Die biografische Spur führt zum Vater des designierten Botschafters. Bernd Freytag von Loringhoven diente als Wehrmachtsoffizier an der Ostfront und war 1945 Adjutant des Generalstabs im Führerbunker. Dort bereitete er Fluchtpläne für Adolf Hitler vor. Dem Vernehmen nach will vor allem PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski den Sohn eines solch hochrangigen NS-Mannes nicht als Botschafter akzeptieren. Eben weil er in ihm einen "Besatzungsoffizier" wittert. Kaczynski hat zwar kein Staats- und Regierungsamt inne, hält aber alle Fäden in der polnischen Politik in der Hand. Aus seiner antideutschen Grundhaltung hat er nie einen Hehl gemacht.

    Wird da also ein Sohn für seinen Vater in Sippenhaft genommen?

    Ein anderer Verwandter war am Attentat auf Adolf Hitler beteiligt und starb im Widerstand

    Zumindest werden biografische Fakten ausgeblendet. Die Briten zum Beispiel konnten Bernd Freytag von Loringhoven keine Beteiligung an NS-Verbrechen nachweisen und entließen ihn bald nach dem Krieg aus der Haft. Und nicht zuletzt gehört zu dem Adelsgeschlecht, dem der designierte Botschafter und sein Vater entstammen, auch der Oberst Wessel Freytag von Loringhoven. Er war an dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 beteiligt und brachte sich um, als der Anschlag misslang.

    Die gewöhnlich gut informierte Warschauer Zeitung Rzeczpospolita berichtet, polnische und deutsche Regierungskreise hätten den biografischen Komplex von Anfang an vollkommen unterschiedlich bewertet. "Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die bilateralen Beziehungen für so reif gehalten, dass sie glaubte, die Vergangenheit des Vaters spiele keine Rolle." In Polen jedoch sei die historische Sensibilität eine andere. Glaubt man der Zeitung, sind die Verantwortlichen in der Bundesregierung aus allen Wolken gefallen, als in Polen derart harsche Kritik laut wurde.

    Wahl in Polen: Instrumentalisiert die rechtskonservative PiS-Regierung den Fall nur?

    Allerdings gibt es auch deutliche Hinweise, dass es weniger um fehlendes deutsches Feingefühl geht als um eine Instrumentalisierung des Falles durch die PiS-Regierung. Anzeichen dafür gab es schon im Präsidentschaftswahlkampf im Frühsommer. Amtsinhaber und PiS-Kandidat Andrzej Duda fuhr wiederholt scharfe Attacken gegen Deutschland. Es gebe dort Versuche, die Wahl in Polen über eine mediale Falschberichterstattung zu beeinflussen. "Wir erleben hier den nächsten deutschen Angriff", polterte der Präsident.

    In diese Zeit fielen auch die ersten Attacken in PiS-nahen Medien auf den designierten Botschafter. So verkündete der rechtskonservative Publizist Witold Gadowski kurz nach Bekanntwerden der Personalie: "Herr von Loringhoven kommt zu uns, um einen Kulturkampf wie bei Bismarck zu führen." Kurz nach Dudas Wahlsieg, der die Macht der PiS für die kommenden Jahre zementiert hat, kündigte dann Außenminister Jacek Czaputowicz seinen Rücktritt an. Der 64-Jährige galt als enger politischer Freund seines deutschen Kollegen Heiko Maas.

    Der neue Außenminister Zbigniew Rau könnte das Problem lösen

    Im Amt folgt ihm nun Zbigniew Rau, der als erzkonservativer Katholik und Patriot mit Hang zum aggressiven Nationalismus gilt. Allerdings hat der 65-Jährige einen deutschen Großvater und spricht auch die Sprache. Als junger Juraprofessor arbeitete Rau am Max-Planck-Institut in Göttingen. Die meisten Kommentatoren in Warschau sind sich allerdings einig, dass am Ende Kaczynski über den künftigen Kurs entscheidet. Und vor diesem Hintergrund, analysiert die Rzeczpospolita, werde es von Loringhoven in Polen schwer haben, selbst wenn er die Akkreditierung doch noch bekommen sollte.

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