Herr Woidke, Sie sind seit über zehn Jahren Ministerpräsident Brandenburgs. Sie sind beliebt bei den Leuten, über die Hälfte der Brandenburger ist mit Ihrer Arbeit zufrieden. Jetzt sagen Sie auf einmal, ich höre auf, wenn die SPD bei der Landtagswahl Ende September nicht auf Platz 1 durch das Ziel geht. Wie kommt es dazu?
DIETMAR WOIDKE: Für mich war das immer klar. Wenn ich als Ministerpräsident den Menschen in Brandenburg dienen will, dann brauche ich ihre Unterstützung. Anders geht es nicht. Das ist von vornherein die Grundeinstellung. Ich bin da vielleicht ein bisschen altmodisch. Wenn man die Wahl verliert, kann man als Ministerpräsident nicht so einfach weitermachen. Wir haben mit der SPD seit 1990 alle sieben Landtagswahlen gewonnen und ich bin mir sehr sicher, dass wir auch die achte gewinnen. Übrigens hätte ich auch bei der Wahl 2019 aufgehört, wenn wir nicht gewonnen hätten.
Ihr wichtigstes Ziel ist, zu verhindern, dass die AfD an die Macht kommt, die in den Umfragen vorn liegt. Das könnten Sie doch weiter in einer Koalition tun wie bisher. Gehen Sie nicht ein unnötiges Risiko ein?
WOIDKE: Ihre Aussage ist nicht ganz richtig, denn mein wichtigstes Ziel ist, dass Brandenburg gut vorankommt. Darum geht es. Deshalb kämpfe ich um Platz 1. Ich sage ganz klar, ich brauche das Vertrauen der Menschen. Meine Arbeit gibt mir die Möglichkeit, etwas Gutes für Brandenburg zu erreichen, aber sie ist nicht nur Zuckerschlecken. Ich bin zwischen 70 und 80 Stunden in der Woche unterwegs. Wir sind gut vorangekommen in den letzten Jahren, viel besser, als uns das von außen zugetraut wurde. Um die gute Entwicklung fortzusetzen, brauche ich die Unterstützung der Wählerinnen und Wähler. So ist das in jeder Demokratie.
Macht Ihnen die Arbeit als MP nach über zehn Jahren noch Spaß?
WOIDKE: Mir macht die Arbeit für Brandenburg weiterhin große Freude. Ich sitze derzeit fast jeden Abend in den unterschiedlichsten Orten auf Bierzeltgarnituren und rede mit den Menschen. Ich komme vom Dorf, mir macht das Spaß. Ich habe gerne mit Menschen zu tun. Aus diesen Abenden geht man meist mit mehr Energie raus, als man reingegangen ist.
Werden Sie dabei angepöbelt, wie es zuletzt Politikern in Deutschland gegangen ist?
WOIDKE: Das passiert, aber selten. Ich erlebe überwiegend einen respektvollen Umgang miteinander. Von Angesicht zu Angesicht ist es doch anders als im Internet. Natürlich kommen die Fragen nach den kritischen Themen. Das geht los mit Migration, geht weiter über den russischen Überfall auf die Ukraine. Dann kommen die ganzen landespolitischen Fragen, Infrastruktur, Bildung und ob man sich die Pflege im Alter noch leisten kann. Und da wird auch harte Kritik laut. In der Politik sollte man aber nicht dünnhäutig sein. Das muss man aushalten und auch wichtige Hinweise mitnehmen.
Was haben Sie mit Brandenburg in der nächsten fünf Jahren vor, sollten Sie wiedergewählt werden?
WOIDKE: Es sind drei Dinge. Erstens, die wirtschaftlichen Erfolge der zurückliegenden Jahre verstetigen. Wir sind mittlerweile in der Spitze beim Wirtschaftswachstum in Deutschland, 2023 erneut deutlich vor Bayern und weit über dem Bundesschnitt. Das hat uns niemand zugetraut. Wir haben jetzt die höchsten Durchschnittseinkommen in Ostdeutschland. Wir haben Zuzug aus ganz Deutschland, aber auch aus anderen Ländern. Heute leben in Brandenburg wieder knapp 2,6 Millionen Menschen, so viele wie im Jahr 1990. Wir werden weiter Industrie ansiedeln, weil wir gute Arbeitsplätze brauchen. Nummer 2 ist die Sicherstellung der medizinischen Versorgung. Wir erhalten alle Krankenhausstandorte und haben eine neue Medizinische Universität in der Lausitz gegründet, um junge Medizinerinnen und Mediziner auch für die Arbeit im Land auszubilden. Wir zahlen einen Zuschuss aus der Landeskasse für die Pflege, weil das sonst für den einzelnen kaum noch bezahlbar wäre.
Und drittens?
WOIDKE: Der Ausbau der Bahnverbindungen in der Fläche des ganzen Landes. Nur so bleiben wir angebunden und attraktiv für Unternehmen und Menschen, die zu uns kommen wollen. Und Viertens könnte ich noch ergänzen: Bei der Bildung müssen wir weiter vorankommen. Deshalb haben wir die Zahl der Pädagogik-Studienplätze deutlich erweitert.
Das alles wird viel Geld kosten. Können Sie das ohne die Reform der Schuldenbremse bezahlen?
WOIDKE: Den Ausbau der Infrastruktur nicht. Da sind wir uns im Kreise der Ministerpräsidenten einig. Egal, welcher politischen Farbe sie angehören. Keiner sagt, die Schuldenbremse muss weg und wir geben Geld auf Pump aus, als gäbe es keinen Morgen. Es braucht Ausnahmen für Investitionen, dafür bekommen die Bürger einen Gegenwert. Wir müssen uns heute fit machen für die Zukunft, und deswegen ist dieses starre Festhalten an der Schuldenregel falsch und gefährdet die Zukunft unseres Landes.
Was sagt denn der Bundeskanzler dazu?
WOIDKE: Der Kanzler ist diplomatisch. Er muss das, was er sagt, in der Koalition umsetzen, und da scheint es ja beim Thema Schuldenbremse größere Schwierigkeiten zu geben.
Ihr größter wirtschaftlicher Erfolg war die Ansiedlung von Tesla in Grünheide. Umweltschützer protestieren aber nun gegen die geplante Erweiterung der Fabrik, das Unternehmen leitet verschmutzte Abwässer ab, die Tesla-Geschäfte laufen nicht mehr wie früher und Konzernchef Elon Musk verhält sich erratisch. Ist die Ansiedlung im Rückblick richtig?
WOIDKE: Klares Ja! Wir haben 12.000 Industriearbeitsplätze hinzubekommen. Es wäre ja irre gewesen, hätten wir gesagt, wir wollen diese Ansiedlung nicht, weil womöglich einige Probleme auftreten könnten. Tesla ist ein Riesenerfolg für uns und ich freue mich jedes Mal, wenn ich an dem Werk vorbeifahre. Die einzelnen Probleme, die bei der Ansiedlung eines so großen Industriebetriebes nun einmal auftreten, werden gelöst. Und schaut man genau hin, dann erscheinen sie in der Diskussion größer, als sie tatsächlich sind. Zum Beispiel recycelt Tesla sein Industrieabwasser nahezu zu hundert Prozent. Das Unternehmen verbraucht nur rund ein Viertel des Wassers, das ihm vertraglich zugesichert wurde. Tesla täte aber gut daran, offensiver und transparenter zu kommunizieren.
Trotz aller positiven wirtschaftlichen Entwicklungen werden bei der Wahl, wenn die Umfragen stimmen, ein Viertel der Brandenburger die AfD wählen. Warum interessiert es viele Menschen nicht, dass die Partei teilweise vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft ist?
WOIDKE: Ich glaube, dass die Frage anders gestellt werden muss. Wir leben in einer Welt, die sich immer schneller zu drehen scheint, in einer Welt, die unsicherer geworden ist in den letzten Jahren. Von allen ungelösten Problemen, von allen Ängsten und von allen Unsicherheiten profitieren Populisten. Da hilft nur eines: Den Menschen Stabilität und Sicherheit zu geben. Ich bin hier im Land optimistisch, dass wir das so vermitteln können. Ich persönlich stehe dafür, und ich würde mich freuen, wenn auf der Bundesebene auch dieses noch ein bisschen stärker nach vorne käme. Stattdessen erleben wir leider häufig Streit in der Koalition in Berlin. Das schadet nicht nur dem Ansehen der Bundesregierung, sondern schadet am Ende auch unserer Demokratie. Ich glaube, in dieser Zeit erwarten die Menschen einfach Führung, sie erwarten Stärke, sie erwarten Sicherheit.
Die AfD-Wähler wollen vor allem, dass die Migration zurückgefahren wird, und sie stören sich an der Energiewende. Das sind Probleme, die nicht gelöst sind.
WOIDKE: Na ja, man muss da mal genau hingucken: Was bietet denn diese Partei? Zum Beispiel den Bau von Atomkraftwerken. Ich weiß nicht, wie viele Menschen in Brandenburg das schon wissen und dass sie dann wahrscheinlich auch den Atommüll hier verbuddeln wollen. Das ist nur ein Beispiel. Die Populisten sind sehr oberflächlich unterwegs. Sie haben noch nie ein Problem gelöst, versuchen aber, Probleme aufzubauschen und einfache Lösungen zu versprechen für häufig komplexe Fragestellungen. Bei mir gilt aber: Gutes Handwerk gegen Mundwerk.
Die hohe Migration ist das politische Aufregerthema. Geschieht hier schon genug, um sie zu begrenzen?
WOIDKE: Es wurden Kontrollen an der Grenze zu Polen eingeführt, das war eine Forderung auch von meiner Seite. Das hat die illegale Migration verringert. Wir haben mittlerweile den rechtlichen Rahmen für die Einführung der Bezahlkarte für Flüchtlinge geschaffen, auch das zahlt sich schon aus. Und wir müssen Menschen ohne Bleiberecht in diesem Land und diejenigen, die nicht bereit sind, sich zu integrieren, dann auch in ihre Heimatländer zurückbringen. Daran wird gerade intensiv in Bund und Ländern gearbeitet. Die Abschiebezahlen sind bereits gestiegen und werden weiter steigen. Für mich ist aber noch ein vierter Punkt entscheidend.
Der wäre?
WOIDKE: Mir ist wichtig, dass die Menschen, die hierherkommen, möglichst schnell arbeiten können. Die meisten haben eine hohe Motivation und es gibt viele erfolgreiche Beispiele. So war ich kürzlich bei einem großen und bekannten Logistikunternehmen. Ohne die ausländischen Beschäftigten, darunter viele, die als Geflüchtete zu uns gekommen sind, könnte er zumachen. Wir kriegen Integration nur gut hin, wenn schnell in Arbeit integriert wird. Alles andere wird nicht funktionieren. Momentan haben wir noch erhebliche bürokratische Hindernisse und die Situation, dass alle möglichen Lehrgänge und Schulungen gemacht werden und Zeit vergeht, Jahre vergehen. Das muss schneller gehen.
Manche Menschen finden es ungerecht, dass Flüchtlinge umfassend von Sozialleistungen unterstützt werden. Da geht es auch um Wohnungen, die ja sehr teuer geworden sind. Ist Deutschland zu Flüchtlingen zu generös?
WOIDKE: Wenn die Menschen arbeiten und sich die Wohnung selbst finanzieren können, stellt sich diese Frage nicht mehr.
Die große Wundertüte dieser Wahl ist das Bündnis Sahra Wagenknecht, es tritt auch in Brandenburg an. Was macht diese neue Partei so stark?
WOIDKE: Wundertüte ist ein treffender Begriff. Mit dieser Partei werden alle möglichen Träume und Erwartungen verbunden. Frau Wagenknecht kenne ich nur aus Talk-Shows, wo sie das große Wort führt. Sie ist der klassische Fall von Mundwerk statt Handwerk. Landespolitisch habe ich noch nicht allzu viel vom BSW gehört. Man wird abwarten müssen, was da wirklich passiert.
Vielleicht müssen Sie ja mit Robert Crumbach reden, er ist Spitzenkandidat des BSW. Wird er ihr Koalitionspartner?
WOIDKE: Mit Crumbach habe ich jedenfalls noch nie größere Konflikte gehabt. Wir kennen uns seit vielen Jahren. Ich bezweifle ja, dass Frau Wagenknecht hier in ein Kabinett eintreten würde. Über Koalitionen redet man außerdem nicht vor der Wahl, sondern danach. Mein Hauptgegner ist aber nicht das BSW, sondern das sind die Rechtspopulisten von der AfD. Ich will verhindern, dass Brandenburg einen braunen Stempel bekommt.
Wagenknecht fordert eine andere Ukraine-Politik. Schluss mit Waffenlieferungen und mehr Diplomatie für einen Waffenstillstand. Auch in Ihrer Partei gibt es prominente Fürsprecher für Verhandlungen. Wie denken Sie darüber?
WOIDKE: Eines ist mal vollkommen klar, auch jetzt nach zweieinhalb Jahren: Russland hat die Ukraine überfallen und nicht umgekehrt. Ich habe meine Zweifel, ob das noch allen so bewusst ist. Russland terrorisiert die Ukraine. Russland ist verantwortlich für viele Hunderte tote Kinder und für Hunderttausende tote Soldaten auf beiden Seiten. Diese Verantwortung trägt der russische Präsident persönlich. Punkt zwei: Es gibt für uns eine moralische Pflicht, die Ukraine zu unterstützen. Das Land kämpft um seine Freiheit und seine Unabhängigkeit. Aber drittens erwarten natürlich viele Menschen, dass die Bundesregierung alles dafür tut, dass dieser Krieg möglichst bald endet. Viele haben das Gefühl, dass sich wieder eine Rüstungsspirale anfängt zu drehen, dass aber auf der anderen Seite wenig getan wird, um ein diplomatisches Ende zu finden. Deutschland hat einen besonderen Einfluss auf Russland und dieser muss genutzt werden, um den Krieg zu stoppen. Mir ist bewusst, dass das sehr schwierig ist. Aber Deutschland kann und muss hier eine aktive Rolle spielen.
Putin besteht bisher auf seinen für die Ukraine völlig unakzeptablen Bedingungen.
WOIDKE: Alle verlangen von Israel, dass sie mit den Terroristen der Hamas verhandeln. Das verlangen auch wir als Deutschland von Israel. Ob wir es wollen oder nicht, wir müssen auf Verhandlungen mit dem Kriegsverbrecher Putin hinarbeiten.
Was machen Sie eigentlich, wenn Sie bei der Wahl Platz 1 verfehlen? Bötchenfahren auf der Havel?
WOIDKE: Darüber habe ich mir noch überhaupt keine Gedanken gemacht. Ich gehe davon aus, dass sich diese Frage nicht stellt.
Zur Person
Dietmar Woidke wurde am 22. Oktober 1961 in Naundorf bei Forst geboren. Er studierte zunächst Landwirtschaft und Tierproduktion/Ernährungsphysiologie an der Landwirtschaftlichen Fakultät der Berliner Humboldt-Universität und machte einen Abschluss als Diplomagraringenieur. 1993 trat er in die SPD ein, ein Jahr später wurde er bereits Mitglied des Landtags in Potsdam, dem er seither kontinuierlich angehört. Von 2010 bis 2013 war er Innenminister in Brandenburg, danach stieg er zum Ministerpräsidenten auf. Woidke ist verheiratet und hat ein Kind.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden