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Deutschland: Wie die Inflation unseren Wohlstand gefährdet

Deutschland

Wie die Inflation unseren Wohlstand gefährdet

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    Die Preise sind im März binnen eines Jahres um 7,3 Prozent gestiegen.
    Die Preise sind im März binnen eines Jahres um 7,3 Prozent gestiegen. Foto: Patrick Pleul, dpa

    Die Worte von Wirtschaftsminister Robert Habeck lassen es an Deutlichkeit nicht mangeln. „Die Sanktionen gegen Russland kosten uns Wohlstand“, sagte er im ZDF. Deutschland sei quasi Kriegspartei und als solche werde das Land einen Preis zahlen. „Das muss man so klar sagen: Wir werden dadurch ärmer werden. Die Gesellschaft wird es tragen müssen.“

    Am deutlichsten wird dies derzeit beim Einkauf: Die im März auf satte 7,3 Prozent nach oben geschnellte Inflation lässt die Kaufkraft sinken, die Bürgerinnen und Bürger können sich mit ihrem Lohn, der Rente oder dem Ersparten weniger Lebensmittel, Sprit und andere Güter kaufen. Der Discounter Aldi Nord hat bereits angekündigt, dass am Montag Fleisch, Wurst und Butter „deutlich teurer“ werden. Auch bei Aldi Süd und anderen Händlern wird eine Reihe von Preisen steigen.

    Friedrich Heinemann, ZEW: "Wir leben in keinem Schlaraffenland"

    „Die Abfolge von Corona-Krise und Ukraine-Krieg hat uns alle ein Stück ärmer gemacht“, sagt Professor Friedrich Heinemann, der Leiter des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung. „Wir leben in keinem Schlaraffenland und müssen uns mit diesem Verlust abfinden“, betont er gegenüber unserer Redaktion. Die Realzinsen – also der Zinssatz abzüglich der Inflationsrate – seien bereits seit zwei bis drei Jahren stark negativ. „Der aktuelle Inflationsschub könnte Geldvermögen, das mit geringen oder überhaupt keinen Zinsen investiert ist, um etwa zehn Prozent im realen Wert verringern“, erklärt Heinemann. „Das dürfte für viele einen Rückschlag für die Altersvorsorge bringen“, warnt er. Immobilienbesitzer hätten es besser, sie profitierten von der weiteren „inflationären Aufblähung der Hauspreise“.

    Mit einer schnellen Besserung ist nicht zu rechnen: Fachleute warnen davor, dass sich die Inflation auf einem hohen Niveau verfestigt. Ein Risiko ist es, wenn höhere Preise zu höheren Löhnen führen und diese es dem Handel ermöglichen, noch höhere Preise durchzusetzen. Dann facht die Inflation sich selbst an. Das Problem könnte bald virulent werden, warnt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Dieses Jahr würden zwar nur für ein Drittel der Beschäftigten neue Tarifverträge ausgehandelt. „Aber spätestens 2023 dürften die Gewerkschaften wegen der hohen Kaufkraftverluste in der Breite deutlich höhere Lohnsteigerungen durchsetzen, die die Inflation hochhalten werden“, sagt er. „Das Risiko einer Lohn-Preis-Spirale ist deutlich gestiegen.“

    Chefvolkswirt Jörg Krämer, Commerzbank: "EZB muss Fuß vom Gas nehmen"

    Der Druck auf die Europäische Zentralbank, gegen die Inflation vorzugehen, steigt. „Die EZB sollte jetzt rasch ihre Anleihekäufe beenden und ihre Leitzinsen anheben“, sagt Krämer. „Sie muss den Fuß vom Gas nehmen, damit sich die sehr hohen Teuerungsraten nicht festsetzen. Leider deutet sich solch ein beherztes Umsteuern aber nicht an“, kritisiert er. Er rechnet damit, dass die Inflation „auf Jahre“ über der von der Zentralbank angepeilten Marke von zwei Prozent bleibt.

    Dass der Staat mit einem neuen milliardenschweren Programm einspringt, davon rät Ökonom Heinemann ab. „Besonders in den USA hat das viel zu groß dimensionierte Konjunkturprogramm von US-Präsident Joe Biden die Inflation sehr kräftig angeheizt.“ Jetzt in Deutschland mit ähnlich breiten Konjunkturprogrammen auf den Ukraine-Krieg zu reagieren, hätte keinen Sinn. „Man kann durch zusätzliches Geldausgeben kein Gas herzaubern, das es nicht gibt“, sagt er. Von „populistischen Hilfen für alle“ sei dringend abzuraten.

    Tanken - ein kostspieliges Unterfangen.
    Tanken - ein kostspieliges Unterfangen. Foto: Ricardo Rubio, dpa

    Heinemann rät zu einer zielgenauen Politik: „Sehr präzise Hilfen sollten armen Haushalten helfen und auch energieintensiven Unternehmen zu Hilfe kommen, die durch den Putin’schen Krieg sonst in die Pleite gleiten würden. Und dann kommt es darauf an, dass sich die Wirtschaftspolitik endlich darauf besinnt, dass wir mit Umverteilung und ständigen Ausweitungen von Sozialleistungen unseren Wohlstand nicht sichern, sondern nur mit Wirtschaftswachstum.“

    Jörg Hofmann, IG Metall: Energie-Entlastungspaket reicht nicht

    Die Gewerkschaften wollen den Kaufkraftverlust aber nicht auf Dauer tolerieren. Deutlich wird dies bei der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, die sich in schwierigen Tarifverhandlungen befindet, da ein Lieferstopp für russisches Gas der Branche massiv schaden würde: „Die Folgen eines – egal von welcher Seite – verhängten Lieferstopps wären fundamental: gewaltige Anlagen, die für unabsehbare Zeit heruntergefahren werden müssten, Beschäftigte in Kurzarbeit, die gesamte Lieferkette vor dem Riss“, sagt Vizechef Ralf Sikorski. Lange aber boomte die Branche: „Die Beschäftigten in der chemisch-pharmazeutischen Industrie erleben zweierlei: Rekordinflation im eigenen Portemonnaie und Rekordgewinne ihrer Arbeitgeber“, beschreibt es Sikorski. Er fordert ein „gesamtgesellschaftliches Bollwerk“ gegen die Inflation. „Da sind nicht nur Politik und Notenbank gefragt, sondern auch die Arbeitgeber. Die müssen ihren Teil zur finanziellen Entlastung ihrer Beschäftigten beitragen“, sagte er unserer Redaktion.

    Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall: "Brauchen  sozial gerechte Nachbesserungen beim Energie-Entlastungspaket."
    Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall: "Brauchen sozial gerechte Nachbesserungen beim Energie-Entlastungspaket." Foto: Annette Riedl, dpa

    Auch Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall, warnt vor den Folgen der Inflation für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer: „Die massiv steigenden Energiepreise belasten besonders Beschäftigte mit unteren und mittleren Einkommen", sagte er unserer Redaktion. "Diese Teuerung kann nicht allein durch Tarifpolitik ausgeglichen werden", gibt er zu bedenken und fordert die Bundesregierung zum Handeln auf: "Wir brauchen deshalb wirkungsvolle Maßnahmen gegen profitgetriebene Spekulationen und Preistreiberei sowie sozial gerechte Nachbesserungen beim Energie-Entlastungspaket.“

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