Es ist ein Staatsbesuch mit Hindernissen auch im zweiten Anlauf: Wenn Frankreichs Präsident Emmanuel Macron an diesem Sonntag seine offizielle Deutschlandreise in Berlin beginnt, belasten ihn erneut heimische Sorgen. Während er vor knapp einem Jahr wegen schwerer Krawalle in den französischen Vorstädten seinem Gastgeber Frank-Walter Steinmeier kurzfristig absagte, musste Macron nun direkt vor seiner Deutschlandreise ins 17.000 Kilometer entfernte französische Überseegebiet Neukaledonien aufbrechen, um Unruhen dort zu schlichten. Am Staatsbesuch in Deutschland werde nicht gerüttelt, hieß es aber in Paris - das Programm zum Auftakt in Berlin aber wurde leicht verkürzt.
Frauenkirche und Brandenburger Tor
Mit Stationen am Brandenburger Tor, im Schloss Bellevue und vor der Dresdner Frauenkirche verspricht die Deutschlandvisite symbolträchtige Bilder, wie schon im vergangenen Frühsommer steht der erste Staatsbesuch eines französischen Präsidenten in Deutschland seit 24 Jahren aber unter schwierigen Vorzeichen. Um die deutsch-französischen Beziehungen könnte es besser bestellt sein. Bei Schlüsselthemen knirscht es immer wieder zwischen Berlin und Paris. Und die Herausforderungen sind eher noch drängender geworden, allen voran das konzertierte Auftreten des Westens im Ukraine-Krieg.
Dabei sind beide Seiten um einen besseren Draht bemüht. Kürzlich erst empfing Macron Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zu einem privaten Abendessen in Paris. Der Kanzler hatte zuvor eine große Europarede von Macron ausdrücklich gelobt. Und Anfang des Jahres würdigte Macron den gestorbenen früheren Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble im Bundestag in einer in großen Teilen auf Deutsch gehaltenen Rede im Bundestag. Auch der Kontakt mit Steinmeier ist eng. Den Ersatztermin für den ausgefallenen Besuch besprachen beide Präsidenten bei einem Abendessen zusammen mit ihren Frauen im August vergangenen Jahres in Paris.
Europa-Strategie für die Zeit nach der Wahl
Die großen Uneinigkeiten aber konnte all das nicht ausräumen. Während Macron eine größere europäische Autonomie mit eigener Verteidigungsstrategie und einem Schutz der Wirtschaft vor unlauterer Konkurrenz aus China und den USA predigt, hält Scholz an seiner transatlantischen Orientierung und dem wichtigen Handelspartner China fest. Und im Ukraine-Konflikt überraschte Macron Scholz mit seinen Überlegungen zum Entsenden von Bodentruppen, was Scholz ebenso kategorisch ablehnt, wie eine Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an das von Russland angegriffene Land - während Frankreich seine Scalp-Raketen schon seit längerer Zeit bereitstellt. Berlin wirft Paris im Gegenzug vor, als zweitgrößte Volkswirtschaft der EU insgesamt viel zu wenig für die Ukraine zu tun.
Wie es in Paris heißt, geht es Frankreich bei dem Staatsbesuch um die Pflege und Verbesserung der Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich - und insbesondere das Festlegen einer gemeinsamen Strategie innerhalb der EU für die Zeit nach den Europawahlen. Höhepunkt dürfte die Rede Macrons vor der Dresdner Frauenkirche sein, in der er nach Angaben aus dem Elysée-Palast an seine Rede an der Pariser Elite-Universität Sorbonne vom April anknüpfen will, in der er seine Vision von Europa dargelegt hat. Eine Antwort von Scholz darauf steht noch aus.
"Einzigartige Beziehungen" zwischen Deutschland und Frankreich
Auch aus dem Schloss Bellevue heißt es, man wolle "diese einzigartige Beziehung" zwischen Deutschland und Frankreich, die manchmal so alltäglich scheine, gebührend feiern. Um diese Einzigartigkeit herauszustreichen, habe Steinmeier Macron auch als einzigen Staatsgast zu den Feiern zum 75-jährigen Bestehen des Grundgesetzes eingeladen, die am Sonntagabend enden werden. "Wir wollen symbolisch das Zeichen senden, dass diese deutsch-französische Freundschaft wirklich tief ins Herz Deutschlands und des politischen Selbstverständnisses dieser Republik gehört", wird im Bundespräsidialamt betont.
Auch die Europawahl Anfang Juni wird ein wichtiges Thema dieser zweieinhalb Tage werden. Während diese in Frankreich schon jetzt in der Bevölkerung ziemlich präsent sei und von den Parteien sehr ernst genommen werde, hätten die Deutschen sie noch nicht so recht auf dem Schirm, heißt es in Steinmeiers Umfeld. "Das ist eine gemeinsame Botschaft, die beide Präsidenten an allen Stationen senden werden: Geht wählen für Europa." Dahinter steckt nicht zuletzt die Sorge, dass eine niedrige Wahlbeteiligung erfahrungsgemäß rechten Parteien in die Hände spielt. Bei der Europawahl 2019 lag die Beteiligung in Deutschland bei 61,4 Prozent.
Nagelprobe auf Schloss Meseberg
Die Nagelprobe, wie es wirklich um die deutsch-französischen Beziehungen steht, folgt dann am Dienstag, wenn Macron und sieben seiner Minister im Gästehaus der Bundesregierung - auf Schloss Meseberg nördlich von Berlin - mit Scholz und einem Teil des Ampel-Kabinetts zusammenkommen. Im Mittelpunkt stehen dann die Themen Verteidigung und Wirtschaft. "Ich rufe zu einem neuen Wirtschaftsmodell, einem neuen Wachstumsmodell auf, und davon werde ich versuchen, die Deutschen zu überzeugen", sagte Macron in einem Interview dem Nachrichtenmagazin "L'Express". Ein Punkt ist sein Wunsch nach einem eigenen, umfangreichen Budget der EU für Investitionen in die Verteidigung, den Klimaschutz und Künstliche Intelligenz. Beim deutsch-französischen Ministerrat könnten die Weichen in diese Richtung gestellt werden, heißt es.
Aufgabe sei es, mit Deutschland neue Initiativen in der EU zu ergreifen, ähnlich wie beim 750 Milliarden Euro schweren Konjunkturpaket nach der Corona-Krise. Es gehe um Investitionen in Schlüsseltechnologien und Schritte zum Schutz der europäischen Wirtschaft, etwa vor dem Import subventionierter chinesischer Elektroautos.
Beim Thema Verteidigung wird es nicht nur um die weitere Strategie bei der Unterstützung der Ukraine gehen, sondern vor allem darum, wie die EU-Staaten sich auch aus eigener Kraft gegen Bedrohungen vor allem aus Russland besser wappnen können. Ein Streitpunkt ist das von Deutschland initiierte Luftverteidigungssystem European Sky Shield, an dem inzwischen 21 europäische Länder beteiligt sind, Frankreich aber nicht. Paris kritisiert, dass dafür auch Technologie aus Israel und den USA eingekauft wird.
Am Ende wird das Ergebnis des Regierungstreffens jedenfalls am ehesten Auskunft darüber geben, wie es um die deutsch-französischen Beziehungen wirklich steht.
(Von Michael Evers, Michael Fischer und Ulrich Steinkohl, dpa)