Dass die deutsch-französische Freundschaft eher nach Bismarckhering mit Zwiebeln riecht und weniger wie frische Austern aus Arcachon duftet, weiß man nicht erst, seit Bundeskanzler Olaf Scholz den französischen Präsidenten im Oktober bei dessen Hamburg-Besuch zum Verzehr dieser kulinarischen Derbheit nötigte. Die Nahaufnahmen des, nun ja, genussarm verzogenen Gesichts von Emmanuel Macron haben den schönen Begriff der Fischbrötchen-Diplomatie geprägt. Was Fotografen damals genussvoll in Szene setzten, könnte man als hochgejazzte wie amüsante Petitesse abtun. Aber die letzten Wochen haben sehr deutlich gezeigt, dass es auf oberster Ebene um die deutsch-französische Freundschaft saurer bestellt ist als Heringsmarinade. Und das in einer Phase, wo Europa und die Ukraine am dringlichsten auf sie bauen können sollte.
Mal eine kurze Retrospektive des wachsenden Misstrauens, die man problemlos - und das ist nur ein weiteres Beispiel - um energiepolitische Differenzen erweitern könnte: Macron, der bei der Münchner Sicherheitskonferenz noch gefehlt hatte, höhnte wenig später bei einer von ihm einberufenen Unterstützerkonferenz für die Ukraine Ende Februar, dass jene, die vor zwei Jahren Schlafsäcke und Helme bereitgestellt hatten, heute forderten, es müsse schneller und mehr geliefert werden. Scholz wiederum beging kurz darauf einen diplomatischen Fauxpas, als er vor dem Hintergrund der Taurus-Debatten andeutete, Franzosen und Briten hätten bereits Soldaten vor Ort.
Als Macron kurz danach unverhohlen erklärte, es komme jetzt für Europa darauf an, "nicht feige zu sein", ließ Scholz über Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius ausrichten, Diskussionen "über mehr oder weniger Mut" seien wenig hilfreich. Paris wiederum reagierte verärgert über Statistiken des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW), denen zufolge Frankreich bei den Hilfen für die Ukraine weit hinter anderen Ländern zurückliegt. Es gehe "nicht um einen Schönheitswettbewerb", sondern auch um die Qualität der gelieferten Waffen, hieß es. Seit 2023 schickt Paris den mit dem Taurus vergleichbaren Langstrecken-Marschflugkörper Scalp nach Kiew, der allerdings eine deutlich geringere Reichweite hat. Und zwar ohne große Diskussionen im Vorfeld.
Kann das Weimarer Dreieck mehr Einheit stiften?
Ist es also ein Aussöhnungsversuch, wenn der französische Präsident Emmanuel Macron am Freitag nach Berlin reist? Abwarten. Nach einem ersten Gespräch mit Bundeskanzler Olaf Scholz will sich der polnische Premierminister Donald Tusk dazugesellen. Erst vor einem Monat versicherten die Außenminister der drei Länder bei einem Treffen in Paris, das Weimarer Dreieck wiederbeleben zu wollen. Vor den Wahlen in Russland an diesem Wochenende, bei denen Wladimir Putin bereits als Sieger feststeht, gilt es, ein Zeichen der Einheit Europas auszusenden. Diese bröckelte zuletzt offenkundig. Umso wichtiger wäre es, dass Macron und Scholz endlich zusammenfinden.
Der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag, Anton Hofreiter, mahnt im Gespräch mit unserer Redaktion vor dem Treffen in Berlin dringend mehr Geschlossenheit an: "Ich erwarte von Bundeskanzler Scholz, dass er das Treffen nutzt, um die Befindlichkeiten zwischen ihm und Macron zu begraben." Noch deutlicher wird Armin Laschet, der frühere Kanzlerkandidat der Union, der Scholz bei der vergangenen Bundestagswahl unterlegen war. Laschet ist Frankreich-Kenner und kommt aus Aachen, wo Deutschland und Frankreich vor fünf Jahren am 56. Jahrestag des die Freundschaft begründenden Élysée-Vertrages vereinbart hatten, noch enger zusammenzuarbeiten – nicht zuletzt in Verteidigungsfragen.
In Aachen wird jährlich der Karlspreis vergeben, der Persönlichkeiten ehrt, die sich besonders um die europäische Einigung verdient gemacht haben. Macron hat ihn schon bekommen, Scholz' Vorgängerin Angela Merkel auch. Laschet sagt: "Die deutsch-französischen Beziehungen waren noch nie in einem so schlechten Zustand wie heute. Die erkennbare Lustlosigkeit des Bundeskanzlers, mit Frankreich zusammen Europa voranzubringen, ist erschütternd. Wenn Deutschland und Frankreich so kleinkariert agieren, schwächt das ganz Europa. Ich hoffe, dass am Freitag bei der Begegnung des Weimarer Dreiecks jeder den Ernst der Lage erkennt und persönliche Animositäten zurückstellt."
Nicht mal nach außen gelingt es Deutschland und Frankreich, Einigkeit zu demonstrieren
Der Krieg in der Ukraine wird zunehmend zur Belastungsprobe für die in Sonntagsreden gerne gerühmte Achse Paris–Berlin, die deutsch-französische "Paare" wie Charles de Gaulle und Konrad Adenauer, Valéry Giscard d'Estaing und Helmut Schmidt oder Helmut Kohl und François Mitterrand geprägt haben. "Zwischen Scholz und Macron ist es sicherlich schwieriger als zwischen anderen Staats- und Regierungschefs der vergangenen Jahrzehnte", sagt Landry Charrier, Lehrbeauftragter an der Elitehochschule Sciences Po Strasbourg und Redaktionsleiter der deutsch-französischen Online-Zeitschrift dokdoc.eu. Doch die Probleme, die es heute zu bewältigen gebe, seien komplexer und rührten an den Kern dessen, was beide Länder ausmache. Während Scholz der "Logik des Appeasements" folge, setze Macron an der Spitze der einzigen EU-Atommacht auf Abschreckung. Jacob Ross, Frankreich-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, sagt es so: "Dass es den beiden nicht mal gelingt, nach außen Einigkeit zu demonstrieren, ist sehr bedenklich."
Dabei zeigten beide in den Wochen vor und nach Beginn der russischen Angriffe große Einigkeit, indem sie zunächst noch den Dialog mit Putin suchten. Mitte Februar 2022 reisten sie jeweils nach Moskau und saßen dem Kreml-Chef an einem absurd langen Tisch gegenüber. Macron irritierte noch im Frühjahr desselben Jahres mit der Warnung, Putin nicht zu "demütigen". Inzwischen haben sich die Positionen gewandelt. Deutschland, der anfängliche Helme-Lieferant, entwickelte sich zum zweitwichtigsten Unterstützer der Ukraine nach den USA. Macron verschärfte den Ton gegenüber Moskau immer mehr. Mit seinem Vorstoß, er schließe Bodentruppen in der Ukraine nicht aus, wollte er seinem Umfeld zufolge sowohl die Verbündeten aufrütteln als auch die eigene Bevölkerung dafür sensibilisieren, dass Putins Vorgehen Europa und damit sie selbst direkt bedroht. In dieser Woche ließ sich der Präsident seine Strategie vom Parlament absegnen, es stimmte deutlich für die Ukraine-Hilfen. Dazu war er nicht verpflichtet, denn entscheiden kann er das ohne Mandat. Aber es war eine weitere Botschaft der Stärke gen Moskau.
Im Mai kommt Macron zum großen Staatsbesuch nach Deutschland
Scholz selbst betonte am Mittwochabend zwar, er habe ein "sehr gutes persönliches Verhältnis" zu Macron und trotz "unterschiedlicher Ausgangslagen" entwickle man gemeinsam Lösungen. Frankreichs Präsident wiederum setzte ein Zeichen des Bemühens um Harmonie, indem er Bundesinnenministerin Nancy Faeser spontan zum Gespräch einlud, als sie diese Woche in Paris war, um eine Zusammenarbeit bei der Sicherung der Fußball-Europameisterschaft und bei den Olympischen und Paralympischen Spielen zu besprechen. Aber reicht das, wenn die Basis für Fortschritte fehlt?
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Jung, zuletzt zwei Jahre lang Co-Vorsitzender der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung, sagt es so: "Wir haben auf vielen Ebenen eine institutionalisierte Zusammenarbeit, die so eng ist wie nie. Zugleich ist das Verhältnis zwischen Kanzler und Präsident schlecht wie nie. Zwischen den beiden ist kein Vertrauen gewachsen." Besonders offensichtlich sei das zuletzt beim Staatsakt für den verstorbenen Wolfgang Schäuble gewesen. Macron hatte dessen europäisches Vermächtnis mit einer auf Deutsch gehaltenen Rede gewürdigt. Er habe Angela Merkel danach eine Kusshand in Richtung Bundestagstribüne zugeworfen und auf dem anschließenden Staatsempfang sei er über eine Stunde geblieben.
Wenn die Zeiten nicht so ernst wären, könnte man auf den Mai hoffen, der bekanntlich alles neu machen soll. Dann kommt Macron zum großen Staatsbesuch nach Deutschland. Aber diese Zeit hat die Ukraine nicht.