Die Deutschen und das Militär. Das war und ist ein schwieriges Verhältnis. Da schwingt noch immer vieles mit – die Verbrechen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg, die in der Bundesrepublik heftig umstrittene Wiederbewaffnung, der Kalte Krieg mit einer schwer bewaffneten Demarkationslinie zwischen West und Ost, die mitten durch das geteilte Deutschland verlief.
30 Jahre nach der Wiedervereinigung, so sollte man meinen, müsste ein entspannterer Blick auf die deutschen Streitkräfte möglich sein. Doch davon kann keine Rede sein. Pluspunkte bei der Bevölkerung kann die Bundeswehr immer dann sammeln, wenn sie sich an zivilen Hilfseinsätzen beteiligt – sei es im Kampf gegen Hochwasser oder, wie aktuell, als Freund und Helfer, der in der Corona-Krise medizinisches Material transportiert und seine Kliniken für Schwererkrankte öffnet. Aber wehe, es geht um den eigentlichen Zweck, für den es so etwas wie die Bundeswehr eben leider geben muss. Dann ist es oft schnell vorbei mit der Sympathie.
Warum tut sich Deutschland so schwer, effektive Streitkräfte aufzubauen?
Was also läuft falsch? Warum tut sich Deutschland so schwer, effektive Streitkräfte aufzubauen, auf die – das zeigt die Geschichte – demokratische Staaten und Bündnisse nicht verzichten dürfen? Gerade in Zeiten, in denen die traditionelle Schutzmacht USA mit ihrem irrlichternden Präsidenten Donald Trump an der Spitze immer weniger bereit ist, die Hauptlast der Verteidigung der Nato-Mitglieder zu tragen. Und in Zeiten, in denen der weltweite Kampf gegen den Terror eine aktuelle Aufgabe bleibt und der Westen sich einem aggressiven Kontrahenten unter Führung des Autokraten Wladimir Putin gegenübersieht. Russland hat auf der Krim erstmals nach 1945 in Europa eigenmächtig Grenzen verändert, es modernisiert massiv sein nukleares Arsenal, bedroht seine baltischen Nachbarn, unterstützt das syrische Terrorregime und überzieht westliche Länder mit Desinformationskampagnen und staatlich gesteuerten Cyberattacken.
Doch der deutschen Politik gelingt es nur langsam, die Streitkräfte zu konsolidieren und so auch attraktiver zu machen für dringend benötigtes, gut motiviertes Personal. Da schmerzen Rückschläge, insbesondere wenn sie – wie in den letzten Wochen – ohne Not ausgelöst werden. Die Bundeswehr kann sich ihre Wehrbeauftragten nicht selber aussuchen, dafür ist der Bundestag zuständig. Das ist eigentlich sinnvoll. Doch wenn ausgerechnet dieses Amt zum Spielball für parteipolitische Schachzüge wird, ist das ein katastrophales Signal an die Truppe. Es lautet: Ihr seid uns nicht wichtig. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich ist für den chaotischen, ja gar parteischädigenden Prozess verantwortlich, an dessen Ende am Donnerstag die Wahl der Rechts- und Innenpolitikerin Eva Högl zur neuen Wehrbeauftragten stand. Doch der Zank um schnöden Personalproporz überdeckt, dass dahinter eine politische Agenda steckt.
SPD-Fraktionschef Mützenich fühlt sich an „Tanz um das Goldene Kalb“ erinnert
„Mich erinnert diese Diskussion mehr und mehr an den Tanz um das Goldene Kalb“, sagte Mützenich anlässlich der Ernennung von Annegret Kramp-Karrenbauer zur Verteidigungsministerin im Juli 2019. Mit „Diskussion“ meinte der 60-Jährige die Debatte darüber, ob Deutschland seine Zusage einhalten soll, zwei Prozent des Bruttosozialproduktes für die Verteidigung auszugeben. Und wer ist dann das „Goldene Kalb“? Die heruntergewirtschaftete Bundeswehr kann Mützenich kaum gemeint haben.
Richtig ist, dass es in weiten Teilen der Bevölkerung äußerst unpopulär ist, mehr Geld für die Truppe auszugeben, die sich mit veraltetem, oft nicht einsatzfähigem Gerät herumschlagen muss. Auch wenn diese Haltung letztlich keineswegs billiger ist, wie sich zeigt. Der scheidende Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels hat denjenigen, die die Bundeswehr auf dem Weg in eine Phase der Hochrüstung wähnen, entgegnet, dass es bei Investitionen nicht um Aufrüstung, sondern um Ausrüstung gehe. In seinem letzten Bericht zur Lage der Streitkräfte hat Bartels detailliert aufgezählt, was alles fehlt, nicht funktioniert oder ins Militärmuseum gehört: Da gibt es Soldaten, die 50 Jahre alten Radpanzern unterwegs sind und noch nicht einmal ein funktionierendes Nachtsichtgerät dabeihaben. Da verzögert sich die Auslieferung von Transporthubschraubern um mehr als zehn Jahre.
Die Anschaffung von neuen Kampfjets ist teuer und politisch heikel
Die Liste ist lang, sehr lang. Und ganz oben steht die Anschaffung neuer Kampfjets, die die Tornados – mittlerweile extrem wartungsanfällige Maschinen aus den 80ern – ersetzen sollen. Ein heikles Thema, denn die Flieger sind nicht nur extrem teuer, ihre Anschaffung ist auch ein Politikum. Dass Ersatz benötigt wird, kann nur bestreiten, wer die Existenz einsatzfähiger Streitkräfte generell ablehnt.
Auf dem Tisch liegt der Vorschlag, neben Eurofightern auch US-amerikanische F-18 zu bestellen. Diese Jets wären in der Lage, auch die rund 20 US-Atombomben zu transportieren, die derzeit auf deutschem Boden gelagert werden. Aktuell sind dafür die Tornados zertifiziert – die nukleare Teilhabe der Nato wird seit vielen Jahren praktiziert. Mützenich und andere fordern ein Ende für dieses Konzept, das nicht mehr zeitgemäß sei. Mag sein, aber was wäre damit gewonnen? Der nukleare Abrüstungseffekt wäre nahe null, die Stellung Deutschlands in der Nato jedoch nachhaltig geschwächt. Das sollte uns nicht gleichgültig sein, denn eine sinnvolle Alternative zur Westbindung ist nicht in Sicht.
Besser wäre, in Deutschland würde endlich ehrlich darüber diskutiert werden, wie eine zukunftsfähige Bundeswehr aussehen soll. Der erste Schritt? Schlag nach bei Bartels: Ausrüsten statt aufrüsten.
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