Wer in Deutschland nach einem Klima-Erklärer sucht, der wählt fast automatisch die Nummer von Mojib Latif. Seit 40 Jahren widmet er sich beruflich dem Thema Klimawandel. Unermüdlich erklärt der 70-Jährige Zusammenhänge, Wetterphänomene, Ursachen und Wirkung der Erderwärmung. Latif ist Wissenschaftler, vielfach ausgezeichnet, arbeitet als Seniorprofessor am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. Widerspruch hält er geduldig aus. Doch was ihn wirklich ärgert, ist, wenn das Reden über Klimaschutz zur bloßen Show wird. So wie beim Weltklimagipfel, der seit einer Woche im Ölland Aserbaidschan ausgetragen wird. Die internationale Zusammenkunft hat eigentlich das Ziel, Druck zu machen im Kampf gegen den Klimawandel. Doch man muss kein Pessimist sein, um schon jetzt zu erahnen, dass dies auch in diesem Jahr nicht gelingen wird.
„Von solchen Veranstaltungen sollte man eigentlich kaum etwas erwarten“, sagt Latif. „Da sind fast 200 Länder vertreten, alle müssen der Abschlusserklärung zustimmen, mehr als der kleinste gemeinsame Nenner ist da nicht möglich.“ Das Problem: In den vergangenen Jahren schon war dieser Nenner mit bloßem Auge kaum mehr wahrnehmbar. „Mich erinnert das inzwischen an ,Des Kaisers neue Kleider‘: Man klopft sich auf die Schulter, umarmt sich, spricht von Durchbrüchen, dabei weiß man draußen, dass das nicht stimmt“, sagt der Wissenschaftler. Tatsächlich werden ständig neue Höchstwerte gemessen: Das Jahr 2024 dürfte das weltweit wärmste Jahr seit der industriellen Revolution werden und als erstes Jahr die 1,5-Grad-Marke übersteigen. Der Ausstoß von klimaschädlichem Kohlendioxid (CO2) durch das Verbrennen von Öl, Gas und Kohle steigt in diesem Jahr auf ein Rekordhoch – anders ausgedrückt: Noch nie hat der Mensch so viel Öl, Gas und Kohle verbrannt wie 2024. Und der CO2-Gehalt der Atmosphäre steigt immer schneller.
Erderwärmung steuert auf 3 Grad zu
Das Problem: Selbst vermeintlich große Abkommen wie das von Paris sind unverbindlich, eher Empfehlung als Pflicht. „Deshalb werden wir auch die Pariser Ziele nicht erreichen“, sagt Latif. Selbst wenn ab sofort die Treibhausgase nicht mehr anwachsen würden, würde sich die Erdtemperatur noch um mindestens ein halbes Grad erhöhen. „Es werden jedoch weitere Treibhausgase dazukommen, und zwar in gigantischen Mengen“, sagt er. „Alle Berechnungen zeigen, dass wir bei den derzeitigen Beschlüssen der Länder auf dem Weg in eine Drei-Grad-Welt sind.“ Ziel war eigentlich eine Begrenzung auf 1,5 Grad oder zumindest deutlich unter 2 Grad. „Das ist nicht meine persönliche Meinung, das ist Physik.“ Und daran wird auch der Gipfel in Baku nichts ändern.
Vielleicht ist der Gipfel damit sogar ein Spiegelbild einer allgemeinen Entwicklung: Das Aus für den Verbrennungsmotor wackelt, die Grünen sind von der Fast-Volkspartei zum Feindbild geworden, das Geld für Klimaschutzmaßnahmen wird immer knapper. Wo einst Aufbruchstimmung herrschte, haben sich Resignation und Frust breitgemacht. Eine Studie der E.on-Stiftung aus dem Sommer zeigt: Zwei Drittel der Deutschen fürchten, dass Klimaschutzmaßnahmen sie finanziell überfordern könnten. Eine andere Umfrage, durchgeführt vom Ipsos-Institut, führt aus: 61 Prozent der Menschen in Deutschland glauben, dass sie selbst schon alles ihnen Mögliche für die Umwelt tun würden. Sie sehen weniger sich als Wirtschaft und Politik in der Pflicht. Und noch eine vielsagende Befragung wirft ein Schlaglicht auf die aktuelle Stimmung, diesmal durchgeführt vom Marktforschungsunternehmen BVA X-Sight: Zwar geben dort 92 Prozent an, die Anpassung an den Klimawandel sei notwendig. Doch nur 40 Prozent meinen, das Thema habe für sie Priorität. Damit liegt Deutschland, das sich gerne als Klima-Primus sieht, zehn Prozentpunkte unter dem europäischen Durchschnitt.
War’s das also jetzt mit dem Klimaschutz? Kommt nun vielleicht sogar die Rolle rückwärts, weil vieles, das längst als gesellschaftlicher Konsens betrachtet wurde, wieder infrage gestellt wird? Der Wirtschaftsexperte Clemens Fuest, Chef des renommierten ifo-Instituts, fürchtet genau das und muss nicht lange nach den Ursachen suchen. Er sieht für diese Entwicklung mindestens eine Mitschuld bei der Politik. „Das liegt vor allem daran, dass man den Bürgern in Deutschland vorgemacht hat, Klimaschutz würde zu einem Wirtschaftsboom führen, also quasi mühelos funktionieren“, sagt Fuest. Sein Urteil: „Diese Wunschvorstellung ist an der harten Realität zerbrochen.“ Der Gesellschaft in Deutschland sei vermittelt worden, dass Klimaschutz kaum zu wirtschaftlichen Belastungen führt. „Da war es nicht erstaunlich, dass viele Klimaschutz gut fanden“, sagt Fuest. „Jetzt spüren die Menschen, dass das eine Illusion ist, deshalb lässt die Begeisterung drastisch nach.“
Die Wahrheit ist: Klimaschutz kostet Geld
Die Wahrheit, die ausgesprochen werden müsse, sei: Klimaschutz erfordert das Ersetzen eines fossilen Kapitalstocks durch einen dekarbonisierten. Praktischer ausgedrückt: Man muss beispielsweise die eigene funktionierende Ölheizung durch eine Wärmepumpe ersetzen. „Es geht also um Investitionen, die kein zusätzliches Produktionspotenzial schaffen, sondern nur vorhandene Produktionskapazität ersetzen“, sagt der ifo-Chef. „Das schmerzt.“ Und trotzdem muss die Frage gestellt werden: Können wir es uns leisten, beim Klimaschutz zu bremsen, Herr Fuest? „Man muss eher fragen: Können wir es uns wirtschaftlich leisten, so schnell zur Klimaneutralität zu kommen, wie das politisch angekündigt ist?“, sagt der Wirtschaftsexperte. Je rascher Deutschland seine Kohlenstoffemissionen reduzieren wolle, desto teurer werde es, weil die Entwertung des vorhandenen Kapitals dann umso größer sei. „Das wäre anders, wenn wir über die weltweite Senkung von CO2-Emissionen entscheiden würden, dann könnten wir zumindest die Kosten der Klimaerwärmung einsparen“, sagt Fuest. „Aber wir haben darauf kaum Einfluss, der Klimawandel wird weitergehen, weitgehend unabhängig davon, ob wir in Deutschland oder der EU klimaneutral werden oder nicht.“
Resignation hält der Ökonom dennoch für einen denkbar schlechten Rat. Eher muss in seinen Augen mehr internationale Abstimmung folgen. „Klimaschutz bedeutet den Verzicht auf eine wichtige Ressource, deshalb ist er teuer“, sagt Fuest. „Für die Welt insgesamt ist Klimaschutz dennoch billiger als das Hinnehmen eines weiteren Temperaturanstiegs mit all seinen Risiken.“ Das Problem bestehe darin, dass in den meisten Staaten der Welt bislang die Bereitschaft fehle, Klimaschutz zu betreiben. Und die schlechte Wirtschaftsentwicklung in Europa bestätige diejenigen, die sagen, dass Europa mit seinen ambitionierten Klimaschutzplänen auf dem Holzweg sei.
Wie blickt die Jugend auf die Klimakrise?
Aber tickt nicht zumindest die Jugend anders? War es nicht die jüngere Generation, die keinen Zweifel mehr zuließ, dass der Klimawandel das Menschheitsthema schlechthin ist? Einer, der den Puls der nachfolgenden Generationen ganz genau erspürt, ist Rüdiger Maas. Der Psychologe betreibt in Augsburg sein Institut für Generationenforschung, wird in Talkshows und zu Expertenrunden eingeladen, um zu erklären, wie sie tickt, diese Jugend. „Es gab und gibt auch in der jüngeren Generation sehr viele widersprüchliche Entwicklungen und Einstellungen“, sagt Maas. „Was wir bei unseren Untersuchungen zum Beispiel kaum gesehen haben, war die Bereitschaft zum Verzicht – es gab eher die Haltung: Klimaschutz ist wichtig, die anderen sollen mal machen.“
Die Generation sei voller Gegensätzlichkeiten: Sie trinkt Hafermilch und isst vegane Burger, der Teller wird so zum moralischen Bekenntnis. Doch zugleich läuft sie den ständig wechselnden Modetrends der Fast-Fashion-Ketten hinterher und umrundet mit dem Flugzeug die Welt, das modernste Handy ist ohnehin zur Selbstverständlichkeit geworden. „Klar, wollten viele Jüngere keinen Führerschein mehr machen – aber dann mussten eben die Eltern sie im SUV überall hinfahren“, sagt der Generationenforscher. „Selbst der Konsum von Luxusartikeln hat zugenommen.“ Inzwischen rangiert das Thema Klimaschutz bei der so genannten Generation Z, also den nach 1995 Geborenen, nur noch auf dem dritten Platz. Auf den ersten Plätzen: Sicherheit und Migration - konservative Themen, die so gar nicht zum Bild passen, das immer wieder von der „Generation Greta“ gezeichnet wird.
Klimabewegung hat kaum mehr Schlagkraft
„Diese Generation hat sich schon immer an den Werten ihrer Eltern orientiert“, sagt Maas. „Letztlich war auch ,Fridays for future‘ eine Bewegung, die die Eltern gut gefunden haben. Das waren nie Demonstrationen gegen das Establishment.“ Mehr noch: Die Klimabewegung sei aus einem konservativen Impuls heraus entstanden. „Die Jungen hatten das Gefühl, die Erde ist in Gefahr und ihnen wird dadurch die eigene Sicherheit genommen“, sagt der Generationenforscher. Getragen wurde die Öko-Initiative von einer vergleichsweise kleinen Gruppe: weiblich, gebildet, städtisch. Das Motto vieler Freitags-Mitläufer war hingegen: Wir müssen das Klima retten, aber unser Leben ändern wollen wir nicht. „Jeder fand Greta Thunberg toll, verändert hat sich aber niemand“, sagt Maas. „Und spätestens als Greta Thunberg ihr Thema verändert hat, statt für das Klima dann für Palästina demonstriert hat, ist ,Fridays for future‘ ohnehin zerbrochen.“
Insgesamt erlebt Maas eine große Abstumpfung, die in den vergangenen Jahren schleichend stattgefunden habe. „Jede Woche gibt es ein neues Jahrhunderthochwasser, einen neuen Jahrhundertsturm, ein neues Jahrhundertfeuer – die jungen Menschen wachsen in einer Welt auf, in der ständig mit Superlativen gearbeitet wird“, sagt er. „Das überfordert sie auf der einen Seite, auf der anderen Seite gewöhnen sie sich daran.“
Dass die Nachrichten besser werden, ist freilich kaum in Sicht. Weil die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre weiter steigt, dürfte der Klimawandel sich mit höheren Temperaturen, steigendem Meeresspiegel, mehr Dürren und Waldbränden und Extremwetter weiter beschleunigen.
„Natürlich frustriert mich das manchmal“, sagt Mojib Latif, der Klima-Erklärer. „Aber das ist kein Grund, aufzugeben.“ Was es brauche, sei, wieder Klimaschutz für die Mitte zu machen, den Menschen das Gefühl zu geben, dass es zumindest gerecht zugehe. „Die Leute sind ja nicht gegen Klimaschutz, aber sie fragen sich, wie sie ihn bezahlen sollen“, sagt Latif. Daher sei zum Beispiel das 49-Euro-Ticket so wichtig. Es gehe um Teilhabe. Entmutigen lassen dürfe man sich nicht. „Während Krisen ist das Thema schon immer auf der politischen Agenda nach unten gerutscht“, so der Wissenschaftler. „Es gab scheinbar Wichtigeres.“ Doch irgendwann wurde der Klimaschutz dann wieder ernster genommen.
Wie sagte Hofreiter es so treffend. "Wir brauchen Schutz, das Klima kommt ohne uns klar." Solange es nicht richtig weh tut und immer weltweit davon betroffen sind habe ich keine große Hoffnung, dass sich das in den Köpfen festsetzt, geschweige richtig und rechtzeitig reagiert wird. Über Kipppunkte sprich "Point of no return" braucht man derzeit gar nicht reden.
Da bin ich voll und ganz Ihrer Meinung Herr Peter Zimmermann!!
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