Als das Interview mit Wolfgang Schäuble beginnt, schüttet es draußen wie aus Kübeln. Draußen, das ist die Hauptstadt, Schäuble sitzt am anderen Ende der Leitung im trockenen Offenburg. Man redet kurz übers Wetter, doch bereits dabei muss man als Schäubles Gesprächspartner gut aufpassen. Der Bundestagspräsident schaltet blitzschnell, Fehler verzeiht er kaum. Beim Smalltalk übers Wetter vielleicht, nicht aber, wenn es um seine Leidenschaft geht, die Politik. Der CDU-Politiker lässt andere Meinungen zu, aber dann müssen sie gut begründet ein. 78 Jahre ist Schäuble alt, womöglich ist er etwas altersmilder geworden. Aber er ist immer noch eine Macht in der Politik. Wer was werden will in der Union, der muss Schäuble auf seiner Seite haben. Armin Laschet und Markus Söder haben das gerade deutlich gemerkt. Der CDU-Chef ist Kanzlerkandidat, der CSU-Vorsitzende nicht.
Die K-Frage ist maßgeblich durch Schäuble in der Nacht zum 19. April entschieden worden. Die Kontrahenten Söder und Laschet trafen sich in Berlin. Mit dabei waren der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier, CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, die Generalssekretäre Paul Ziemiak (CDU) und Markus Blume (CSU) - und Wolfgang Schäuble. Er sei, sagt Schäuble in dem Telefonat mit unserer Redaktion, gebeten worden, dabei zu sein. "Und dann habe ich gesagt, dass ich zwar diese Nachtsitzungen nicht mehr mag, aber wenn es hilft, dann bin ich dazu bereit." Man kann Schäuble bei diesem Satz nicht sehen, aber vermutlich zieht gerade das leicht schelmische, für ihn typische Siegerlächeln durch sein Gesicht.
Schäuble war erst für Merz, dann für Laschet
Schäuble war erst für Friedrich Merz als CDU-Spitzenkandidat, dann unterstützte er Laschet. Söder war nie eine Option für ihn. Dem Bayern jedenfalls war nach dieser Nacht klar, dass er als CSU-Kanzlerkandidat von der CDU im Wahlkampf keine Rückendeckung bekommen hätte. Worauf er noch ein bisschen die Muskeln spielen, es am Ende aber sein ließ.
Strippenzieher werden Menschen genannt, die solche Dinge einfädeln. Aber Schäuble ist vielschichtiger. Das zeigt auch sein neues Buch, das er gerade vorgelegt hat. "Grenzerfahrungen. Wie wir an Krisen wachsen" (Siedler Verlag) ist eines der guten Politiker-Bücher. Keines, wo einer sich lautstark als tollen Hecht präsentiert. Sondern eines mit feinen Gedanken. Über die Corona-Pandemie und das Sterben in Würde zum Beispiel.
Das Attentat war eine schlimme Grenzerfahrung
Am 12. Oktober 1990 wurde Schäuble bei einem Attentat niedergeschossen. Eine Kugel traf den Kiefer, die andere das Rückenmark. Seit dieser Grenzerfahrung sitzt er im Rollstuhl – und wuchs an der Krise. "Helmut Kohl hat mir damals die Chance gegeben, weiterzumachen und mir gesagt: Sie können auch im Rollstuhl weiter Innenminister unseres Landes sein", erinnert sich Schäuble. "Ich habe das immer als großes Glück empfunden, dass die Umstände damals so waren. Die große Anteilnahme motivierte mich auch."
In seinem Buch schreibt der Bundestagspräsident, die Entwicklung unseres Selbst werde nicht allein von sozio-ökonomischen Bedingungen bestimmt, sondern liege letztlich auch in unserer Hand. Doch Schäuble sagt auch, er kenne "viele Menschen, die ein vergleichbares Schicksal hatten und auf einmal das, was sie vorher mit viel Begeisterung gemacht haben, nicht mehr machen konnten. Ihnen gegenüber habe ich mich immer als privilegiert gefühlt."
Er habe sich, sagt Schäuble, "schon früh für Politik interessiert - lange bevor ich daran dachte, daraus einen Beruf zu machen". Er war zwei Mal Bundesinnenminister, Finanzminister, Kanzleramtschef, Fraktionsvorsitzender. CDU-Vorsitzender war er so lange, bis er in den Strudel der Parteispendenaffäre geriet. Schäuble ist seit 1972 Bundestagsmitglied und damit der dienstälteste Abgeordnete. Aktuell ist er Bundestagspräsident und genießt Respekt für die Art, wie er das Amt ausfüllt. "Ich vergleiche das immer mit einem Fußballschiedsrichter. Ich muss das Spiel laufen lassen und gleichzeitig darauf achten, dass alle gleichermaßen die Regeln einhalten", sagt er selbst.
Er verhinderte die Eskalation in der K-Frage
Und was ist nun mit dem Strippenziehen? "Nein", sagt der Vater von vier Kindern, "das ist ein Begriff, der mir gar nicht gefällt." Er sei "um Beispiel gar kein Netzwerker, auch nicht in der Partei". Wenn er da andere beobachte, "bin ich diesbezüglich völlig unterentwickelt. Das ist überhaupt nicht mein Wesen", sagt Schäuble und denkt kurz nach: "Dass ich aber offenbar einen gewissen Einfluss habe, das ist wohl wahr." Als etwa der damalige CSU-Vorsitzende Horst Seehofer mit Kanzlerin Angela Merkel im Herbst 2015 über die Flüchtlingsfrage stritt, da habe seine Vermittlung "einen Beitrag dazu geleistet, dass die Dinge nicht eskaliert sind. Mit Strippenziehen hat das aber nichts zu tun."
Auch im Streit zwischen Laschet und Söder hat Schäuble offenbar eine Eskalation verhindert. Zum bayerischen Ministerpräsidenten ist alles gesagt, bedeutet der CDU-Politiker. "Die Debatte war lang, schwierig, schmerzlich, und ich möchte wirklich keinen Beitrag dazu leisten, sie noch zu verlängern." An der CDU sei die Sache nicht spurlos vorübergegangen. "Aber Krisen, das schreibe ich ja auch in meinem Buch, sind immer Chancen. Und Armin Laschet hat bewiesen, dass er solche Krisen als Chance nutzen kann", sagt Schäuble.
Schäuble will die Krise hinter sich lassen und angreifen. "Natürlich müssen CDU und CSU alles dafür tun, dass wir es schaffen, eine Mehrheit zu erringen und wieder den Bundeskanzler zu stellen. Ich glaube aber, wir haben gute Chancen dazu, wenn wir die richtigen inhaltlichen Themen setzen und in der Union geschlossen dafür kämpfen."
Kanzler will Schäuble nicht werden
Schäuble wird aktiv dabei sein, denn er tritt wieder an. Einige im politischen Berlin schließen nicht aus, dass er bei anhaltend schlechten Umfragewerten für Laschet am Ende gebeten wird, Kanzlerkandidat zu werden. Die Frage, ob er dafür zur Verfügung stünde, unterbricht Schäuble bereits nach den ersten Worten. "Nein. Nein. Diese Frage stellt sich überhaupt nicht!" Er sei noch mal angetreten, weil insbesondere jüngere Menschen aus seiner Partei und aus seinem Wahlkreis auf ihn zugekommen seien, betont der Offenburger.
Seine persönliche Grenze hat Schäuble schon definiert. "Aber wenn es mir keine Freude mehr macht oder wenn ich das Gefühl habe, dass ich nicht mehr kann, denke ich schon, dass ich dann auch die Kraft habe zu sagen: Bitte versteht, jetzt ist es gut, ich will nicht mehr."
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