Herr Linnemann, die Union will das Bürgergeld abschaffen. Wie soll das gehen? Es gibt ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Existenzminimum, das für jeden gilt. Es ist schwer vorstellbar, dass sich die Union gegen diese Entscheidung stellt.
Carsten Linnemann: Uns geht es um einen grundsätzlichen Politikwechsel beim Bürgergeld. Wir sind der Meinung, dass das ganze System vom Kopf wieder auf die Füße gestellt werden muss. Wir werben für eine neue Grundsicherung, die gerechter ist und eben die unterstützt, die auf Unterstützung angewiesen sind. Das ist eines unserer Topthemen, nicht nur im Wahlkampf, sondern auch danach, wenn wir Ernst machen.
Aber nochmal: Wie soll das gehen?
Linnemann: Kernbestandteil der Hartz-IV-Reform im Zusammenhang mit der Agenda 2010 war seinerzeit ein sogenannter Vermittlungsvorrang in Arbeit. Und diesen Vermittlungsvorrang gibt es heute nicht mehr, davon fehlt jede Spur. Das ist Kern dessen, was wir wieder einführen werden.
Wollen Sie auch an den monatlichen Satz von rund 560 Euro herangehen?
Linnemann: Natürlich werden wir uns das insgesamt ansehen. Wir haben jetzt innerhalb von zwei Jahren eine Bürgergeld-Erhöhung von fast 25 Prozent gehabt. Ich kenne keinen Arbeitnehmer, der das bekommen hat. Das Bürgergeld hat zu Missbrauch geführt. Wir möchten ein gerechtes System. Wer arbeiten kann, muss arbeiten. Ansonsten gibt es keine Sozialleistungen.
Wie verhindern Sie, dass daraus eine Neiddebatte wird, die die Gesellschaft spaltet?
Linnemann: Es ist das sogenannte Bürgergeld, das die Gesellschaft spaltet, weil es als ungerecht empfunden wird. Es gibt kein Thema, auf das ich mehr angesprochen werde. Allein der Begriff führt schon in die Irre. Das Bürgergeld suggeriert, dass es jedem Bürger zusteht. Es ist aber für die Menschen da, die körperlich oder mental nicht in der Lage sind, einer Arbeit nachzugehen.
Zum Wohnungsmarkt. Die SPD hat 400.000 neue Wohnungen versprochen. Was bietet die Union an?
Linnemann: Es müssen alle den Zugang zu Eigentum haben. Das große Versprechen von Ludwig Erhard war, dass man nicht von der Hand in den Mund lebt, sondern Eigentum aufbaut. Dieses Versprechen ist früher eingelöst worden. Dieses Versprechen gilt heute so nicht mehr.
Das ist die Zustandsbeschreibung…
Linnemann: Der Staat selbst hat viel dazu beigetragen, dass es nicht mehr möglich ist. Wir haben derzeit rund 20.000 Vorschriften am Bau. 1990 hatten wir 5000 Bauvorschriften. Dadurch ist Bauen so teuer geworden. Wir werden Regulierungen beim Bau so ändern, dass Bauen sicher ist, aber eben auch wieder bezahlbar wird.
Sie beklagen schon länger, dass die Belastung der Bürger und Unternehmen zu hoch ist. Jetzt könnten Sie gemeinsam mit SPD und Grünen im Bundestag dafür stimmen, dass die Kalte Progression ausgeglichen wird. Wie siehts da aus?
Linnemann: Die Diskussion finde ich total lächerlich. Die Rest-Ampel treibt ihre taktischen Spielchen. Scholz und Habeck versuchen so zu tun, als sei die Ampel nicht zerbrochen, die simulieren Regierungshandeln, haben aber keine Mehrheit. Rot-Grün hat dieses Land vor die Wand gefahren und damit Vertrauen in die Politik verspielt. Diese Rest-Ampel hat weder einen Haushalt, noch hat sie eine Mehrheit, mit der sie Projekte umsetzen könnte. Deswegen sind die jetzigen Vorschläge einfach unseriös. Wir sind nicht der Reparaturbetrieb dieser gescheiterten Koalition. Der Abbau der Kalten Progression wird, wenn wir regieren sollten, kommen. Schnell, aber seriös finanziert und nicht als panische PR-Aktion.
Ihr Kanzlerkandidat Friedrich Merz flirtet gerade mit den Grünen, was bei CSU-Chef Markus Söder überhaupt nicht gut ankommt. Wie hält es denn die Union mit Robert Habeck?
Linnemann: Zu den Grünen ist alles gesagt. Wir brauchen einen Politikwechsel, sowohl in der Migrations- als auch in der Wirtschaftspolitik. Beides ist mit diesen Grünen nicht zu machen. Robert Habeck sucht sich einzelne Unternehmen heraus und gibt ihnen Geld. Bei dem Batteriehersteller Northvolt hat er damit 600 Millionen Euro in den Sand gesetzt. Das führt Deutschland als Land der Sozialen Marktwirtschaft völlig in die Irre. Wir brauchen einen Kurswechsel - und nicht Robert Habeck.
Die Sauerländer Erklärung von CDU und CSU verspricht „Wohlstand für alle“. Sie ist gut 15 Monate alt. Können Sie dieses Versprechen angesichts der schlechten wirtschaftlichen Kennzahlen noch halten und damit in den Wahlkampf ziehen? Muss es nicht eigentlich heißen: Gürtel enger schnallen für alle - und dann kommt der Wohlstand?
Linnemann: Wenn wir in Zeiten dieser Inflation der arbeitenden Bevölkerung oder den Rentnern sagen: Ihr müsst jetzt den Gürtel enger schnallen, weil der Staat bei sich selbst nicht anfängt, dann wäre das zynisch. In Westfalen würde man sagen: Der hat nicht alle Tassen im Schrank.
Was haben Sie vor?
Linnemann: Wir müssen Deutschland wieder auf den Wachstumspfad zurückführen. Ein ganz wichtiger Schritt ist, dass wir endlich die überbordende Bürokratie zurückfahren. Die Politik hat sie doch selbst mit hochgezogen, wir sind jetzt gefragt. Nehmen Sie als Beispiel die Ministerialbürokratie in Berlin. Ich will den Beschäftigten in den Ministerien die gute Arbeit gar nicht absprechen. Im Gegenteil. Aber das ist über die Jahre immer mehr geworden. Die Ampel hat noch eins draufgesetzt und alle Rekorde gebrochen. Wenn ich immer mehr Stäbe habe, immer mehr Regierungsbeauftragte, dann habe ich am Ende immer mehr Bürokratie.
Wie fährt man so einen Apparat zurück?
Linnemann: Seit Jahrzehnten schreiben sich die Parteien den Bürokratieabbau in ihre Wahlprogramme. Doch niemand hat den Mut, es konkret anzugehen. Wir können uns beispielsweise in den Ministerien die Zahl der Regierungsbeauftragten anschauen und dann fragen: Wie viel brauchen wir davon noch in Zukunft? In den Ministerien können wir die Zahl der Beschäftigten sozialverträglich reduzieren. Ich setze mich dafür ein, dass wir dazu in unserem Wahlprogramm konkrete Prozentzahlen nennen. An denen lassen wir uns dann messen. Es wird konkret sichtbar, was wir machen.
Wie bekommt man die Wirtschaft wieder in Gang?
Linnemann: Wir haben mehrere Paradebranchen. Nehmen Sie nur den Maschinenbau, wo wir im letzten Jahr über 80 Prozent der Güter exportiert haben. Es gibt also ein Produkt, wo wir zwar teurer, aber viel besser sind als andere. Noch. Es kommt jetzt darauf an, dass wir diesen komparativen Kostenvorteil klug mit KI und Digitalisierung verzahnen. Da haben wir gegenüber anderen Ländern einen riesigen Schatz, den es zu heben gilt, nämlich das wirtschaftliche Ökosystem. Wir haben mehr als 70 Fraunhofer Institute, die in ganz Deutschland verteilt sind. Wenn wir diesen Instituten Geld geben, damit sie wiederum den Mittelstand bei der Transformation unterstützen, wäre das ein wichtiger Baustein für eine gute Wirtschaftspolitik. Wir müssen uns nicht ständig neu erfinden. Es ist sehr vieles schon vorhanden.
SPD-Generalsekretär Miersch hat ein Fairnessabkommen zur Wahl angeregt. Haben Sie ihn inzwischen drauf aufmerksam gemacht, dass es das als Vereinbarung zwischen SPD, CDU, CSU, FDP und Linke seit Mai schon gibt?
Linnemann: Wir können gerne noch 100 solcher Abkommen unterschreiben. Wichtig ist, dass die Fairness gelebt wird. Wir jedenfalls würden dem Oppositionsführer im Bundestag nicht vorwerfen, er spiele „Russisches Roulette“ auf Kosten der Menschen. Ich kann den Bundeskanzler nur davor warnen, mit diesem Populismus fortzufahren, denn unter solchen Äußerungen leidet die ganze Demokratie. Er hatte drei Jahre lang die Verantwortung für dieses Land und er ist gescheitert. Jetzt versucht er, innerhalb von wenigen Wochen so zu tun, als ob alles in Ordnung sei und er alles im Griff habe.
Lässt sich die Ukraine aus dem Wahlkampf heraushalten?
Linnemann: Ich will gar nicht, dass das Thema rausgehalten wird. Wir müssen offen über alles reden und vernünftig miteinander umgehen. Die CDU will Frieden. Und in den letzten 70 Jahren standen wir immer auf der richtigen Seite der Geschichte. Bei der Westbindung, beim Nato-Doppelbeschluss, beim 2+4-Vertrag. Deshalb wissen wir, dass Deutschland eine starke Bundeswehr braucht. Wir müssen uns verteidigen können, damit wir es nicht müssen. Je stärker wir uns darauf vorbereiten, desto weniger Gefahr laufen wir, dass es überhaupt zu solch einer Situation kommt. Darüber können wir gerne mit Herrn Scholz streiten. Aber diese ganzen Falschbehauptungen, das geht mir gegen den Strich.
In der Asylpolitik wollen Sie einen wirklichen Kurswechsel: An den deutschen Grenzen soll nicht mehr gelten, dass jeder reinkommt, der das Wort Asyl sagt. Muss man dafür das Grundgesetz ändern?
Linnemann: Nein. Wir wollen geltendes Recht zur Anwendung bringen. An die deutsche Grenze kommen Flüchtlinge aus einem anderen EU-Land. Und in diesem Fall greift die Dublin-Verordnung, wonach ein anderes Land für das Asylverfahren zuständig ist. Dieses Recht werden wir wieder durchsetzen. Damit insgesamt weniger Flüchtlinge nach Deutschland und Europa gelangen, fordern wir Asylverfahren außerhalb Europas in Drittländern.
Die Ampel wollte Straftäter aus Deutschland zurück nach Syrien abschieben. Die Union hat das immer unterstützt. Ändert sich daran etwas wegen des neu aufgeflammten Bürgerkriegs?
Linnemann: An unserer Haltung hat sich nichts geändert.
Kanzler Scholz war gerade in Kiew. Ihr Parteifreund Roderich Kiesewetter nannte das verlogen. Wäre die Lage denn eine andere, wenn Herr Merz in die Ukraine reist?
Linnemann: Der Zeitpunkt ist schon erstaunlich. Der Kanzler reist in dem Augenblick, in dem die geplante Reise von Friedrich Merz bekannt wird. Den geplanten Staatsbesuch des estnischen Premierministers sagt Olaf Scholz kurzfristig ab und reist dann doch mit leeren Händen nach Kiew. Er hatte mal gesagt, er wolle nicht nur der Bilder wegen in die Ukraine reisen. Das hat er offenbar vergessen. Aber für Erinnerungslücken ist Olaf Scholz sind ja mittlerweile bekannt. Die Reise von Friedrich Merz war hingegen schon länger geplant. Friedrich Merz wird unseren ukrainischen Partnern versichern, dass sie auf uns, auf Deutschland unter seiner Führung zählen können.
Und zum Schluss die obligatorische Feiertags-Frage: Was isst ein gebürtiger Paderborner wie Sie traditionell zu Weihnachten?
Linnemann: Früher gab es Kartoffelsalat mit Würstchen. Aber heute nicht mehr. Mein Lieblingsessen ist im Moment Rosenkohl mit Lachs. Und das wünsche ich mir auch zu Weihnachten. Den Kohl al dente im Backofen garen und dann mit geraspelten Chilischoten servieren. Dazu ein Glas Rotwein und Wasser mit Kohlensäure.
Es ist schon erstaunlich: Linnemann spricht Probleme an, die es nicht erst seit gestern gibt und für die die Unionsparteien nun von heute auf morgen Antworten haben wollen. 16 Jahre hatte die Union Zeit, kalte Progression zu begradigen, das Bürgergeld zu reformieren, Vorschriften am Bau zu entmüllen, nichts ist passiert. Und nun soll alles sofort erledigt werden? Merkt der Mann nicht, dass er sich mit seiner Rumschwadroniererei und seinem neuen Aktionismus lächerlich macht? Ich glaube, der meint das wirklich so, nur den Weg zu Lösungen hat er noch nicht gefunden.
Zustimmung ohne Abstriche und da wundern sich manche woher die Politikverdrossenheit kommt. Klar wenn man so manipuliert werden soll. Aber das Gedächtnis von vielen Politik-interessierten (?) scheint nicht über ein halbes Jahr hinauszugehen. wie sonst lassen sich Habeck Dinge ans Bein binden die man doch selber Großenteils initiiert, wie das GEG, oder 4 Legislaturen lang selbst verschlafen.
Volle Zustimmung. Der Mann ist einer meiner Lieblingsgaeste in Talkshows (:-().
"Den Kohl al dente im Backofen garen und dann mit geraspelten Chilischoten servieren." Ein wahrlich würdiges Weihnachtsessen für einen CDU Mann. Na dann: Alles wieder von vorn, oder wie genau war der Wahlkampfslogan für den nächsten Stillstand?
Herr Linnemann wir brauchen eine Agenda 2030 für Deutschlands Zukunft.. und keinen Stillstand oder rückwärts gewandte Politik wie bisher.. Heute mit neuen Visionen und der Erfahrung von gestern in eine Zukunft von morgen..
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden