Ziemlich genau 16 Jahre nach der Verabschiedung ihres dritten und aktuell noch geltenden Grundsatzprogramms hat die CDU Deutschlands die Weichen für die programmatische Runderneuerung der Partei gestellt. Generalsekretär Carsten Linnemann präsentierte am Montag in Berlin den Entwurf für das neue Grundsatzprogramm. Unter dem Titel „In Freiheit leben – Deutschland sicher in die Zukunft führen“ soll es im Mai von einem Parteitag verabschiedet werden und die CDU in den folgenden Monaten erfolgreich zunächst durch die Europawahl, Kommunalwahlen in neun Bundesländern, drei Landtagswahlen und die Bundestagswahl führen.
Vor 22 Monaten hatte Linnemann als Vorsitzender der Grundsatzprogramm-Kommission mit der Arbeit begonnen. Die Mitglieder wurden befragt, Regionalkonferenzen und andere Veranstaltungen abgehalten. Herausgekommen sind 70 Seiten, die das Trauma der verloren gegangenen Bundestagswahl 2021 bewältigen helfen sollen. Nach dem Machtverlust hatte es damals nicht nur Personaldebatten mit der Wahl von Friedrich Merz zum Vorsitzenden gegeben. Auch die inhaltliche Ausrichtung wurde breit diskutiert. Mit der Ausrichtung der CDU als Partei der Mitte, wie sie die ehemalige CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel vorgenommen hatte, waren viele Mitglieder nicht mehr zufrieden.
CDU betont „das christliche Bild vom Menschen“
Im neuen Grundsatzprogramm definiert sich die CDU zwar weiterhin als „Volkspartei der Mitte“ und betont die Grundwerte Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit. Begriffe, die traditionell die drei Wurzeln der Christlich Demokratischen Union wiedergeben: eine liberale, eine konservative sowie eine sozial-katholische. Sie betont diesmal aber stärker „das christliche Bild vom Menschen“ als Kompass der eigenen Politik. 2007 hatte es noch anders geklungen: „Gesellschaftliches Ziel der CDU ist die Chancengesellschaft, in der die Bürger frei und sicher leben.“
In der Mitte des Programmentwurfs wird deutlich, was die CDU meint. Zunächst befasst sich auf Seite 35 ein Kapitel mit dem jüdischen Leben in Deutschland. Es folgt ein deutlich kritischerer Absatz zum muslimischen Leben im Land. „Muslime, die unsere Werte teilen, gehören zu Deutschland“, heißt es dort. Der Hinweis auf die „Werte“ ist die Abkehr von einer Haltung, wie sie etwa der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble im Februar 2019 bei einer Buchpräsentation in Berlin formulierte. „Muslime und mit ihnen der Islam sind ein Teil Deutschlands. Sie sind Teil unserer Gesellschaft“, erklärte der CDU-Politiker, der sich als Innenminister 2006 zur Islamkonferenz bereits folgendermaßen geäußert hatte: „Der Islam ist Teil Deutschlands und Europas.“ Alt-Bundespräsident Christian Wulff und Merkel wiederholten diese Aussage.
Unbeeindruckt von der AfD
Im Konrad-Adenauer-Haus wies Linnemann den Eindruck zurück, das neue Programm sei unter dem Druck sinkender Umfragewerte und dem Erstarken der AfD entstanden. Im gesamten Programmprozess habe man „nicht einmal nach links oder rechts geschielt“, sagte der Paderborner und versicherte, das Programm sei „100 Prozent Union“.
Mit einem Grundsatzprogramm gibt sich eine Partei Leitlinien, die anders als ein Wahlprogramm auf lange Sicht gültig sein sollen. In diesem Fall mindestens zehn Jahre, wie die CDU-Abgeordnete Serap Güler betonte, die neben dem thüringischen CDU-Chef Mario Voigt als Vizevorsitzende der Programmkommission eingesetzt war.
CDU-Programm trägt Oppositionshandschrift
Es ist nach langer Zeit das erste Programm, das die CDU nicht aus einer Machtposition als Regierungspartei heraus formulieren kann. Diesmal geht es darum, die Macht bei der Bundestagswahl 2025 zurückzugewinnen und im Jahr vorher die Europawahl sowie die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg gegen den derzeitigen Hauptgegner AfD zu bestehen. Zeitgleich zur Europawahl am 9. Juni finden Kommunalwahlen in neun Bundesländern statt, die ebenfalls erhebliche Signalwirkung haben werden und deren Ausgang mit darüber entscheidet, ob Friedrich Merz oder jemand anderer Kanzlerkandidat der Union wird.
Das Grundsatzprogramm enthält darüber hinaus Aussagen zu den Bereichen Wirtschaft, Finanzen, Sozialstaat und Gesellschaft. So stellt es beispielsweise eine härtere Gangart beim Bezug von Bürgergeld in Aussicht. Es stellt klar, dass „wer arbeiten kann und Sozialleistungen bezieht, auch arbeiten muss“. Daneben schlägt Linnemann Töne an, die angesichts der wortstarken Beiträge seines Parteivorsitzenden Merz bescheiden anmuten. „Wir wissen, dass wir nicht die letzte Wahrheit kennen. Politik muss immer in Demut arbeiten“, erklärte der 46-Jährige.