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Bundestag: Lob und Wahlkampf: So lief der letzte Parlamentstag der Großen Koalition

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Lob und Wahlkampf: So lief der letzte Parlamentstag der Großen Koalition

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    Vielleicht das letzte Mal zusammen in diesen Rollen auf der Regierungsbank: Gut gelaunt plauderten Angela Merkel und Sigmar Gabriel während dem letzten Schlagabtausch im Bundestag.
    Vielleicht das letzte Mal zusammen in diesen Rollen auf der Regierungsbank: Gut gelaunt plauderten Angela Merkel und Sigmar Gabriel während dem letzten Schlagabtausch im Bundestag. Foto: Michael Kappeler, dpa

    19 Tage vor der Bundestagswahl ist der Terminkalender von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz gut gefüllt. An diesem Dienstag stellt er sich den Fragen von vier Youtube-Videobloggern und tritt auf dem Marktplatz von Peine auf. Doch ein wichtiger Termin fehlt in seinem Kalender – die 245. und zugleich letzte Sitzung des Deutschen Bundestags mit ihrer fast vierstündigen Grundsatzdebatte über die „Situation in Deutschland“ findet ohne ihn statt. Weil der SPD-Chef weder ein

    Die Bühne, sich noch einmal unter dem großen Bundesadler an der Stirnseite des Parlaments in Szene zu setzen, haben daher Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Spitzenkandidaten der Linken und der Grünen, Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch sowie Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt, exklusiv für sich. Und sie nutzen die Gelegenheit, im Parlament reichlich Wahlkampf zu betreiben. Für die SPD übernehmen Fraktionschef Thomas Oppermann und Vizekanzler Sigmar Gabriel den Spagat, einerseits sich als Teil der Großen Koalition zu präsentieren, andererseits aber auch auf Distanz zur Union zu gehen und die Unterschiede zwischen den beiden Regierungsparteien herauszuarbeiten.

    Merkel nimmt heftige Vorwürfe reglos entgegen

    Gabriel attackiert die Kanzlerin auf dem Gebiet der Außenpolitik. Nachdem er erst ausdrücklich die Zusammenarbeit in der Koalition als „immer fair, immer belastbar“ gelobt hat, nennt er den Beschluss der Nato, zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts für Verteidigung auszugeben, schlichtweg „irre“. Deutschland müsse wieder eine Politik der Entspannung und der Abrüstung betreiben und sich auf seine Rolle als „Friedensmacht“ besinnen. Nicht die Verdoppelung des Rüstungsetats, sondern eine Verdoppelung der Bildungsausgaben.

    Noch deutlicher wird Fraktionschef Oppermann. Er knöpft sich in einer ungewöhnlich kämpferischen Rede die Kanzlerin persönlich vor. Ja, gibt er zu, diese Regierung habe viel bewegt und dafür gesorgt, dass das Leben vieler Menschen spürbar besser geworden sei. Aber schon im gleichen Atemzug schränkt er ein, dass es der SPD nicht immer gelungen sei, sich gegen Merkel durchzusetzen, mehr noch, wie vor ihm Sahra Wagenknecht und nach ihm Cem Özdemir bläst er zur Attacke auf die Kanzlerin und verschärft den Ton. So sei eine effektive Mietpreisbremse ebenso an ihr gescheitert wie die solidarische Mindestrente. „Sie lassen die kleinen Leute im Stich“, sagt er zu Merkel. „Dieses Land braucht keine Bundeskanzlerin, die nur sozialdemokratisch redet, dieses Land braucht einen Bundeskanzler, der sozialdemokratisch handelt.“ Das wiederum bringt Unionsfraktionschef Volker Kauder auf die Palme. Es sei der alte Fehler der SPD, dass sie „gleichzeitig Regierung und Opposition“ sein wolle.

    Die Stationen von Angela Merkel

    1989: In der politischen Umbruchphase der DDR steigt die Physikerin Merkel in die Politik ein und schließt sich dem Demokratischen Aufbruch (DA) an, der später der CDU beitritt.

    April 1990: Nach den Volkskammerwahlen wird Merkel stellvertretende Regierungssprecherin der DDR.

    Dezember 1990: Merkel wird mit der ersten gesamtdeutschen Wahl direkt gewählte CDU-Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Stralsund, Rügen, Nordvorpommern.

    Januar 1991: Merkel wird unter dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) als Bundesministerin für Frauen und Jugend vereidigt.

    Dezember 1991: Merkel wird zur stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt.

    November 1994: Merkel wird Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Für ihre Verhandlungsführung beim UN-Klimagipfel in Berlin erntet sie ein Jahr später breites Lob.

    November 1998: Der neue CDU-Chef Wolfgang Schäuble macht Merkel zur Generalsekretärin.

    Dezember 1999: Nach Bekanntwerden der CDU-Spendenaffäre ruft Merkel in einem spektakulären Zeitungsbeitrag zur Abnabelung von Kohl auf.

    10. April 2000: Nach Schäubles Rücktritt infolge der CDU-Spendenaffäre wird Merkel auf dem Parteitag in Essen mit 95,9 Prozent zur Parteichefin gewählt.

    24. September 2002: Nach der verlorenen Bundestagswahl mit Spitzenkandidat Edmund Stoiber sichert Merkel sich den Fraktionsvorsitz der CDU/CSU im Bundestag.

    1./2. Dezember 2003: Unter Merkels Führung segnet die CDU auf ihrem Parteitag in Leipzig einen radikalen Kurswechsel in der Steuer- und Sozialpolitik ab. Später distanzieren sich sowohl Kanzlerin als auch Partei wieder davon.

    18. September 2005: Die Union gewinnt mit Merkel als Kanzlerkandidatin die Bundestagswahl knapp vor der SPD, bleibt aber weit hinter den Erwartungen zurück.

    22. November 2005: Merkel wird als Bundeskanzlerin einer großen Koalition vereidigt. Sie ist nicht nur die erste Frau, sondern mit 51 Jahren die bislang jüngste Politikerin in diesem Amt.

    August 2006: Das US-Wirtschaftsmagazin "Forbes" kürt Merkel erstmals zur "mächtigsten Frau der Welt". Den Spitzenplatz hält sie auch in den kommenden Jahren fast durchgängig.

    September/Oktober 2008: Merkel und Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) stellen wegen der Finanzkrise in dramatischen Rettungsaktionen Milliardensummen für Banken und die Wirtschaft bereit.

    27. September 2009: Die CDU fährt bei der Bundestagswahl unter Merkels Führung zwar ein schwaches Ergebnis ein, es reicht aber für das gewünschte schwarz-gelbe Bündnis.

    28. Oktober 2009: Merkel wird zum zweiten Mal vom Bundestag zur Kanzlerin gewählt.

    Mai 2010: Die Staaten der Euro-Zone beschließen den ersten Rettungsschirm. Während Merkel mit der Euro-Krise beschäftigt ist, macht ihre schwarz-gelbe Koalition vor allem durch Streits von sich reden.

    6. Juni 2011: Nach der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima beschließt Merkels Kabinett das Aus für acht Atomkraftwerke und einen schrittweisen Atomausstieg bis 2022. Im Wahlkampf hatte Merkel noch für eine Verlängerung der Laufzeiten geworben.

    Dezember 2012: Bei ihrer sechsten Wiederwahl zur CDU-Chefin erreicht Merkel mit 97,94 Prozent ihr bislang bestes Ergebnis.

    22. September 2013: Bei der Bundestagswahl erreicht die Union mit 41,5 Prozent das beste Zweitstimmenergebnis seit 1990.

    17. Dezember 2013: Merkel wird zum dritten Mal im Bundestag zur Kanzlerin gewählt.

    10. April 2014: Merkel ist jetzt länger als Kanzlerin im Amt als Helmut Schmidt, der acht Jahre und vier Monate Regierungschef war. Nur Konrad Adenauer und Helmut Kohl regierten deutlich länger.

    Angela Merkel, sichtlich gut gelaunt und entspannt, nimmt die heftigen Vorwürfe des Koalitionspartners auf der Regierungsbank reglos zur Kenntnis, immer wieder wendet sie sich an ihren Sitznachbarn, Vizekanzler und Außenminister Sigmar Gabriel, und plaudert angeregt mit ihm. Schon während ihrer Rede gibt es mehrere lautstarke Zwischenrufe der SPD, weil Merkel Beschlüsse der Großen Koalition würdigt, die die SPD für sich reklamiert. Doch Merkel lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, einmal wendet sie sich direkt an SPD-Generalsekretär Hubertus Heil: „Gegen meinen Willen und gegen die starke Unionsfraktion konnten Sie gar nichts durchsetzen.“ Man könne doch stolz sein auf die gemeinsamen Erfolge. „Wir haben eine Menge miteinander erreicht.“ Deutschland gehe es gut, noch nie hätten so viele Menschen einen Job, die Wirtschaft boome.

    Kanzlerin übt massive Kritik an Türkei

    Gleichwohl warnt sie davor, sich auf diesen Erfolgen auszuruhen. Wegen der Digitalisierung stehe man an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter, es sei nötig, jetzt die Weichen zu stellen, dass Deutschland auch in 15 Jahren noch wirtschaftlich erfolgreich, wettbewerbsfähig und sozial gerecht sei. Die Probleme der Automobilindustrie würden wie in einem Brennglas diese Herausforderungen zeigen. Eindringlich wirbt sie dafür, bei der Entwicklung neuer Güter und Produktionsmöglichkeiten vorne mit dabei zu sein. „Wir wollen nicht im Technikmuseum enden mit Deutschland.“

    Im außenpolitischen Teil ihrer Rede übt die Kanzlerin massive Kritik an der Türkei. Die Entwicklung sei „mehr als besorgniserregend“, das Land verlasse immer mehr den Weg der Rechtsstaatlichkeit – und das in einem teilweise schnellen Tempo. Die Bundesregierung werde alles in ihrer Macht stehende tun, um die 13 Deutschen, die in türkischen Gefängnissen sitzen, wieder freizubekommen.

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