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Bundesregierung: Wie die Ampel sich selbst demontiert

Bundesregierung

Wie die Ampel sich selbst demontiert

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    Wenn im deutschen Straßenverkehr eine Ampel kaputt ist, rücken Einsatzkräfte an und kümmern sich darum.
    Wenn im deutschen Straßenverkehr eine Ampel kaputt ist, rücken Einsatzkräfte an und kümmern sich darum. Foto: Lausitznews, Imago

    Wenn am kommenden Freitag mit einer großen Trauerfeier in München der Fußballlegende Franz Beckenbauer gedacht wird, ist Olaf Scholz auch dabei. Der Kanzler will dem Kaiser „seinen großen Respekt und seine Anerkennung“ bekunden. Scholz könnte zum Weltwirtschaftsgipfel nach Davos reisen, wo die politische und wirtschaftliche Weltelite in diesen Tagen über die zahlreichen Probleme auf der Welt diskutiert – ohne den deutschen Regierungschef. Er könnte sich dem Landvolk stellen, das seine Sorgen zahlreich mit Traktoren nach Berlin getragen hat. Aber Scholz wählt München. Das Rund der Allianz Arena verspricht Schutz und Geborgenheit. Es ist ein besonderer Termin, bei dem Pietät gefordert ist. Es ist ein Termin, bei dem er endlich einmal nicht ausgebuht wird.

    Dem Kanzler schlägt gerade eine Welle der Ablehnung entgegen. Die Inspektion der vom Hochwasser bedrohten Städte in Sachsen-Anhalt nach dem Jahreswechsel gerät zum Spießrutenlauf. Als auf der Bauern-Demo am Brandenburger Tor in einer Rede sein Name fällt, erhebt sich Pfeifkonzert, dabei ist der Kanzler gar nicht direkt anwesend. Schlimmer noch: In Teilen der Gesellschaft hat sich die Ablehnung seiner Person in offene Verachtung verwandelt. Die Zustimmungsraten liegen in den Umfragen bei historisch niedrigen 20 Prozent. So schlecht war seine Vorgängerin Angela Merkel selbst nicht auf dem Höhepunkt der Fluchtbewegungen 2015/2016.

    Kritik an Scholz ist nicht neu, man mag müde abwinken. Doch die Situation heute ist eine andere als noch vor einem halben Jahr. Inzwischen werden Scholz und seine Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP nicht mehr nur von außen torpediert. Mittlerweile ist die Stimmung auch innerhalb der Regierung auf einem neuen, bisher nicht gekannten Tiefpunkt angelangt. „So ein Chaos habe ich noch nie erlebt“, sagt einer, der bereits während der Großen Koalition in der Regierung gearbeitet hat. Wer mit anderen spricht, trifft auf Ratlosigkeit. „Alles geht durcheinander, jeder macht, was er will. Absprachen sind wertlos, weil immer jemand da ist, der plötzlich aus der Reihe tanzt “, sagt einer aus der Grünen-Partei. 

    Beispiele gibt es viele. Angeschlagen war das Bündnis aus SPD, Grünen und FDP spätestens durch das Fiasko um das Heizungsgesetz, ins Wanken aber brachten es die Verfassungsrichter Mitte November mit ihrem Urteil zu den Staatsfinanzen. Das oberste deutsche Gericht legte die Koalition finanziell trocken, nahm ihr den verbindenden Kitt der Schuldenmacherei. In 200-stündigen Beratungen einigten sich Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) mühevoll auf Einsparungen, Abstriche und höhere Abgaben. Verzichten sollten Gastronomen, Fuhrunternehmer und die Bauern. 

    Die Bauern haben die Ampel ein Stück weit weichdemonstriert

    Während erstere die Mehrbelastung zunächst mit geballter Faust in der Tasche hinnahmen, mobilisierten die Landwirte im ganzen Land. Überall in Deutschland stellten tonnenschwere Traktoren Straßen und Autobahnen zu, tausende wütender Bauern kamen zu Kundgebungen zusammen. Binnen vier Wochen haben sie die Ampel ein Stück weit weichdemonstriert, ein Teil der Einschnitte wird zurückgenommen. 

    Doch noch stehen viele Traktoren in Berlin, die Landwirte warten ab. Am Donnerstag will die Ampel eine Art Fahrplan vorlegen, wie es denn nun weitergeht mit ihrer Agrarpolitik. Sollten die Betroffenen nicht zufrieden sein – und vieles deutet schon jetzt darauf hin –, gehen die Proteste weiter und könnten andere Berufsstände ermutigen, sich ihren Anteil zu holen. Die Spediteure beispielsweise, die binnen zwei, drei Tagen das Land ins Chaos stürzen könnten. Denn wenn sie sich weigern zu arbeiten, bleiben in den Supermärkten die Regale leer, Fabriken bekommen keinen Nachschub.

    Die Unzufriedenheit mit der Ampel-Koalition ist groß - spürbar war das auch bei den Bauernprotesten in Berlin.
    Die Unzufriedenheit mit der Ampel-Koalition ist groß - spürbar war das auch bei den Bauernprotesten in Berlin. Foto: Sebastian Christoph Gollnow, dpa

    „Ich weiß nicht, ob es jetzt aufhört“, sagt ein hoher Ampel-Politiker. Für weitere Zugeständnisse ist kein Geld da. Das Entgegenkommen an die Bauern führt nicht dazu, dass die Ampel an Beliebtheit gewinnt. Im Gegenteil: Die eigene Unbeliebtheit hängt eng mit der breiten Unterstützung des Widerstands auf der Straße zusammen. „Die Ampel muss weg“, ist zur prägenden Parole der Proteste geworden. „Hau ab“ ist die Grußformel für Minister der Bundesregierung, wenn sie sich auf einer Bühne dem wogenden Zorn entgegenstellen. 

    Landwirtschaftsminister Cem Özdemir von den Grünen ist es so ergangen, Finanzminister Lindner macht am Montag im eisigen Wind am Brandenburger Tor die gleiche Erfahrung. Der 44-Jährige versucht, eine Brücke zu den Bauern zu bauen, verweist darauf, dass er Jäger sei und den Pferdestall ausmiste. Doch die offensichtliche Anbiederung perlt wirkungslos an den Menschen vor ihm ab, sie haben offenbar genug von Politikern, die bevormunden, statt zu erklären.

    Versprechen aus dem Koalitionsvertrag werden gebrochen, die Parole lautet: Rette sich, wer kann.

    Vor allem SPD und FDP haben in der Ampel massiv an Stimmen eingebüßt, Lindner und seine Liberalen trifft es gerade noch härter als SPD und Grüne. Sie kämpfen wieder einmal um die nackte Existenz. Die Ampel findet intern keine Kompromisse mehr, stattdessen zerlegt sie sich weiter. Versprechen aus dem Koalitionsvertrag – Beispiel Klimageld – werden gebrochen, weil das vermeintlich dem eigenen Fortkommen nützt. Wo die anderen Koalitionspartner bleiben, ist mittlerweile egal. Das Schiff geht unter, die Parole lautet: Rette sich, wer kann.

    Die Bauern-Demo ist ein gutes Beispiel dafür. Weil Lindner nicht genügend Geld hat, um das Dieselprivileg der Landwirte zu erhalten, bedient er ihre gefühlten Einstellungen. „Es ärgert mich, dass ich vor Ihnen als dem fleißigen Mittelstand über Kürzungen sprechen muss, während auf der anderen Seite in unserem Land Menschen Geld bekommen fürs Nichtstun.“ In den Ohren der Sozialdemokraten klingt das wie eine Attacke auf den Sozialgedanken, also auf einen ihrer Markenkerne. Am Ende seiner Rede macht Lindner den Bauern Angebote zur Zusammenarbeit über den Einsatz von Gentechnik, der Nutzung von Pestiziden auf den Feldern und geringeren Umweltauflagen. Das wiederum zielt auf den Kern der Grünen. 

    Die Nervosität steigt, denn die Zeit drängt immer mehr. Bereits im Juni beginnen die Kandidatenaufstellungen für die Bundestagswahl 2025. Es werden jetzt also schon Pflöcke eingeschlagen, außerdem stehen bereits in diesem Jahr eine Europawahl, drei Landtagswahlen und Kommunalwahlen in mehreren Bundesländern an. Da ist Präsenz gefragt, und zwar in der Fläche, auf den Marktplätzen der Republik, wo es womöglich unbequem werden kann – und keine Präsenz im in sich geschlossenen, sicheren Fußballstadion. 

    Pistorius hat Scholz längst in der Beliebtheit abgelöst

    Scholz, so fordern es beispielsweise die Abgeordneten der SPD, soll endlich mal rausgehen und den Mund aufmachen, um seinen Kurs zu erklären. Mit Verteidigungsminister Boris Pistorius ist dem Kanzler außerdem ein Rivale in den eigenen Reihen erwachsen. Regelmäßig geht er als Sieger aus Umfragen als beliebtester Politiker hervor. Im direkten Vergleich trauen ihm die Demoskopen sogar einen Sieg über CDU-Chef Friedrich Merz zu, obwohl die SPD als Partei nur noch halb so stark ist wie die Union. Der bodenständige Verteidigungsminister aus Niedersachsen hält sich im Dauerstreit innerhalb der SPD und zwischen den Ampel-Partnern extrem zurück, was seine Popularität nur weiter steigert. Zumindest im Moment braucht Scholz noch keine Palastrevolte zu fürchten: Pistorius ist im linken Teil seiner Partei noch unbeliebter als er selbst. Doch je schlechter die Umfragen werden, je näher die nächsten Wahlen rücken, umso größer wird im SPD-Kosmos die Angst vor dem Verlust von Ämtern, Mandaten und Posten. Wie schon bei der Nominierung von Scholz könnte wieder die Frage nach dem chancenreichsten Bewerber in den Mittelpunkt rücken.

    Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Wolfgang Schmidt (SPD), Chef des Bundeskanzleramts.
    Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Wolfgang Schmidt (SPD), Chef des Bundeskanzleramts. Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    In der Ursachenforschung rückt bei der Ampel außerdem ein Mann in den Vordergrund, der im Kanzleramt ein Büro auf Augenhöhe mit dem Regierungschef hat, politisch aber eher im Stillen wirkt: Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt. Beide kennen sich schon seit vielen Jahren, Schmidt war einer, den man „Spin-Doctor“ nennt. Ein Kommunikationsexperte also, jemand, der andere in einem möglichst guten Licht präsentiert. Als Schmidt und Scholz über das Bundesfinanzministerium herrschten, hatte das noch gut funktioniert. Für die nackten Zahlen waren andere da, der stets zu- und redegewandte Schmidt konnte sich darauf konzentrieren, seinem Chef den Weg ins Kanzleramt zu ebnen. Erfolgreich, wie man nun weiß. 

    Das Problem jedoch scheint zu sein, dass Schmidt im Kanzleramt an Grenzen stößt. Das Aufgabengebiet ist riesengroß, er muss – Stichwort Ministerpräsidentenkonferenz – die Arbeit mit den Ländern koordinieren, er hat die Aufsicht über die Geheimdienste und vieles mehr. Wer da nicht diszipliniert den Terminkalender abarbeitet, kommt mit der Arbeit nicht hinterher. „Der Wolfgang verzettelt sich ständig“, sagt einer aus der SPD. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus verschiedenen Ministerien berichten, dass untereinander meist alles läuft, das Kanzleramt dann aber zum Flaschenhals wird, an dem sich viele wichtige Themen aufstauen. Wenn in der Öffentlichkeit über die Rolle von Kanzler Scholz diskutiert wird, so ist es in der Ampel Wolfgang Schmidt, der im Mittelpunkt von Personalspekulationen steht. 

    Bundeskanzler Olaf Scholz war bei der Handball-EM in Berlin zu Gast. Und wurde auch dort ausgebuht.
    Bundeskanzler Olaf Scholz war bei der Handball-EM in Berlin zu Gast. Und wurde auch dort ausgebuht. Foto: Andreas Gora, dpa

    Eine Kabinettsumbildung könnte das eine sein, was die Ampel aus dem Tief zieht. Und wenn alles nichts mehr hilft – und das ist kein Scherz – dann vielleicht ein neues Sommermärchen. Am 14. Juni, wenige Tage nach der Europawahl, wird in Deutschland die Fußball-EM angepfiffen. Vor 18 Jahren beflügelte die Weltmeisterschaft hierzulande nicht nur die Fans, sie verhalf auch der Politik zu Höhenflügen. Eröffnet wird die Europameisterschaft in München – dort, wo am Freitag des Kaisers gedacht wird. Ob der Fußball den Kanzler aus dem Umfragesumpf zieht, wird sich zeigen. Bislang hat ihm der Sport nicht geholfen, von der laufenden Handball-EM profitiert er nicht, ganz im Gegenteil. Am Sonntag pfiffen ihn die Handballfans aus, als er mit seiner Frau das Spiel der deutschen Mannschaft gegen Nordmazedonien besuchte. 

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