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Bosnien-Herzegowina: Warum der Serbenführer dem CSU-Politiker Christian Schmidt droht

Bosnien-Herzegowina

Warum der Serbenführer dem CSU-Politiker Christian Schmidt droht

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    Christian Schmidt, der Hohe Repräsentant für Bosnien und Herzegowina, bei einer Pressekonferenz in Sarajewo.
    Christian Schmidt, der Hohe Repräsentant für Bosnien und Herzegowina, bei einer Pressekonferenz in Sarajewo. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Nirgends ist Politik komplizierter in Europa. Drei Völker – Kroaten, Serben, Bosniaken. Drei Religionen – Katholizismus, Orthodoxie und Islam. Die offene Wunde des Völkermordes von Srebrenica. Dazu ein wirtschaftlich nicht lebensfähiger Staat mit 140 Ministerien. Vielleicht sind es auch 150. Ach ja, es gibt auch noch ein viertes Volk, das kein richtiges ist und sich ironisch Eskimos nennt. Eskimos, sind die, die weder Serben oder Kroaten noch Bosniaken sein wollen. Willkommen in Bosnien-Herzegowina, willkommen in der Welt von Christian Schmidt. 

    Der ehemalige deutsche Landwirtschaftsminister von der CSU ist eine Art von außen installierter König in dem Land auf dem Balkan. Er kann Gesetze erlassen und Politiker absetzen. Sein vollständiger Titel lautet Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina. Den Posten geschaffen haben die Vereinten Nationen 1995. Die Aufgabe des Repräsentanten ist es, zu verhindern, dass die Völker wieder aufeinanderschlagen wie zur Zeit der Balkankriege. Das ist leicht gesagt für ein Land, von dem der Literaturnobelpreisträger Ivo Andric sagte, Bosnien beginne da, wo die Rationalität aufhöre. 

    Der Serbenführer droht Christian Schmidt mit Handschellen

    Schmidt hatte vor wenigen Tagen so einen bosnischen Moment. „Sie sehen mich in Freiheit, ich bin nicht von Sicherheitskräften der Republika Srpska verhaftet worden“, sagt der 66-Jährige und lacht dabei. Der Führer der bosnischen Serben, Milorad Dodik, drohte ihm mit Handschellen und Landesverweis, sollte er in die serbische Teilrepublik reisen. Um eine Eskalation zu vermeiden, die immer nur einen Wimpernschlag entfernt ist, sagte Schmidt die Reise ab. Nun ist er in Berlin, um Gespräche zu führen über die Zukunft des ihm seit zwei Jahren anvertrauten Landes. 

    Der Führer der bosnischen Serben, Milorad Dodik, ist ein Mann des Kreml und droht immer wieder mit Abspaltung der serbischen Teilrepublik.
    Der Führer der bosnischen Serben, Milorad Dodik, ist ein Mann des Kreml und droht immer wieder mit Abspaltung der serbischen Teilrepublik. Foto: Darko Vojinovic, AP

    Wie bei einem König im Mittelalter ist seine Macht dem Titel nach enorm, doch in der rauen Wirklichkeit der Politik sind ihr Grenzen gesetzt. Dodik wäre demnach ein mächtiger Fürst, der den König herausfordert. Schmidt hatte gegen ihn einen Prozess angestrengt, der für Dodik hinter Gittern enden könnte. Es ist auch ein persönlicher Kampf. 

    Das Ganze könnte eine Posse der Weltpolitik am Rande Europas sein, wenn der Balkan nicht diese explosive Region wäre, das sprichwörtliche Pulverfass. Der Erste Weltkrieg brach dort aus, der Zweite tobte hier grausam und die Auflösung Jugoslawiens endete in einem brutalen Blutvergießen. Seit Jahrhunderten tragen große Mächte ihre Rivalität auf der Halbinsel aus. Russland ist darunter, die Türkei (früher Osmanisches Reich) und die USA. Die EU will eigentlich nur, dass Ruhe herrscht. Doch Ruhe passt nicht zu Bosnien. 

    Dodik ist ein Mann Wladimir Putins. In den Hauptstädten Europas ist die Furcht groß, dass der russische Präsident das Pulverfass anzündet, um den Westen für seine Unterstützung der Ukraine bezahlen zu lassen. „Jede Gebietsveränderung zieht unweigerlich die Gefahr der gewaltsamen Auseinandersetzungen nach sich“, sagt Schmidt. 

    Politik auf dem Balkan: Fällt der Turm zusammen?

    Dodik droht seit Jahren damit, eine Volksabstimmung abzuhalten und die serbische Teilrepublik abzuspalten. Damit wäre das fragile Gleichgewicht zerstört, Gewalt jederzeit möglich. Politik ist in diesem Staatengebilde wie das Herausziehen von Holzklötzchen aus einem Turm. Ein falscher Zug, und alles bricht zusammen.

    Schmidt hat am Mittwoch von seiner Macht Gebrauch gemacht. Bei einem Besuch in Srebrenica hat er entschieden, dass die dortige Gedenkstätte für die 1995 massakrierten Bosniaken ein offizieller Erinnerungsort des „Nie wieder“ werden soll. Für die bosnischen Serben ist damit die schamhafte Tatsache verbunden, dass sie die Täter waren. Die Erde Bosniens ist blutgetränkt.

    Eine Frau trauert auf dem Friedhof der Gedenkstätte Potocari in der Nähe von Srebrenica an einem Grab. 8000 muslimische Männer und Jungen wurden dort von bosnischen Serben umgebracht.
    Eine Frau trauert auf dem Friedhof der Gedenkstätte Potocari in der Nähe von Srebrenica an einem Grab. 8000 muslimische Männer und Jungen wurden dort von bosnischen Serben umgebracht. Foto: Kemal Softic, AP, dpa

    „Es gibt in Bosnien-Herzegowina keine einfachen Lösungen. Die Politik in Berlin ist im Vergleich ein ruhiges, geordnetes Pflaster“, erzählt der CSU-Mann. Eine der drei Seiten fühlt sich rasch benachteiligt. Schmidt steht oft in der Kritik. Ihm wird eine zu große Nähe zu den Kroaten vorgeworfen. Der Satiriker Jan Böhmermann ätzte deshalb gegen den ehemaligen Bundesminister im Februar in seiner ZDF-Sendung. Der Beitrag war allerdings voller Fehler. 

    Wegen des Ukraine-Krieges und der Konfrontation mit Russland zielen die USA und die EU darauf ab, Bosnien-Herzegowina näher an den Westen zu binden, um Putin einen Hebel zu nehmen. Der wackelige Staat ist sogar EU-Beitrittskandidat. Wegen der neuen geopolitischen Situation ist auch Schmidts Bedeutung gewachsen.

    An eine Vollmitgliedschaft in der EU glaubt er nicht, wohl aber an eine Art Teilmitgliedschaft. Das Geschäft sähe so aus: Die drei Völker müssen es schaffen, eine basale Form der Rechtsstaatlichkeit zu garantieren und die Korruption einzudämmen. Im Gegenzug bekämen sie Zugang zum EU-Binnenmarkt.

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