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Blindheit: Die Politik schenkt Menschen mit Sehbehinderung kaum Beachtung

Blindheit

Die Politik schenkt Menschen mit Sehbehinderung kaum Beachtung

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    Für blinde Menschen wird der Alltag schnell zur Herausforderung, schließlich lauern überall Hürden und Gefahren. Da sind Hilfsmittel wie etwa ein Blindenstock unerlässlich.
    Für blinde Menschen wird der Alltag schnell zur Herausforderung, schließlich lauern überall Hürden und Gefahren. Da sind Hilfsmittel wie etwa ein Blindenstock unerlässlich. Foto: Marcus Merk

    Ein Bezirksamt, irgendwo in Berlin. Das Team vor Ort ist stolz auf die neue Anzeigentafel. Sie zeigt Wartenden an, wann sie an der Reihe sind. Blinden und stark Sehbehinderten nutzt dies allerdings nichts. „Wir setzen uns das Ziel, alle öffentlichen Gebäude des Bundes umfassend barrierefrei zu machen“, hat sich die Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP in ihren Koalitionsvertrag geschrieben. Da Blinde und stark Sehbehinderte davon auch nichts haben, gibt es Vereine wie die Blindenfreunde. Sie kümmern sich bundesweit darum, die Lücke zwischen den Versprechungen der Politik einerseits und der Realität andererseits zu schließen. 

    Thorsten Bräuer gehört dem Vorstand der „Gemeinschaft Deutscher Blindenfreunde von 1860 – Moon’scher Blindenhilfsverein e.V.“ an, so lautet der gesamte Name des Vereins, der zu den ältesten Berlins gehört. „Wir sind überkonfessionell und überparteilich“, betont er zu Beginn des Gesprächs. Später sagt Bräuer aber auch, dass sein Verein „da Hilfe leistet, wo der Staat versagt“.

    Mehr als 100.000 Blinde leben in Deutschland

    Laut Statistischem Bundesamt leben in Deutschland mehr als 100.000 Menschen, die entweder blind oder hochgradig sehbehindert sind. Nimmt man sonstige Sehbehinderungen noch dazu, sind es sogar 334.000. Keine ganz kleine Zahl, aber auch wiederum nicht so groß, dass Politik daraus Kapital schlagen könnte. Die Bundesregierung hat mit Jürgen Dusel einen Behindertenbeauftragten bestellt, der selbst von Geburt an stark sehbehindert ist. Eine Stellungnahme kommt nicht zustande, die Pressestelle reagiert nicht auf entsprechende Anfragen. 

    Die Blindenfreunde haben neben einem integrativen, für Blinde buchbaren Feriendomizil am Ostufer der Müritz vor allem Fahrzeuge. Die stehen in Berlin, Nürnberg, Stuttgart und vielen anderen Städten. Ihr Einsatzradius beträgt 30 Kilometer, das Engagement macht nur Sinn in Regionen mit mehr als 800.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Wer zum Arzt muss, zum Standesamt oder ins Krankenhaus, kann sich von einem Fahrer der Blindenfreunde dorthin fahren lassen. „Man muss wissen, dass wir kein Taxi sind“, erzählt einer von ihnen. Wenn gewünscht, kommt er mit zur Beratung bei der Bank und prüft die Dokumente. Oder schaut, dass die Blinden im Wartesaal nicht einfach vergessen werden. Die können ja schließlich nicht sehen, wer da an ihnen vorbeiläuft. Da es oft um private Dinge geht, gehört zur Arbeit der Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung. „Wichtig ist der Dialog“, sagt ein Fahrer. 

    Behördengänge sind für Blinde ein Problem

    Moderne Technik macht für Blinde und stark Sehbehinderte das Leben leichter. Doch die Barrieren sind immer noch hoch. Softwarefirmen arbeiten beispielsweise mit Hochdruck daran, Blinden digitale Behördengänge zu ermöglichen. Mit einer Vorlesefunktion ist es nicht getan, schließlich sollen auch sie in Zukunft am Rechner Formulare ausfüllen oder einen Pass beantragen können. Dafür muss das Kreuz an der richtigen Stelle gesetzt und der richtige Unterpunkt in der Auswahlliste angeklickt werden. 

    Behörden können Bescheide so gestalten, dass blinde und sehbehinderte Menschen ihre eigenen Rechte selbst wahrnehmen können. Bis auf wenige Ausnahmen sind sie dazu aber nicht verpflichtet. Laut Onlinezugangsgesetz hätten Bund und Länder für ihre Verwaltungsportale einen Portalverbund schaffen sollen, der behinderten Menschen einen „barriere- und medienbruchfreien Zugang“ zu elektronischen Verwaltungsleistungen ermöglicht. Markus Richter, Staatssekretär im Bundesinnenministerium und Beauftragter der Bundesregierung für Informationstechnik, räumte indes letzte Woche ein: „Wir müssen festhalten, dass die gesetzliche Verpflichtung, bis Ende 2022 alle Verwaltungsleistungen von Bund und Ländern auch digital über Verwaltungsportale anzubieten, nicht erreicht wird.“

    Die Blindenfreunde wollen vor diesem Hintergrund ihre Dienste ausbauen. Mannheim könnte ein neuer Standort werden, sagt Thorsten Bräuer. In München wird ein Fahrer gesucht. Noch reicht das Geld für die Anschaffung eines neuen Fahrzeugs, aber es wird auch durch die ständigen Preissteigerungen immer knapper. Die Autos muss der Verein selbst kaufen, Unterstützung durch die Automobilkonzerne gibt es nicht. Der Verein finanziert seine Arbeit aus den Erlösen seiner Immobilien, die ihm im Laufe der Jahrzehnte vererbt wurden. Weitere Säulen sind Spenden und Erbschaften, die im Volumen aber abnehmen. 

    Dabei bräuchte es offenbar mehr solcher Vereinsaktivitäten. Die Ampel-Koalition hat Anfang des Monats „Eckpunkte für die Bundesinitiative Barrierefreiheit – Deutschland wird barrierefrei“ vorgestellt. „In einem fortschrittlichen Land wie Deutschland muss das Leben barrierefrei sein. Barrierefreiheit ist ein Qualitätsstandard für ein modernes Land und ein Gebot wirtschaftlicher Vernunft“, heißt es darin. Das Wort „blind“ taucht im gesamten Text nicht ein einziges Mal auf.

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