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Berlin: Abhör-Skandal bei der Bundeswehr: "Der Russe hört mit"

Berlin

Abhör-Skandal bei der Bundeswehr: "Der Russe hört mit"

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    Die Brücke über die Straße von Kertsch ist entscheidend für die Versorgung der Krim.
    Die Brücke über die Straße von Kertsch ist entscheidend für die Versorgung der Krim. Foto: Picture Alliance, dpa

    Das war nicht für die Öffentlichkeit bestimmt: Intern und recht offen haben hohe deutsche Luftwaffenoffiziere in einer Schalte über theoretische Möglichkeiten des Einsatzes deutscher Taurus-Marschflugkörper durch die Ukraine diskutiert. Nun wurde in Russland ein Mitschnitt des Gesprächs veröffentlicht. 

    Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht von einer „sehr ernsten Angelegenheit“. Auf eine Frage nach möglichen außenpolitischen Schäden sagte er am Samstag: „Deshalb wird das jetzt sehr sorgfältig, sehr intensiv und sehr zügig aufgeklärt. Das ist auch notwendig.“

    Ist der Mitschnitt authentisch?

    Das deutsche Verteidigungsministerium geht davon aus, dass das Gespräch abgehört wurde. „Es ist nach unserer Einschätzung ein Gespräch im Bereich der Luftwaffe abgehört worden. Ob in der aufgezeichneten oder verschriftlichten Variante, die in den sozialen Medien kursieren, Veränderungen vorgenommen wurden, können wir derzeit nicht gesichert sagen“, teilte eine Sprecherin mit.

    Worum geht es in dem Gespräch?

    Es handelt sich um ein Vorbereitungsgespräch der Offiziere für ein Briefing für Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), wohl im Februar. In der Viererrunde mit dabei ist der Chef der Luftwaffe, Inspekteur Ingo Gerhartz. Thema ist, wie die Ukraine deutsche Taurus-Marschflugkörper im Krieg gegen Russland einsetzen könnte – falls Kanzler Scholz sein Nein zu einer Lieferung der Waffen doch noch überdenken sollte.

    Welche Fragen werden in dem Gespräch konkret diskutiert?

    Eine Frage ist, ob Taurus-Marschflugkörper technisch theoretisch in der Lage wären, die von Russland gebaute Brücke zur völkerrechtswidrig annektierten ukrainischen Halbinsel Krim zu zerstören. Ein weiterer Punkt ist, ob die Ukraine den Beschuss ohne Bundeswehrbeteiligung etwa bei der Zielprogrammierung bewerkstelligen könnte. Es wird diskutiert, wie lange die Ausbildung von Ukrainern an Taurus dauern könnte. In dem Mitschnitt ist aber auch zu hören, dass es auf politischer Ebene kein grünes Licht für die Lieferung der Marschflugkörper gibt.

    Worum geht grundsätzlich es in der Taurus-Debatte?

    Die ukrainische Regierung hat im Mai 2023 um die Lieferung der Marschflugkörper gebeten, um die russischen Nachschublinien hinter der Front treffen zu können. Scholz entschied im Oktober, die Taurus-Raketen nicht in die Ukraine zu schicken. Zuletzt bekräftigte er sein Nein und erklärte seine Gründe. Im Kern geht es um das Risiko, dass Deutschland in den Krieg verwickelt werden könnte.

    Warum ist die Veröffentlichung des Gesprächs brisant?

    Es geht auch um militärisch sensible Informationen. Einer der Beteiligten – wohl Luftwaffeninspekteur Gerhartz – erklärt, er könne sich vorstellen, dass in einer ersten Tranche 50 und dann noch einmal 50 Flugkörper geliefert würden, was aber den Krieg nicht ändern würde. Es geht um die Frage, wie viele Flugkörper für die Zerstörung der Krim-Brücke nötig wären. Ausführlich wird diskutiert, wie man eine Beteiligung der Bundeswehr bei der Versorgung der Ukrainer mit Zieldaten für Taurus verschleiern könnte. 

    Die Gesprächsteilnehmer kommen aber zu dem Ergebnis, dass das nicht möglich sei, ohne die von Scholz formulierte rote Linie einer Kriegsbeteiligung zu überschreiten. Man müsse die Ukrainer über eine längere Ausbildung in die Lage versetzen, selber Zieldaten zu programmieren. Allerdings: Es handelt sich bei dem Ganzen nur um Gedankenspiele, um der Politik Möglichkeiten aufzuzeigen. 

    Brisant ist zudem die Aussage in dem Gespräch, dass die Briten im Zusammenhang mit dem Einsatz ihrer an die Ukraine gelieferten Storm-Shadow-Marschflugkörper „ein paar Leute vor Ort“ hätten. Worte von Kanzler Scholz vor ein paar Tagen waren ähnlich interpretiert worden. „Was an Zielsteuerung und an Begleitung der Zielsteuerung vonseiten der Briten und Franzosen gemacht wird, kann in Deutschland nicht gemacht werden“, sagte Scholz. Die Briten erklärten daraufhin, der Einsatz von Storm Shadow durch die Ukraine und die Zielauswahl seien Sache der Ukrainer.

    Wie kam Russland an die Aufnahme?

    Das Gespräch entlarvt eine Sicherheitslücke. Nach dpa-Informationen nutzen die Teilnehmer für ihre Besprechung die Plattform Webex. Der CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter rechnet nach dem Leak mit weiteren Veröffentlichungen durch Russland.

    Was bezweckt Russland mit der Veröffentlichung des Gesprächs?

    Russland will damit vor allem zeigen, dass Deutschland – anders als von der Bundesregierung beteuert – längst Kriegspartei sei und tief in dem Konflikt stecke. Das Gespräch belege die „Planungen von Kampfhandlungen gegen Russland, einschließlich der Zerstörung der zivilen Infrastruktur“, schimpfte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa. „Wir fordern von Deutschland Erklärungen.“ Öffentlich gemacht hatte den Mitschnitt Sacharowas einflussreiche Freundin Margarita Simonjan. Die Chefredakteurin des russischen Propagandakanals RT kündigte zunächst am Freitagmorgen den Mitschnitt als Sensation an, veröffentlichte dann Stunden später eine russische Textversion und schließlich die Audiodatei mit dem deutschen O-Ton im Netz. Simonjan gilt als Vertraute von Kremlchef Wladimir Putin.

    Warum will die Ukraine die Krim-Brücke zerstören?

    Die Bilder von einer Explosion im Herbst 2022 auf der Krim-Brücke und Zerstörungen im Sommer 2023 nach einem Angriff gingen um die Welt. Die Ukraine bekannte sich zu den Attacken und erklärte, die 19 Kilometer lange Brücke mit einem Abschnitt für Züge und einem für Autos zu zerstören, sobald es möglich sei. Die von Kiew geforderten Taurus gelten hier als entsprechend schlagkräftig. Die Bedeutung der Brücke ist für den Tourismus und den Güterverkehr wichtig. Auch deshalb spricht Russland von ziviler Infrastruktur, deren Zerstörung einem Kriegsverbrechen gleichkäme. Genutzt wird die Brücke aber auch vom Moskauer Verteidigungsministerium, weshalb sie aus

    (dpa, ska)

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