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Balkan: Worum es im Konflikt zwischen Serbien und dem Kosovo geht

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Worum es im Konflikt zwischen Serbien und dem Kosovo geht

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    Ein maskierter Serbe sieht zu, wie Lastwagen von einer Barrikade entfernt werden. Der Abbau der Sperren nährt die Hoffnung auf ein Ende der Eskalationsspirale im Kosovo.
    Ein maskierter Serbe sieht zu, wie Lastwagen von einer Barrikade entfernt werden. Der Abbau der Sperren nährt die Hoffnung auf ein Ende der Eskalationsspirale im Kosovo. Foto: Visar Kryeziu, AP/dpa

    Das Aufatmen war spürbar: Militante Serben beendeten die Blockade von Verkehrsadern, während die Regierung Kosovos Grenzübergänge nach Serbien wieder öffnete. Doch bei aller Erleichterung darüber, dass die jüngste Eskalationsspirale gestoppt zu sein scheint – keines der Probleme rund um den Kosovo ist gelöst. 

    Warum kommt die Region seit mehr als 20 Jahren nicht zur Ruhe? Offene Rechnungen, Nationalismus, gegenseitige Schuldzuweisungen – der Konflikt zwischen dem Kosovo und Serbien kocht in Wellen hoch, meist international nur wenig beachtet. Dafür, dass das diesmal anders ist, sorgte nicht zuletzt der serbische Verteidigungsministers Milos Vucevic mit seinen markigen Worten in der vergangenen Woche. 5000 Spezialkräfte der serbischen Armee würden „in Kampfbereitschaft versetzt“, sagte Vucevic, um martialisch hinzufügen: „Sie werden unsere stärkste Faust sein und die schlechten Ziele derjenigen, die unser Land nicht mögen, in Stücke zerschlagen.“ 

    Serbien und der Kosovo: Teilweise ging die Angst vor einem militärischen Konflikt um

    Worte, die eine neue Dimension der Auseinandersetzungen befürchten ließen. Zuvor hatte sich die Situation bereits hochgeschaukelt. Serben im Norden des Kosovo hatten in den letzten Wochen zahlreiche Barrikaden errichtet. Schon sprachen Politiker und Medien davon, dass neben dem Ukraine-Krieg ein weiterer militärischer Konflikt in Europa drohen könnte. 

    Der Balkan-Experte Florian Bieber von der Universität Graz hielt dieses Szenario bereits vor der sich anbahnenden Entspannung der Lage in einem ARD-Interview für nahezu ausgeschlossen. Nicht nur, weil 4000 Nato-Soldaten im Kosovo stationiert sind. Auch weil weder der serbische Präsident Aleksandar Vucic noch der kosovarische Ministerpräsident Albin Kurti ein Interesse daran haben, in einen offenen Konflikt zu schlittern. 

    Göttlicher Beistand? Aleksandar Vucic, Präsident von Serbien, küsst die Hand des serbisch-orthodoxen Kirchenpatriarchen. Vucic gilt als Meister gezielter Provokationen.
    Göttlicher Beistand? Aleksandar Vucic, Präsident von Serbien, küsst die Hand des serbisch-orthodoxen Kirchenpatriarchen. Vucic gilt als Meister gezielter Provokationen. Foto: Darko Vojinovic, AP, dpa

    Das heute nahezu ausschließlich von Albanern bewohnte Kosovo gehörte zu Serbien, bevor es 2008 unabhängig wurde – gegen den Willen Belgrads, das das Territorium weiterhin für sich reklamierte.

    Die Wunden der Vergangenheit sind längst nicht verheilt. 1998/99 führten serbische Truppen Krieg gegen die kosovarischen Unabhängigkeitskämpfer der UCK, dabei wurden Zivilisten getötet und vertrieben. Schließlich griff die Nato im Frühjahr 1999 ein – Kampfjets bombardierten Serbien und Montenegro, das damalige Rest-Jugoslawien. Serbische Sicherheitskräfte und die serbische Verwaltung mussten sich aus dem Kosovo zurückziehen. Bis 2008 wurde das heutige Staatsgebiet von den Vereinten Nationen verwaltet.

    Der Kosovo wird bis heute von vielen Ländern nicht als Staat anerkannt

    Vucic’ Hebel zur Destabilisierung des jungen Staates Kosovo, der international längst nicht von allen Ländern anerkannt wird, ist das Gebiet nördlich der geteilten Stadt Mitrovica an der Grenze zu Serbien. Dort wohnen rund 50.000 ethnische Serben. Vucic tut alles, um die Bewohner des Gebiets gegen die kosovarische Regierung in der Hauptstadt Pristina aufzubringen. Der serbische Präsident hat zu diesem Zweck eine Politik des Wechsels von „Eskalation und Deeskalation bis zur Perfektion“ entwickelt, wie René Schlee, der das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Pristina leitet, im Deutschlandfunk erklärte. So seien auch die jüngsten Provokationen in erster Linie eine „politische Show von Vucic“ gewesen. 

    Dennoch kommt der Abbau der Blockaden zur rechten Zeit. Schließlich hatte Kurti bereits angekündigt, dass die Kosovo-Polizei die Straßensperren der Serben beenden werde, wenn die seit über 20 Jahren stationierten KFOR-Truppen der Nato nicht eingreifen würden – in diesem Fall hätte es durchaus zu Schießereien zwischen Polizeikräften und bewaffneten Serben kommen können. 

    Albin Kurti (links) setzt langfristig auf eine EU-Mitgliedschaft. Mitte Dezember übergab der  Premierminister des Kosovo den offiziellen Beitragsantrag in Prag.
    Albin Kurti (links) setzt langfristig auf eine EU-Mitgliedschaft. Mitte Dezember übergab der Premierminister des Kosovo den offiziellen Beitragsantrag in Prag. Foto: Bundas Engler, AP, dpa

    Genau dies wollen EU und Nato unter allen Umständen vermeiden. Es war schließlich ein Schusswechsel, der die jüngste Verschärfung der Situation mit ausgelöst hatte. Als Reaktion nahmen kosovarische Sicherheitskräfte einen früheren serbischen Polizisten fest, den sie als Verursacher bezeichneten. Vucic bezichtigte daraufhin die kosovarische Regierung in einer wütende Rede des Rechtsbruchs. Premierminister Kurti keilte zurück und warf Serbien seinerseits vor, gezielt kriminelle Banden in den Norden des Kosovo einzuschleusen, um die Bevölkerung aufzuwiegeln. Das ist das Muster, nach dem die politische Konfrontation abläuft. 

    Ein Streit um serbische Autokennzeichen löste im Kosovo im Herbst eine Krise aus

    So wie im Herbst 2022, als ein Streit um alte serbische Autokennzeichen dazu führte, dass mühsam erreichte Schritte der Entspannung zunichtegemacht wurden. Die kosovarische Regierung wollte die Serben im Norden zwingen, alte serbische Kfz-Zeichen zum 1. November gegen kosovarische Nummernschilder auszutauschen – die große Mehrheit der Serben weigerte sich. Deren politische Vertreter drohten mit dem Rückzug aller Serben aus den Behörden und dem Parlament in Pristina. Westlicher Druck brachte Premier Kurti schließlich dazu, die Regelung auszusetzen. Doch die Beruhigung war – wieder mal – nur von kurzer Dauer. 

    Wie kann es endlich eine dauerhafte Befriedung geben? Auf dem Tisch liegt ein deutsch-französisch initiierter EU-Plan, der im Kern ein Modell vorsieht, auf dem das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und der DDR basierte: die wechselseitige stillschweigende Akzeptanz der bestehenden Situation ohne offizielle Anerkennung. Auf dieser Basis könnten dann die Beziehungen Schritt für Schritt stabilisiert werden – so die Idee. Doch Florian Bieber ist skeptisch: „Vucic ist der Status quo lieber als eine Stabilisierung.“ Tatsächlich würde dem Präsidenten eine Befriedung den Spielraum nehmen, zwischen einer zumindest offiziell angestrebten EU-Mitgliedschaft und den guten Beziehungen zu Russland sowie China zu lavieren. In vielen europäischen Hauptstädten, nicht zuletzt in Berlin, geht man davon aus, dass Moskau seine guten Kontakte zu Belgrad gezielt nutzt, um mit Blick auf die Spannungen auf dem Balkan Zwietracht unter den EU-Mitgliedstaaten zu säen. Der Kreml hat zuletzt mehrfach versucht, die serbische Karte zu spielen. Belgrad unterstützt die EU-Sanktionen nicht und bezieht weiter Energie aus Russland.

    Formal ist Serbien näher an einer EU-Mitgliedschaft, politisch nicht

    Es sei „paradox“, dass Serbien nach jahrelangen Beitrittsverhandlungen formal schon viel weiter sei als der Kosovo, der noch nicht einmal den Status eines EU-Beitrittskandidaten hat. „Gleichzeitig ist der Kosovo außenpolitisch und in vielen anderen Fragen sehr viel stärker im Einklang mit europäischer Politik.“

    Während Belgrad also offensichtlich kein großes Interesse an einer grundsätzlichen Regelung der Streitpunkte hat, hofft Pristina auf eine Stabilisierung, um endlich die Chance auf den Zugang zu internationalen Organisationen – langfristig auch zur EU – zu bekommen. Schlee hält für denkbar, dass der serbische Norden einen Gemeindeverbund innerhalb des Kosovo mit gewissen Autonomierechten bildet. Damit könnte seiner Ansicht nach auch Pristina leben. Die Sorge Kurtis sei aber, dass Belgrad mit dem Verbund „einen Staat im Staate“ im Kosovo installieren wolle. Diese Sorge habe der „zu Recht“, räumte Schlee ein.

    So bleibt die Befürchtung, dass im Kosovo weiter gilt: Nach der Krise ist vor der Krise. Ein Zustand, der Serben und Albaner im Kosovo letztlich vereint – in Leid und Stillstand.

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