Es ist nicht lange her, da wünschten sich viele Menschen, der Bundeskanzler würde ein bisschen mehr Baerbock wagen. Die Außenministerin ist präsent, findet klare Worte und weiß um die Macht der Bilder, während der abwartende und wortkarge Olaf Scholz als wenig charismatischer Zauderer dastand. Doch der Wind hat sich in den vergangenen Tagen gedreht. Und das liegt nicht nur daran, dass der Regierungschef in der Panzer-Frage am Ende doch noch Führungsqualitäten gezeigt hat. Es hat auch damit zu tun, dass Annalena Baerbock Fehler unterlaufen.
Baerbocks fataler Versprecher: „Wir führen einen Krieg gegen Russland“
In der Politik genügt manchmal ein unkonzentrierter Moment, ein missverständlicher oder falscher Halbsatz vor laufenden Kameras, und schon wird aus einer souveränen Ministerin ein potenzielles Sicherheitsrisiko. Bei der Grünen-Politikerin passiert das während einer Fragerunde im Europarat. Zu diesem Zeitpunkt hadern viele westliche Verbündete noch damit, dass Deutschland die Lieferung von Leopard-Panzern an die Ukraine ausbremst. Eine schwierige Situation für Baerbock, die ja selbst unglücklich damit ist, dass ihr Chef im Kanzleramt so lange zögert und damit die Partner irritiert.
Sie tut das, was Politikerinnen und Politiker nun mal tun, wenn sie spüren, dass die Gesprächspartner gereizt und die eigenen Argumente dünn sind: Sie betont das gemeinsame Ziel, das Verbindende. Denn tatsächlich sind sich die Europäer ja weitgehend einig darin, dass die Ukraine größtmögliche Unterstützung braucht, um sich gegen den russischen Angriff zu wehren. Baerbock appelliert auf Englisch an die Runde, Europa dürfe sich nicht spalten lassen, und warnt vor gegenseitigen Schuldzuweisungen. Und dann sagt sie einen Satz, der ihr auf die Füße fallen wird: „We are fighting a war against Russia and not against each other.“ Auf Deutsch: „Wir führen einen Krieg gegen Russland und nicht untereinander.“
Olaf Scholz musste den Fauxpas der Außenministerin ausbügeln
Da betonen die Bundesregierung, das Weiße Haus und die Nato seit fast einem Jahr immer wieder, der Westen wolle und dürfe nicht zur Kriegspartei in der Ukraine werden. Und dann sagt ausgerechnet die oberste deutsche Diplomatin, man befinde sich im Krieg mit Russland. Ein böser Fauxpas, den Baerbocks Kommunikationsexperten zwar schnell erkennen, aber nicht mehr einfangen können. Und der Kanzler sieht sich während seiner Südamerika-Reise gezwungen zu betonen, dass dies ein Krieg zwischen Russland und der Ukraine sei und man weiterhin alles dafür tun werde, um eine Eskalation zu verhindern.
Natürlich kann es passieren, dass nicht jede Formulierung hundertprozentig sitzt, wenn man in einer Fremdsprache spontan Rede und Antwort stehen muss. Natürlich ist klar, was Baerbock gemeint hat, nämlich dass der Gegner in Moskau sitzt und nicht in London, Paris oder Berlin. Doch das diplomatische Eis ist dünn und die 42-Jährige bereits eingebrochen.
Russlands Propaganda nutzt den verbalen Fehltritt genüsslich für die eigene Erzählung. Scholz wagen.
hatte ja erst kürzlich die verstörende These aufgestellt, die westliche Welt habe sich verschworen, um an der „Endlösung der Russland-Frage“ zu arbeiten. Nun also der vermeintliche Beweis: Der Westen führt Krieg gegen Russland. Und plötzlich wünschen sich viele Deutsche, die Außenministerin würde mehrScholz und Baerbock waren sich immer mal wieder in die Quere gekommen
In den jüngsten Umfragen gehört Baerbock zu den Verlierern, während das Standing des Kanzlers gewachsen ist. Laut einer Studie der Meinungsforscher von Forsa finden es 73 Prozent der Deutschen richtig, dass sich der Kanzler erst nach Abstimmung mit anderen Nato-Partnern entschieden hat, der Ukraine deutsche Kampfpanzer zur Verfügung zu stellen. Wenn es darum geht, wen die Menschen aktuell am ehesten an die Spitze der Bundesregierung wählen würden, legt der SPD-Politiker seit Wochen zu und kommt aktuell auf 25 Prozent. Baerbock, die zu Jahresbeginn noch vor Scholz gelegen hatte, fällt hingegen auf 19 Prozent und liegt damit sogar hinter ihrem grünen Parteifreund Robert Habeck.
Nun sind solche Umfragen immer Momentaufnahmen, doch im Kanzleramt dürfte man die jüngste Entwicklung durchaus mit Befriedigung zur Kenntnis nehmen. Schließlich waren sich Scholz und Baerbock in der Außenpolitik immer mal wieder in die Quere gekommen – nicht nur, als es um die Panzer-Frage ging. Während der Kanzler noch überlegte, hatte die Ministerin schon öffentlich signalisiert, Deutschland werde sich zumindest der Lieferung von Panzern made in Germany durch andere Verbündete nicht versperren.
Zwischen Scholz und Baerbock ist eine Rivalität entstanden
Dass dadurch der Eindruck entstand, der Regierungschef werde von den eigenen Leuten getrieben, soll Scholz ziemlich genervt haben. Ob Baerbocks Vorpreschen Kalkül war, um Druck zu erzeugen oder nur voreilig, bleibt offen. Dass es eine gewisse Rivalität zwischen den beiden gibt, die sich ja schon als Kanzlerkandidaten gegenübergestanden hatten, wird aber niemand ernsthaft bestreiten. Das Auswärtige Amt soll im Gegenzug dann auch überrumpelt worden sein, als Scholz die Panzer-Frage schließlich beantwortete.
Anfang der Woche sagt Vize-Regierungssprecherin Christiane Hoffmann auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen Scholz und Baerbock zunächst einen typischen Bausteinkastensatz aus dem Lehrbuch für Pressekonferenzen: „Der Bundeskanzler arbeitet mit all seinen Ministerinnen und Ministern eng und vertrauensvoll zusammen.“ Als die Journalisten nachhakten, stellte sie eine Gegenfrage: „Soll ich jetzt von Liebe sprechen?“ Die Antwort gab sie gleich selbst: „Nein.“ Die Rollenverteilung zwischen Scholz und Baerbock ist wieder geklärt.